Norwich Rüße: „Wir müssen die Jagd in ihrer dienenden Funktion für den Wald stärken“

Anträge der Fraktionen von SPD und "AfD" zur Forstwirtschaft in NRW

Portrait Norwich Rüße

Norwich Rüße (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist zunächst sehr zu begrüßen, dass wir erneut über den Wald diskutieren.
Es ist richtig, heute den Blick nach vorne zu richten, denn bei den laufenden Maßnahmen, also dem, was gerade im AfD-Antrag angesprochen wird – Beseitigung von Schadholz usw. –, ist das meiste, was man tun kann, eingeleitet. Das begrüßen wir auch ausdrücklich. Es macht deshalb Sinn, wirklich nach vorn zu gucken.
Vielleicht liegt es daran, dass Sie so Ihre Probleme mit der Anerkennung des Klimawandels und damit haben, dass er sich in den letzten Jahren dramatisch verändert hat und wir darauf eben auch im Wald reagieren müssen.
Ich hätte mir übrigens auch gewünscht, Frau Ministerin, dass wir diese klimatischen Änderun- gen in der Schmallenberger Erklärung ausdrücklich ganz nach vorn gestellt hätten.
Ich finde, die sind so wesentlich, die verändern alles. Die verändern die Art und Weise, wie wir Landwirtschaft betreiben werden. Sie werden natürlich auch den Wald deutlich verändern. Darauf müssen wir auch reagieren.
Stürme, Dürre, Hitze und letztlich der Borkenkäfer – alles hängt mit den klimatischen Verän- derungen zusammen; daher sollten wir das auch alle zusammen nach vorn stellen.
Alle jetzt gemachten Maßnahmen sind Nachsorge, also: Wir reparieren. Es ist auch richtig, das zu tun; man muss darauf reagieren.
Aber unserer Fraktion ist es wichtig, den Blick weit nach vorn zu richten und auch noch mal deutlich zu sagen: Wir könnten an der Stelle schon viel weiter sein, wenn wir alle zusammen die Warnungen, die wir gerade mit Blick auf den Wald seit 30 Jahren bekommen, ernst ge- nommen hätten und die Aufgabe Klimaschutz – wir haben heute schon mal darüber diskutiert, wir haben immer wieder hier im Landtag darüber diskutiert – wirklich beherzt anpacken wür- den.
Das würde unserem Wald am allermeisten helfen und nicht das, was der Kollege von der FDP gesagt hat, nämlich so was wie Aufforstung. Ich glaube, Aufforstung ist kein zentraler Punkt in der Frage, wie wir den Wald der Zukunft gestalten können.
Leider haben wir in den letzten 30 Jahren aber in puncto Klimaschutz mehr nach dem Motto gehandelt: Augen zu und durch. – Wir haben ihn nicht wahrhaben wollen. Manche Kollegen wollen ihn immer noch nicht wahrhaben. Aber es wäre gut gewesen, wenn wir früher gehan- delt hätten.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Höne?
Norwich Rüße (GRÜNE): Ja, immer.
Vizepräsident Oliver Keymis: Das ist sehr nett von Ihnen.
(Norwich Rüße [GRÜNE]: Er hat gar keine! – Markus Diekhoff [FDP]: Nein, nein, nein! Ich bin es!)
–  Ah, Entschuldigung. Herr Diekhoff.
Markus Diekhoff (FDP): Ich sitze auf dem falschen Platz. – Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen, Herr Rüße.
Wiederaufforstung ist für Sie die falsche Idee. Welche Idee haben Sie dann, um die Schäden in der Dimension, wenn noch keine Naturverjüngung da ist, ohne Wiederaufforstung zu beheben?
Sie sprachen gerade von „falschen Baumarten“. Ich erinnere mich noch sehr gut, dass die Buche klimafest sein sollte und jahrelang von den Grünen propagiert wurde. Nun weist sie aber massive Schäden im nordrhein-westfälischen Wald auf.
Norwich Rüße (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Kollege, für die Frage. – Ich habe mich auf den Begriff „Aufforstung“ bezogen. Unter Aufforstung verstehe ich eben das aktive Eingreifen in den Wald durch Anpflanzung. Man pflanzt kleine Setzlinge und bildet einen Wald heraus.
Fahren Sie mal in die ostdeutschen Länder. Die haben das richtig weit getrieben. Gucken Sie sich mal an, wie die aufgeforstet haben und was dort für Wälder zu Zeiten der DDR entstanden sind. Da ist alles komplett danebengegangen.
Das hat man hier nicht ganz so schlimm gemacht, aber wir haben gute Hinweise darauf, dass die Bäume, die durch Naturverjüngung wachsen …
Das können Sie vielleicht auch in Ihrem eigenen Garten feststellen, wenn Sie einen haben. Wenn Sie dort einen Baum haben, der durch einen Vogel hingeworfen oder warum auch immer keimt und wächst, ist er deutlich stabiler gegenüber Dürre, als wenn Sie einen Baum haben, den Sie einmal versetzen und in Ihrem Garten anpflanzen.
Ich gebe Ihnen recht: Wir werden nicht umhinkommen zu ergänzen, aber wenn Sie den Begriff „Aufforstung“ so nach vorn stellen, ist das aus meiner Sicht falsch.
Meiner Meinung nach muss unser Leitmotiv sein: Naturverjüngung da, wo immer möglich, und Anpflanzung da, wo ergänzungsweise nötig. – Das muss der Weg sein.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
Neue Baumarten, die wir ausprobieren wollen, die vielleicht stressstabiler sind, können wir dann an der einen oder anderen Stelle mal als Drubbel anpflanzen, aber auch nicht flächig. Das muss der Weg der Zukunft sein. Wenn wir uns darauf einigen können, glaube ich, sind wir schon ein großes Stück weiter.
Ich will noch kurz auf Folgendes eingehen: Ich glaube, dass wir in der Vergangenheit erheb- liche forstpolitische Fehlentscheidungen getroffen haben, die uns jetzt auf die Füße fallen, angefangen bei der Forstreform und dem aus meiner Sicht teilweisen Rückzug der Forstverwaltung aus der Fläche.
Ich bedaure immer noch sehr, dass wir das damals gemacht haben. Da ist der Förster ein Stück weit aus der Fläche rausgezogen worden. Es ist eigentlich auch nicht ausreichend, dass wir nur 300 haben, die tatsächlich in der Fläche für die Waldbäuerinnen und Waldbauern zur Verfügung stehen. Das ist ungünstig.
Auch ungünstig ist natürlich, dass wir in dieser Krise die Umstellung in der Förderung haben. Die Waldbauern haben andere Dinge zu tun, als sich jetzt schon auf ein neues Fördersystem einzustellen. Wir haben mehrfach angemahnt, das noch mal zu verschieben. Das tut die Landesregierung nicht. Das halten wir auch für falsch. Das würden wir uns anders wünschen.
Für uns ist auch ein wichtiger Punkt: Wir sind der Meinung, dass der Antrag der Regierungsfraktionen letztlich nicht wirklich aufzeigt, wo der Weg hingehen soll. Aus unserer Sicht bleiben Sie mehr oder weniger im Nebulösen. Sie loben sich für das, was Sie schon in puncto Krisen- bewältigung gemacht haben, aber beim Blick nach vorn fehlt aus unserer Sicht einiges.
Für uns drücken Sie sich um einen Punkt herum; das kann ich angesichts der Debatten, die wir darüber hatten, auch verstehen. Für uns ist der entscheidende Punkt die Lösung des Wald-Wild-Konfliktes: Wie kommen wir zu einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Wald und Wild?
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
Ich verstehe ja, dass das für die CDU und für die FDP schwierig ist. Es hat ja Spaß gemacht, uns damit damals beim ökologischen Jagdgesetz zu treiben – vielleicht sogar wider besseres Wissen.
Jeder, der sich ernsthaft mit der Materie befasst hat, wusste, dass wir überhöhte Wildbestände haben und dass es richtig ist, diese Verbissgutachten einzuführen.
Trotzdem wurden sie damals ja massiv kritisiert: Das sei ja alles falsch. Wenn jemand viel Wild in seinem Wald haben wolle, sei das doch sein gutes Recht, wurde damals argumentiert. Jetzt fällt uns das auf die Füße.
(Unruhe)
Wir haben die Kleine Anfrage zu den Verbissgutachten; ich habe gerade die Antwort darauf bekommen. Es ist gut, wenn wir endlich einen Anfang machen. Setzt man das aber in Relation zu der Gesamtzahl der Jagdreviere, sind wir natürlich tatsächlich erst am Anfang.
Seit 2015 gibt es die Möglichkeit. Ich würde mir mehr Geschwindigkeit und die Konsequenz wünschen, dass wir bei den unteren Jagdbehörden tatsächlich auch nachhalten: Was tut ihr denn? Kommt es zu den Abschüssen? Passiert da was?
Nur so kommen wir tatsächlich voran und bekommen die Naturverjüngung, die ich aus den eben genannten Grünen für richtig halte, durchgesetzt.
Das ist der Punkt. Wir müssen die Jagd in ihrer dienenden Funktion für den Wald stärken und die Jägerinnen und Jäger fordern, dass sie diesen Job auch erfüllen, denn ansonsten ist alles andere, was wir tun, Makulatur.
Ich sage ganz deutlich: Ich habe keine Lust, dass wir Steuergelder in das Einzäunen von Anpflanzungen stecken, wo wir es andererseits durch ein vernünftiges Wald-Wild-Verhältnis schaffen könnten.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, Sie kommen zum Schluss.
Norwich Rüße (GRÜNE): Ich komme zum Schluss; das ist ein so schönes Thema.
Vizepräsident Oliver Keymis: Das ist eines der vielen schönen Themen im Hohen Hause, selbstverständlich. Aber jetzt kommen Sie zum Schluss; Sie sind am Ende der Redezeit.
Norwich Rüße (GRÜNE): Ich komme zum Schluss. – Hinsichtlich des Antrages der SPD möchte ich klar sagen, dass wir uns eine Überweisung gewünscht hätten, wir ihn aber mittra- gen. Die beiden anderen Anträge lehnen wir ab.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön. – Jetzt gibt es noch eine Kurzintervention. Sie können diese gerne von hier aus oder von Ihrem Platz aus abarbeiten, Herr Rüße.
Herr Keith hat die Kurzintervention für die AfD-Fraktion angemeldet. Er selbst möchte sie auch nutzen, wenn ich das richtig notiert habe. Bitte schön.
Andreas Keith (AfD): Vielen Dank, Herr Präsident, für die Erteilung des Wortes. – Sehr geehrter Herr Rüße, ich möchte es jetzt hier im Plenum vor so vielen Leuten sagen: Wir als AfD leugnen nicht, dass es Klimaveränderungen oder den sogenannten Klimawandel in Regionen auf dieser Erde gibt. Das leugnen wir nicht.
Das Einzige, was wir anzweifeln – und ich meine auch mit Recht –, ist der Anteil, der angeblich vom Menschen gemacht worden ist. Ich denke, das ist ein wichtiger Unterschied.
Wir bezweifeln vor allen Dingen, dass die Methoden bzw. die Maßnahmen, die jetzt ergriffen werden, diese Klimaveränderungen überhaupt beeinflussen können.
Ich denke, man sollte das differenziert betrachten und nicht immer generell sagen, wir würden irgendetwas wie den Klimawandel leugnen. Das ist nicht wahr; ich habe es eben dargelegt.
Das Zweite ist: Wenn Sie die Naturverjüngung möchten, sind Sie dann auch bereit, die extremen Kosten, die dadurch entstehen, zu übertragen und an wen?
Sie können nicht mit Geräten in den Wald und eine Holzentnahme vornehmen, sondern Sie müssen eine Einzelentnahme machen. Sie müssen unter Umständen mit Pferden rücken, wie auch immer, je nach Bestand.
Bei einem Eichenbestand können Sie nicht mit einem Harvester in den Wald. Es entstehen immense Kosten. Wer soll die übernehmen? Auch darüber hätten wir im Ausschuss sprechen können.
Ich möchte es nicht versäumen, einmal das Waldbaukonzept zu loben; das ist wirklich gut. Ich denke, aufgrund meiner Ausbildung, Frau Heinen-Esser, da sind Sie überrascht, kann ich …
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Keith, die 1:30 sind um.
Andreas Keith (AfD): … als einer der wenigen beurteilen, dass es wirklich gut ist. Es ist wirk- lich schwer, etwas zu finden, wo man ansetzen kann. Aber es enthält einen Zukunftsplan, den man entsprechend umsetzen kann.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Keith. – Jetzt haben Sie, Herr Rüße, die Möglichkeit zu antworten. 1:30 Minuten für Sie.
Norwich Rüße (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Keith, der Unterschied zwischen uns ist, dass Sie glauben, dass es diesen Klimawandel immer wieder gibt, dass er ein Auf und Ab in der Geschichte des Erdballs ist. Da sind wir grundsätzlich anderer Meinung.
An der Stelle verharmlosen Sie den Klimawandel. Man kann die Kurven – Beginn der Industrialisierung und Anstieg der Temperaturen – gut übereinanderlegen. Sie sind dermaßen deckungsgleich, dass es schon schizophren ist, wenn man den Zusammenhang leugnet.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ihre andere Frage bezog sich auf die Naturverjüngung und die Kosten. Ich meine, wenn man nach draußen geht und sich die Wälder ansieht, werden Sie feststellen, dass es mehr Wertverlust, eine größere Kapitalvernichtung eines über Jahrzehnte angewachsenen Waldes durch Nichtnaturverjüngung von Wäldern, die in der Form eben nicht diesem Klima standhalten, wie wir es jetzt haben, gar nicht geben kann.
Sie können dann locker mit dem Pferd im Wald rücken, wenn Sie dann noch etwas zu rücken haben, was bei vielen Waldbauern zurzeit nicht mehr der Fall ist.
(Beifall von den GRÜNEN)