Wieso ignoriert die Landesregierung einen klaren Auftrag des Landtags?

Kleine Anfrage von Sigid Beer

Die Koalitionsfraktionen von CDU und FDP haben im vergangenen Jahr einen Antrag eingebracht mit dem Titel „Eltern, Lehrkräften und Schulträgern Planungssicherheit geben – äußere Differenzierung an Realschulen gestalten und einen Hauptschulbildungsgang ab Klasse 5 ermöglichen“ (Drucksache 17/2748). In dem Auftrag des Landtags an die Landesregierung heißt es unter Ziffer 4: „im Zuge einer Änderung des Schulgesetzes einen solchen Bildungsgang an Realschulen bereits ab Klasse 5 zu ermöglichen.“
In der plenaren Debatte begründete die bildungspolitische Sprecherin der FDP Franziska Müller-Rech den Punkt wie folgt: „Meine Damen und Herren, im Hinblick auf die Schließung von 151 Hauptschulen in den kommenden zwei Jahren müssen wir zeitnah handeln. In vielen Kommunen wird es keine Hauptschulen mehr geben, die Kinder mit Hauptschulempfehlung aber sehr wohl noch. In diesen Kommunen melden viele Eltern ihre Kinder mit Hauptschulempfehlung an einer Realschule an, die diese Kinder dann auch aufnehmen und ihnen nach § 132c des Schulgesetzes einen Hauptschulbildungsgang anbieten. […] Durch eine Änderung des Schulgesetzes soll zudem die Möglichkeit eröffnet werden, an Realschulen einen solchen Bildungsgang bereits ab Klasse 5 einzurichten.“ (Zitate nach Plenarprotokoll 17/28 vom 13.06.2018)
Für die CDU führte der Abgeordnete Rüdiger Scholz aus: „Leider gibt es jedoch eine zunehmende Anzahl von Fällen, in denen Schülerinnen und Schülern, die lediglich über eine Hauptschulempfehlung verfügen, der Zugang zu Schulen mit einem Hauptschulbildungsgang verwehrt bleibt, sei es, weil kein wohnortnahes Hauptschulangebot existiert, oder eben, weil Gesamtschulen vor allem die Anmeldungen von diesen Schülerinnen und Schülern zur Klasse 5 negativ bescheiden. Was heißt das in der Folge? Für diese Schülerinnen und Schüler steht kein wohnortnaher Hauptschulbildungsgang zur Verfügung. Stattdessen sollen sie – beispielsweise wie in Wesel nach dem Willen der dortigen Links-Koalition – in einer zusätzlichen Klasse der örtlichen Realschule in der Klasse 5 starten, und das, obwohl diese Schule natürlich nach dem aktuell geltenden Schulrecht überhaupt keinen Hauptschulbildungsgang ab Klasse 5 anbieten darf. Der Verweis, dass an der Realschule die Genehmigung für einen Hauptschulbildungsgang ab Klasse 7 eingegangen sei, hilft diesen Schülerinnen und Schülern, die im kommenden Schuljahr die Klasse 5 besuchen werden, offensichtlich nicht weiter. Genau hier setzt unser Antrag an. Wir werden den Hauptschulbildungsgang ab Klasse 5 an Realschulen sichern und zukunftsfähig machen, allerdings nur dort, wo Bedarf besteht. Das kann überall der Fall sein, wo es Schülerinnen und Schüler gibt, die auf eine Hauptschule gehen wollen, aber ein Angebot für diesen Bildungsgang nicht ausreichend oder gar nicht vorhanden ist.“
Für die Landesregierung begrüßte Schulministerin Yvonne Gebauer den Antrag: „Bereits im Jahr 2015 wurde noch unter der Vorgängerregierung der § 132c Schulgesetz eingeführt, der ab Klasse 7 den Verbleib in einem Hauptschulbildungsgang ermöglicht. Diese Regelung stößt jedoch dort an ihre Grenzen, wo sich Eltern für ihr Kind den Besuch eines differenzierten Hauptschulbildungsganges bereits ab Klasse 5 wünschen, ein entsprechend erreichbares Angebot aber nicht vorhanden ist. […] Gleichzeitig fordert der Antrag die Möglichkeit der Einrichtung eines Hauptschulbildungsgangs an der Schulform Realschule ab der Klasse 5. Verbunden ist dies mit der Forderung, solche Erweiterungen in einem abgewogenen Rahmen umzusetzen. Dieses Handeln erfordert eine sorgfältige Vorbereitung. Dabei geht es um eine auf Fakten gestützte Analyse des Bedarfs. Es geht um die schulfachlichen Rahmenbedingungen, und es geht um die personelle Absicherung einer bestmöglichen Förderung aller Kinder – ich betone explizit: aller Kinder – in allen Schulformen.“
Der Antrag der Koalitionsfraktionen wurde in der Plenarsitzung des Landtags am 13.06.2018 beschlossen. Gleichzeitig begann die Landesregierung mit der Erarbeitung eines Entwurfs zum 15. Schulrechtsänderungsgesetz (15. SchRÄG), mit dem verschiedene, aufgelaufene Änderungsbedarfe abgearbeitet werden sollten. Im Entwurf, der dem Landtag nun zur Befassung vorgelegt wurde (Drucksache 17/7770) gibt es aber entgegen des klaren Auftrags keine Neuregelung des § 132c, der die Einrichtung eines Hauptschulbildungsgangs an Realschulen schon ab Klasse 5 ermöglicht. Damit werden Kinder mit Hauptschulempfehlung aus Städten ohne Hauptschule an einer Realschule angemeldet, die sie aber in den ersten zwei Jahren nicht nach Hauptschulbildungsgang unterrichten kann. In der Begründung zum Gesetzentwurf wird mit keinem Wort darauf eingegangen, warum der Auftrag des Landtags unberücksichtigt bleibt.
Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:
1.           Warum hat die Landesregierung den Auftrag des Landtags hinsichtlich der schulrechtlichen Absicherung der Einrichtung eines Hauptschulbildungsganges an Realschulen schon ab Klasse 5 nicht beim Entwurf des 15. Schulrechtsänderungsgesetzes berücksichtigt?
2.           Was hat die von der Ministerin versprochene „sorgfältige Vorbereitung“ der Umsetzung des Landtagsbeschlusses ergeben?
3.           Wie groß ist der „auf Fakten gestützte Bedarf“?
4.           Wie groß wäre der Aufwand für die „personelle Absicherung“?
5.           Welche Perspektiven haben Schülerinnen und Schüler, Eltern, Schulen und Schulträger, um „die bestmögliche Förderung aller Kinder“ zu gewährleisten, wenn Kinder mit Hauptschulempfehlung an einer Realschule eingeschult werden, weil vor Ort keine Hauptschule mehr existiert?