Matthi Bolte-Richter: „Meinungsfreiheit bedeutet nicht Widerspruchsfreiheit“

Antrag der "AfD"-Fraktion zur "Generation Antifa"

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Grundgesetz feiert in diesem Jahr seinen 70. Geburtstag. Es garantiert uns allen Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und unveräußerliche Grundrechte gegenüber dem Staat.
Dieses Grundgesetz ist die beste Verfassung, die die Deutschen jemals hatten. Es garantiert, dass niemand in unserem Land Repressalien zu befürchten hat, nur weil er oder sie seine oder ihre Meinung vertritt.
Es ist ein Treppenwitz, dass wir ausgerechnet in diesem Jubiläumsjahr über Meinungsfreiheit sprechen müssen, denn Meinungsfreiheit ist und bleibt gegeben. Aber – und das scheinen einige in diesem Haus gerne ausblenden zu wollen – Meinungsfreiheit bedeutet nicht Widerspruchsfreiheit.
(Beifall von den GRÜNEN und von Michael Hübner [SPD])
Wer eine Meinung hat, muss damit leben, dass andere eine andere Meinung haben. Das nennt man Demokratie,
(Zuruf von Helmut Seifen [AfD])
und das ist der Wert, für den alle demokratischen Kräfte in unserem Land gemeinsam streiten müssen.
(Helmut Seifen [AfD]: Sagen Sie das mal den Antifaleuten!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Anlass der heutigen Debatte sind Vorfälle bei den ersten beiden Vorlesungen von Bernd Lucke an der Universität Hamburg in diesem Wintersemester.
Zum Diskurs an einer Universität gehört es, Meinungen zu debattieren und Meinungen und Positionen auszuhalten. Das Niederbrüllen von Meinungen gehört nicht dazu. Wer brüllt, hat unrecht.
Das Aushalten politischer Positionen bedeutet jedoch nicht, dass man ausblenden kann und sollte, welches die Geister waren, die Bernd Lucke rief, die er schließlich nicht mehr loswurde und denen er sich nicht entgegengestellt hat, sondern vor denen er weggerannt ist.
Die AfD war nie die harmlose Professorenpartei, auch nicht unter Professor Bernd Lucke. Lucke selbst bezeichnete unsere Demokratie als – Zitat – entartet. Er ließ Parteifreunde vom Schießbefehl auf Kinder an der Grenze fabulieren, ohne sich davon zu distanzieren.
(Helmut Seifen [AfD]: Quatsch!)
Er ließ zu, dass rechte Narrative wie Staatsmedien, Blogparteien und Multikultiumerziehung Eingang in die offizielle AfD-PR fanden, und er selbst bezeichnete Geflüchtete als – Zitat – Bodensatz. Von einer solchen Wortwahl ist es nicht mehr weit bis zu Björn Höcke und seinen ein ums andere Mal entlarvenden Deportationsfantasien.
(Beifall von den GRÜNEN)
Diese Kritik, meine Damen und Herren, muss Bernd Lucke aushalten – unter keinen Umständen mit Gewalt, aber mit deutlichen und klaren Worten, denn Meinungsfreiheit bedeutet nicht Widerspruchsfreiheit.
Auch ein Herr Gauland muss es aushalten, Herr Seifen, dass man an sein Zitat aus einer Rede am 18.08.2019 in Brandenburg an der Havel erinnert, in der er von der Machtergreifung fabuliert hat.
Herr Gauland muss es aushalten, dass man daran erinnert und ihm an dieser Stelle klar widerspricht, denn unser Grundgesetz ist das Grundgerüst für die wehrhafte Demokratie, und eine wehrhafte Demokratie ist selbstverständlich auch eine Demokratie, die der Meinungsfreiheit verfassungsrechtliche Grenzen setzt, nämlich wenn eine Meinung sichtbar gegen die Grundgerüste der Demokratie geht, wenn sie geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören oder die Meinungsfreiheit anderer einzuschränken. Das sind die Grenzen, und das muss wie- der demokratischer Konsens sein.
Wer versucht, sich diesem demokratischen Konsens zu entziehen, kann sich nicht als Opfer darstellen, wie es die AfD in diesem Antrag versucht, denn es ist doch die AfD selbst, die immer wieder versucht, Meinungen einzuschränken, die Hass und Hetze befeuert und auf diese Weise Menschen vom politischen Diskurs ausschließt.
Gucken Sie sich doch einmal die Statements – nicht zuletzt von heute – im Deutschen Bundestag an, in dem Journalisten nach den Vorgängen im Rechtsausschuss gefragt haben. Diese Fragen wurden, begleitet von einer Welle von Beschimpfungen, beantwortet.
Es ist die AfD, die selbst vor der Wissenschaft nicht haltmacht. Sie wollen Wissenschaftler, die nicht in Ihr rückwärtsgewandtes Weltbild passen, ausschließen und missliebige Disziplinen einfach abschaffen. Sie fahren regelmäßige Frontalangriffe auf die wissenschaftliche De- batte, die nicht unwidersprochen bleiben dürfen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Wissenschaft ist nicht neutral. Universitäten waren immer ein Ort gesellschaftlicher Debatte und des gesellschaftlichen Fortschritts.
Auch Hochschulen sind nicht dazu verpflichtet, bei Diskussionen Personen zu berücksichtigen, die demokratiefeindliche, menschenfeindliche oder völkisch-rassistische Ideologien verbreiten, sei es direkt oder unterschwellig. Keine öffentliche Einrichtung – weder in unserem Land, noch in der Bundesrepublik – darf neutral sein, wenn es darum geht, die Demokratie zu verteidigen. – Ich danke Ihnen.
(Beifall von den GRÜNEN)

Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. – Es gibt eine Kurzintervention der AfD- Fraktion. Der Abgeordnete Seifen hat das Wort.

Helmut Seifen (AfD): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Bolte-Richter, ich finde es gut, dass wir uns einig sind, dass Wissenschaftsfreiheit unbedingt sein muss.
Sie haben natürlich versucht, meinen Antrag und meine Rede zu relativieren; das ist in Ordnung. Schließlich entspricht das dem politischen Geschäft in diesem Parlament. Insofern finde ich Ihre Rede wesentlich fundierter als das, was ich vorher gehört habe.
(Zuruf von Dietmar Bell [SPD])
Aber trotzdem sind Sie ausgewichen. Sie sprechen dauernd davon, Meinungsfreiheit müsse Meinung ertragen können. Es geht hier um die Wissenschaftsfreiheit. Auch die Leute in Hamburg müssen ertragen, dass ein Herr Lucke – egal, wie man ihn sonst so findet – seine – Zitat
–  neoliberalen Wirtschaftsansichten vorbringt.
(Josefine Paul [GRÜNE]: Ja, und dem kann man auch widersprechen!)
Das möchte ich ganz deutlich sagen. Diese Leute, die dort randaliert haben, haben in erster Linie gar nicht von der AfD gesprochen – das haben Sie nebenbei auch gesagt –, sondern dezidiert davon, dass Herr Lucke seinen wissenschaftlichen Standpunkt nicht darlegen darf. Das geht auf keinen Fall. Sie wissen ganz genau, dass wir das nicht verharmlosen dürfen.
Selbst Bodo Ramelow hat in Bezug auf die Antifaschisten die Nerven verloren und gesagt:
„Es kotzt mich an, wie arrogant ihr seid.“ – Das sagte er bei einem Auftritt in Halle zu den linken Autonomen.
Frau Beihl, das hat übrigens nichts mehr mit Political Correctness zu tun, das ist Meinungsdiktatur. Dagegen verwahren wir uns. Wir würden vom Landtag ein sehr gutes Signal in die Hochschullandschaft senden, nämlich dass wir völlig hinter den Professoren stehen, die für die Wissenschaftsfreiheit sind.
(Beifall von der AfD)

Präsident André Kuper: Vielen Dank. – Zur Reaktion auf diese Kurzintervention hat der Abgeordnete Bolte-Richter wieder das Wort.

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Abgeordneter Seifen, es gibt in diesem Land keine Meinungsdiktatur. Deutschland hat insbesondere im 20. Jahrhundert schmerzlichste Erfahrungen mit Diktaturen gemacht, und wir sollten uns da auch mäßigen, wenn wir mit diesem Begriff hantieren. Es gibt in diesem Land keine Meinungsdiktatur, es gibt in diesem Land keine Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit.
Ich sage Ihnen auch ganz klar: Zu den Vorfällen bei der Vorlesung von Herrn Lucke ist durch die Wissenschaftssenatorin alles gesagt worden. Sie hat ganz klar gesagt:
„Ich verurteile aufs Allerschärfste die … Störung und Unterbrechung der Vorlesung von Herrn Lucke.“
Das hat sie in der Hamburgischen Bürgerschaft gesagt. Sie hat auch ganz deutlich gesagt:
„Wie im Hörsaal mit Herrn Lucke umgegangen wurde, widerspricht den Regeln fairer politischer und demokratischer Auseinandersetzung.“
Das waren die beiden Zitate dazu.
Insofern inszenieren Sie hier etwas, was es nicht gibt. Sie warnen vor etwas, was nicht passieren wird, und Sie tun das mit einer Folie, die für unsere Demokratie nicht gut ist.
(Beifall von den GRÜNEN und Michael Hübner [SPD])