Horst Becker: „Sie loben das, was Sie früher kritisiert haben“

Entwurf zum Haushaltsplan 2020 - Wirtschaft - zweite Lesung

Horst Becker (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich feststellen, dass dies der dritte Haushalt ist, den diese Koalition zu verantworten hat. Das heißt, Sie sind haushaltstechnisch über die Mitte Ihrer Zeit hinweg.
Wenn man dann guckt, was Sie alles versprochen haben und womit Sie gestartet sind – Sie wollten die Wachstumslokomotive in der Bundesrepublik sein, Sie wollten das Wirtschaftsland Nummer eins sein –, dann frage ich, wo Sie gelandet sind. Sie bedienen sich jetzt schon der Prognosen, Herr Rehbaum. Es sind nämlich keine Feststellungen, sondern es sind Prognosen des RWI – übrigens im Auftrag des Ministeriums –, das jetzt davon ausgeht, dass NRW 0,3 % Wachstum hat, der Bund 0,4 %. Ich wage das zu bezweifeln, und zwar begründet.
Das gleiche RWI hat nämlich als Schätzung – denn es läuft ja immer nach hinten, erst kommt die Schätzung, und zwei Jahre später folgen die richtigen Zahlen – im Sommer festgestellt: 0,1 % für NRW und 0,4 % für den Bund. Wenn jetzt im Jahresmittel als Prognose am Ende 0,3 % für die nordrhein-westfälische Wirtschaft herauskommen soll, müssten wir ja im zweiten Halbjahr weit über den Zahlen und dem Durchschnitt des Bundes liegen. Das wage ich zu bezweifeln.
Wir werden es ja im nächsten Jahr sehen. Dann werden wir diese Debatte weiterführen. Auf jeden Fall ist es eines nicht: Es ist nicht plötzlich ein Aufholen, es ist nicht plötzlich eine Lokomotive, sondern bestenfalls ein langsames Rollen auf das Abstellgleis. Das, was Sie uns immer vorgeworfen haben, praktizieren Sie hier und loben sich dafür. Das ist der Unterschied. Sie loben das, was Sie früher kritisiert haben.
(Vereinzelt Beifall bei den Grünen – Zuruf von der FDP: Unsinn!)
Meine Damen und Herren, das, was wir hier bei der Wirtschaft erleben, erinnert an die Sektoren Verkehr und Bildung. Sie sind im Verteidigungsmodus. Ich habe heute Morgen interessiert zur Kenntnis genommen, wie Herr Pinkwart bis hin zur Digitalisierung in den Schulen sozusagen den Rückgriff auf die Politik von vier, fünf Jahren machen musste, um zu begründen, warum er nach zweieinhalb Jahren nicht weiter ist, als er es ist, und die Koalition insgesamt nicht. Das ist auch hier der Fall.
Wenn Sie sich der Konjunktur und vor allem des Arbeitsmarktes rühmen, der – der Kollege Sundermann hat darauf hingewiesen – von bestimmten Sektoren getragen wird, dann gibt es allerdings ganz deutliche Warnzeichen, mit denen sich der Minister nach unserem Eindruck überhaupt nicht ausreichend beschäftigt.
Ich nenne thyssenkrupp: minus 6.000 Stellen, 4.000 davon in Deutschland, die meisten in NRW.
Bayer: minus 4.500 Stellen in Deutschland, die meisten in NRW.
Ford: minus 5.000 Stellen in Deutschland; wie viele in NRW, ist noch nicht ganz klar, aber es werden auch in NRW einige sein.
Conti: minus 7.000 in Deutschland.
Covestro: minus 900 Stellen.
E.ON, innogy, RWE: minus 5.000 Stellen.
Da würde man von einem Minister erwarten, dass er sich sozusagen die Hacken abläuft. Was erleben wir? Der Minister ist immer noch Wissenschaftsminister und redet hauptsächlich von Start-ups, die aber beispielsweise im Verhältnis zu Berlin auch deutlich ausbleiben. Existenzgründungen sind ausweislich des Instituts für Mittelstandsforschung deutlich zurückgegangen, Herr Rehbaum – nicht aufwärts, sondern zurückgegangen. Rückgang ist Ihr Markenzeichen in diesem Bereich, nicht Fortschritt. Das ist Tatsache.
(Zurufe von der CDU – Unruhe)
Und was haben Sie nicht alles beim Mittelstand und beim Handwerk versprochen? Am Ende des Tages ist eine Ladenöffnungszeit herausgekommen, mit der Sie den Versandhandel in den Griff bekommen wollten. Seitdem ist der Versandhandel gestiegen, im Einzelhandel, im Mittelstand ist das Geschäft weiter zurückgegangen.
(Zurufe von der CDU und von der FDP)
Was haben Sie denn da erreicht, außer dass Sie die Kommunen und die gesamte Szene ins Chaos gestürzt haben? Sie haben nichts erreicht. Überhaupt nichts ist in dem Bereich herausgekommen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Sie haben großk… – Ich wollte fast „großkotzig“ sagen, Herr Präsident, habe es aber nur fast gesagt, also nicht.
(Zurufe)
Sie haben großherrisch angekündigt, dass Sie die Grunderwerbsteuer abschaffen wollten; eine mittelstandsfeindliche Steuer haben Sie sie genannt.
Was ist passiert? Sie haben sich hinter Berlin versteckt. Sie sitzen heute noch in der Furche und verstecken sich hinter Berlin.
(Ralph Bombis [FDP]: Wir wollen es aber familienfreundlich machen! – Gegenruf von Christian Dahm [SPD]: Da warten wir noch drauf!)
Nichts von alledem ist zustande gekommen. Sie sind in diesen Bereichen in Ankündigungen stecken geblieben. Das ist ein Desaster.
Ich will auf einen weiteren Punkt zu sprechen kommen, der von entscheidender Bedeutung für die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen ist. Herr Minister, Sie sind auch Energieminister. Das gehört auch zum Bereich Wirtschaft.
(Henning Rehbaum [CDU]: Das machen wir in der nächsten Runde, Herr Becker!)
Ein Energieminister, der die Energie in Nordrhein-Westfalen abwürgt, zum Beispiel die Windkraft, und der jetzt eine Wasserstoff-Roadmap auf den Weg bringen will, von der man überhaupt nicht weiß, wann sie denn fertig werden soll – ich erinnere noch einmal daran, dass Sie bereits zweieinhalb Jahre regieren –, der bleibt weit hinter anderen Bundesländern zurück.
(Zurufe von der FDP)
Die norddeutschen Bundesländer beispielsweise
(Beifall von den GRÜNEN – Henning Rehbaum [CDU]: Sie liefern so viele Steilvorlagen!)
haben bereits eine gemeinsame Wasserstoffstrategie mit Anwendungen und Mustern auf den Weg gebracht, die sie bis Ende 2019 gemeinsam verabschiedet haben werden. Und Sie fangen gerade erst unbestimmt mit einer Roadmap an. Mehr passiert hier im Lande nicht.
Das gilt auch für die Elektromobilität. Tesla beispielsweise geht nach Brandenburg. Sie weinen der Zulieferindustrie für Tesla hinterher und sagen, die müsse auch bedient werden.
In diesen Bereichen haben Sie außer Ankündigungen nichts geschafft in diesem Land. Das ist Ihre Politik. Deswegen kommen Sie auch immer mehr dazu, sich zu verteidigen. Das wird im nächsten Jahr noch zunehmen, das sage ich voraus. Wir werden erleben, dass diese Landesregierung im Sumpf ihrer eigenen Ankündigungen stecken bleiben wird, weil sie sie nicht erfüllen kann.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der CDU und der FDP: Oh!)

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