Josefine Paul: „Klar ist, dass Kinderrechte nicht relativierbar sind“

Haushaltplan 2020 - Familie, Kinder, Jugend - zweite Lesung

Portrait Josefine Paul

Josefine Paul (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die UN-Kinderrechtskonvention feiert in diesem Jahr ihren dreißigsten Geburtstag. Die große Party sozusagen ist erst wenige Tage her. Was gäbe es für ein schöneres Geschenk für die Kinderrechte, als diese auch endlich im Grundgesetz zu verankern? – Ich muss ganz ehrlich sagen, der jetzt vorgelegte Entwurf der Bundesjustizministerin enttäuscht mich.
Was wir brauchen, um Kinderrechte auch wirklich wirkungsvoll in diesem Land durchzusetzen, ist eine klare Stärkung der Beteiligungsrechte, und es ist eine klare Aussage dazu, dass das Kindeswohl im Zentrum politischen Handelns stehen muss.
Klar ist aus meiner Sicht – ich hoffe, diese Ansicht teilen wir –, dass Kinderrechte nicht relativierbar sind. Das muss sich auch endlich im Grundgesetz widerspiegeln.
(Beifall von den GRÜNEN)
In 54 Artikeln werden Rechte der Kinder normiert, und es wird noch einmal klargestellt, dass Kinder eben keine kleinen Erwachsenen sind.
Kinder genießen – das ist unsere politische Herausforderung, unsere politische Verantwortung – besondere Schutzrechte. Sie genießen besondere Förderungsrechte und Beteiligungsrechte.
Zum einen ist nach wie vor zu konstatieren, dass diese Rechte – auch den Kindern im Übrigen – zu wenig bekannt sind.
Zum anderen werden sie auch zu wenig umgesetzt und auch im politischen Raum nach wie vor zu wenig berücksichtigt. Zumal bei politischen Themen, die ganz klar ihre Anliegen sind, müssen wir Beteiligungsverfahren finden, Kinder tatsächlich mit an den Tisch zu holen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Eine der größten Herausforderungen in diesem Land ist die Kinderarmut. Wenn in Nordrhein-Westfalen jedes fünfte Kind arm oder von Armut bedroht ist, ist das eine Schande für unser Land.
(Beifall von den GRÜNEN)
Armut hat Konsequenzen, und diese Konsequenzen verfestigen sich unter Umständen für die gesamte Lebensverlaufsperspektive.
Sie hat Auswirkungen auf Bildung. Wir alle wissen, dass dieses Land nach wie vor ein Land der bildungspolitischen und damit auch der sozialen Spaltung ist. In kaum einem anderen Land hängt der Bildungserfolg eines Kindes nach wie vor so sehr vom Geldbeutel der Eltern ab.
(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])
Auch das ist eine bildungspolitische Schande.
(Beifall von den GRÜNEN)
Kinderarmut und Armut allgemein schließen von Teilhabe aus. Auch das ist eine große Herausforderung, für die wir mehr Anstrengungen machen müssen.
Kinder haben natürlich unabhängig von ihrem sozialen Hintergrund ein Recht auf Teilhabe, und nicht zuletzt macht Kinderarmut krank. Das können und das dürfen wir uns nicht weiter leisten.
(Beifall von den GRÜNEN)
Dementsprechend müssen wir die Anstrengungen in diesem Bereich verstärken. Um noch einmal einen weiteren Blick auf die Bundesebene zu werfen: Eine Kindergrundsicherung ist ein probates Mittel und längst überfällig, denn Kinder haben eigene Bedarfe. Sie haben nicht zuletzt nach der UN-Kinderrechtskonvention auch ein Recht auf eine eigene soziale Absicherung, denn sie sind eben keine kleinen Erwachsenen, und man kann ihre Bedarfe nicht einfach kleinrechnen.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Aber auch das Land ist gefordert. Bei der wirkungsvollen Verzahnung von Bildung und Gesundheit im Sozialbereich kommt es auf eine konkrete und zielgerichtete Förderung an.
Wir brauchen keine Förderung mit der Gießkanne, sondern wir müssen genauer hinschauen: Wo muss die Förderung eigentlich hin? Wir brauchen eine höhere Sozialraumorientierung.
Wir müssen auch noch mehr die Gruppen in den Blick nehmen, deren Armutsrisiko besonders hoch ist. Nicht zuletzt als Frauenpolitikerin kann ich an der Stelle noch sagen: Alleinerziehend in diesem Land zu sein, ist nach wie vor das größte Armutsrisiko. Es muss uns doch die größte politische Herausforderung sein, daran auch endlich etwas zu ändern.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Sehr geehrte Damen und Herren, Minister Stamp bezeichnet den Einzelplan als „Chancenhaushalt“ der Landesregierung. Man muss in der Tat konstatieren: Nach der aktuellen Haushaltslage hätten auch eine Menge Chancen in diesem Haushalt gelegen.
Allein das wichtigste und zentralste Vorhaben der Landesregierung in diesem Bereich, nämlich die KiBiz-Reform, hat die entscheidende Chance vertan, nämlich endlich die Kita-Finanzierung vom Kopf auf die Füße zu stellen.
Wenn man wohlwollend sein will, kann man noch sagen, dass mit diesem Entwurf tatsächlich der Status quo gesichert wird. So weit ist das auch das Ergebnis der Anhörung.
Aber bei dem Rest, den Sie hier so vollmundig versprochen haben, bleibt es doch dabei: Das ist das Prinzip Hoffnung. Oben wird Geld hineingekippt in der vagen Hoffnung, dass unten möglicherweise auch Qualität herauskommt.
Was ist der Grund dafür? – Diesem Gesetz fehlen die Leitplanken zu einer tatsächlichen Qualitätsentwicklung. Vor allem fehlte dem Minister und dieser Landesregierung auch der Mut zu einer grundlegenden Reform, denn alle Expertinnen und Experten sind sich einig: KiBiz ist gescheitert, KiBiz ist Mumpitz, und wir brauchen endlich eine nachhaltige Finanzierung. Dafür haben Sie in diesem „Chancenhaushalt“ leider die Chance vertan, Herr Minister.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Auch in anderen Bereichen kann man die Frage der Sachkosten, die durch die Freie Wohlfahrtspflege aufgerufen ist, nicht einfach ignorieren. Man kann doch nicht einfach sagen: Nö, die Berechnungsgrundlage passt uns an der Stelle nicht. Wir glauben, dass das alles nicht so ist.
Ich glaube, Herr Minister, damit machen Sie sich einen sehr schlanken Fuß. Ich bin der Auf­fassung, dass Ihnen das unter Umständen auch noch auf selbigen fallen wird, denn es bleibt mit diesem Haushaltsentwurf und auch mit der KiBiz-Reform, die wir morgen noch intensiver diskutieren werden, leider zu befürchten, dass diese Überbrückungsfinanzierung, die wir jetzt jahrelang in der Kita-Finanzierung erlebt haben, weiterhin ein fester Bestandteil der Kita-Fi­nanzierung in Nordrhein-Westfalen bleibt.
Um noch einmal auf die Frage der Berücksichtigung von Kindern und ihrer Interessen zurückzukommen: Leider spielten beim Erarbeitungsprozess des neuen KiBiz offensichtlich weder die Kinder noch das pädagogische Fachpersonal die erste Geige, denn es beschleicht einen doch der Eindruck, dass dieses Gesetz ein reines Finanzierungsgesetz ist.
Ob das jetzt auskömmlich ist, wird die Zukunft zeigen, aber es sind berechtigte Zweifel angebracht. Aber was dieses Gesetz nicht hat, ist doch ein wirklicher Gestaltungsanspruch, und leider bietet es auch nicht die dringend notwendige Planungssicherheit.
Sie haben es gerade angesprochen, Herr Kollege Kamieth: Eines der zentralen Vorhaben der Landesregierung ist es, Familienpolitik von Grund auf zu denken und auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stärker in den Blick zu nehmen.
Da will ich Ihnen aber auch sehr deutlich sagen, dass die Vereinbarkeitsfrage keine Einbahnstraße ist. Mich beschleicht immer wieder der Eindruck, dass Ihre Antworten auf die Frage von Vereinbarkeit sind, die Strukturen für Familien so zu bauen, dass nach Möglichkeit die Familie die Vereinbarkeitsleistungen herstellen muss, aber die Wirtschaft bloß nicht damit be­helligt wird. Das ist der falsche Weg. Nicht Familien müssen sich anpassen, sondern die Wirt­schaft muss endlich familienfreundlicher werden.
(Beifall von den GRÜNEN und von Regina Kopp-Herr [SPD])
Sehr geehrte Damen und Herren, Kinder und Jugendliche haben auch nach der UN-Kinderrechtskonvention ein Recht auf Beteiligung, und hier – ich habe es gerade schon angedeutet – ist noch erheblich Luft nach oben.
Kinder und Jugendliche sind Expertinnen und Experten in eigener Sache, aber allzu oft sind sie auch einsame Ruferinnen im Wald, weil ihnen die politische Ebene nämlich irgendwie nicht so richtig zuhören möchte. Kinderrechte ernst zu nehmen, würde auch bedeuten, Kinder und Jugendliche ernst zu nehmen. Dafür brauchen wir neue Formate der Beteiligung auf allen Ebenen.
Auf der kommunalen Ebene beispielsweise wäre darüber nachzudenken, ob man die Beteiligungsrechte nicht auch noch einmal stärkt, indem man sie in der Gemeindeordnung festschreibt.
(Beifall von den GRÜNEN)
Auch auf der Landesebene wäre es endlich Zeit für eine Absenkung des Wahlalters. Da wundert man sich doch ganz gewaltig, warum diese Landesregierung mit diesem Landesminister, der bekanntermaßen von der FDP ist, überhaupt gar keinen Schwung in die ganze Sache bringt, denn auf Antrag der Jungen Liberalen ist es ja längst Beschlusslage der Partei, dass das Wahlalter abgesenkt werden sollte.
Wenn ich so daran denke, dass der Landesminister auch der Anwalt der Kinder- und Jugendrechte innerhalb der Landesregierung sein sollte, würde ich persönlich mir etwas mehr Engagement für tatsächliche Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen wünschen.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Wir sind uns einig – das haben wir auch schon beim letzten Haushalt durchaus lobend hervorgehoben –, dass mit dem Haushaltsansatz für den Kinder- und Jugendförderplan ein Schritt in die richtige Richtung gemacht worden ist. Im Landtagswahlkampf haben alle Parteien gesagt: Wir werden Geld obendrauf packen. – Das haben Sie auch so eingelöst. Damit ist auch die Szene durchaus zufrieden.
Dann wäre es doch jetzt an der Zeit – wenn wir uns nicht mehr über die Finanzen streiten müssen, was wir jahrelang getan haben –, wirklich über die Inhalte ernsthafter und darüber zu diskutieren, wie wir Jugendarbeit in diesem Land und die Verbände, die Kinder und Jugendlichen noch weiter stärken können.
Sehr geehrte Damen und Herren, ein weiterer Bereich, bei dem wir einen großen Konsens haben – Kollege Kamieth hat auch schon darauf hingewiesen –, ist der Bereich LSBTI. Ich bin sehr froh, dass es eine große politische und auch haushalterische Kontinuität in diesem Bereich gibt. Ich bin auch sehr froh, dass wir in der letzten Woche endlich den gemeinsamen Antrag zu Inter beschließen konnten.
Eine Sache beim lobenswerten Landesprogramm zur Unterstützung von Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch hätte ich allerdings noch auf der Wunschliste für diese Landesregierung. Rheinland-Pfalz macht es vor: Dort ist das Landesprogramm auch auf lesbische Paare ausgeweitet worden.
Ich meine, es würde dieser Landesregierung gut zu Gesicht stehen, auch hier mit gutem Bei­spiel voranzugehen, auch diese Gruppe mit in die Landesförderung aufzunehmen und damit noch einmal ein ganz klares Signal zu setzen: Wir unterstützen alle Familienformen in Nord­rhein-Westfalen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Zum Schluss möchte ich noch kurz ein paar Worte darüber verlieren, was es mit den Schutzrechten innerhalb der Kinderrechte auf sich hat. Wir alle sind von den schrecklichen Missbrauchsfällen erschüttert und stehen in diesem Bereich auch klar zusammen. Das hat nichts mit parteipolitischer Couleur zu tun.
Wir haben im letzten Plenum auch gemeinsam eine Kinderschutzkommission eingesetzt, was aus meiner Sicht ein sehr wichtiges Signal für einen starken Kinderschutz in Nordrhein-West­falen ist. Auch die Haushaltsmittel in Höhe von 4,8 Millionen Euro sind nur zu begrüßen.
Wir brauchen mehr Anstrengungen. Wir brauchen aber auch verbindliche Anstrengungen. Wir müssen die Schnittstellen überwinden, an denen es oftmals zu Problemen kommt. Wir müssen die Netzwerke stärken. Möglicherweise müssen wir auch ein eigenes Landespräventionsgesetz auf den Weg bringen, um den Kinderschutz wirklich auf verbindliche Füße zu stellen. Darauf hoffe ich, dass wir auch das gemeinsam hier im Plenum besprechen können. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)