Monika Düker: „So schafft man Politikverdrossenheit, indem man dieses Thema einfach nicht ernst nimmt“

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktionen der SPD und der GRÜNEN im Landtag zur Transparenz beim Hambacher Wald

Monika Düker (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte …
(Anhaltende Unruhe)
– Können wir anfangen, Herr Präsident?
Präsident André Kuper: Bitte, gern.
Monika Düker (GRÜNE): Ich glaube, ich habe hier überwiegend gerade das Wort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Präsident! Der Hambacher Wald ist zu einem Symbol geworden.
(Zurufe von der CDU und der FDP: Forst!)
– Wir sind hier doch nicht im Kindergarten!
(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von CDU und FDP – Unruhe ‑Glocke)
– Wissen Sie was, liebe Kolleginnen und Kollegen? Da unten werden gleich Tausende von Jugendlichen stehen.
(Zurufe von der CDU und der FDP)
Wenn die und auch andere, die für mehr Klimaschutz demonstrieren, mitbekommen würden, was Sie hier für einen Kindergarten aufführen, wenn wir vom Hambacher Wald reden.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
So schafft man Politikverdrossenheit, indem man dieses Thema einfach nicht ernst nimmt.
(Zurufe von der CDU und der FDP)
Sie haben die Zeichen der Zeit offenbar immer noch nicht erkannt.
(Zurufe von der CDU und der FDP – Unruhe – Glocke)
Präsident André Kuper: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf alle bitten. Es ist ein emotionales Thema; das ist verständlich. Aber ich darf alle noch einmal bitte, der Rednerin mehr Aufmerksamkeit zu zollen. Danke schön.
Monika Düker (GRÜNE): Es ist wahrscheinlich deswegen so ein emotionales Thema für die Herren hier in den ersten Reihen, weil es das Dokument des Scheiterns Ihrer Politik geworden ist, und deswegen regen Sie sich hier so auf.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Josef Hovenjürgen [CDU]: Sie haben die Leitentscheidung getroffen!)
Es ist ein Dokument des Scheiterns der Politik des Ministerpräsidenten, eine Politik, die letztlich an der Realität gescheitert ist, eine Politik, die sich geweigert hat, Verantwortung zu übernehmen.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Es war eure Leitentscheidung!)
Eine Politik, Herr Ministerpräsident, die in dieser Republik letztlich gespalten statt versöhnt hat, und eine Politik, die über die Hintergründe der Räumung die Öffentlichkeit nachweislich getäuscht hat. Das wissen wir seit gestern aus der Fragestunde,
(Zuruf: Seit vorgestern!)
und das belegen auch die Akten.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ein Ministerpräsident, der nicht nur in Hambach, aber gerade da so viel Vertrauen und Glaubwürdigkeit verspielt hat, sollte heute hier zu diesem Sachverhalt endlich einmal Stellung beziehen und es nicht wieder seinem Minister Reul und der Ministerin Scharrenbach überlassen.
Die Geschichte fing ja nicht erst gestern an.
(Zuruf von der FDP: 2016! – Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU] – Weitere Zurufe von der CDU und der FDP)
– Kommen Sie doch endlich mal alle wieder von diesem Pavianhügel runter, Josef Hovenjürgen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Es war kein grüner Parteitag, sondern es war der Vorsitzende Richter am Verwaltungsgericht Köln, der Ihnen bei einem Urteil ins Stammbuch geschrieben hat:
(Zurufe)
Lösen Sie diesen Konflikt politisch. Stellen Sie Rechtsfrieden her. Reden Sie mit den Leuten. Schlichten Sie.
Was haben Sie gemacht?
(Dietmar Brockes [FDP]: Wer hat denn die Leitentscheidung getroffen?)
Sie haben alle Vergleichsvorschläge des Gerichts einfach abgelehnt. Sie haben auf Konfrontation gesetzt,
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN – Zurufe)
und Sie haben RWE dieses Märchen geglaubt: Wenn wir da jetzt nicht roden, gehen in Deutschland die Lichter aus. Alle Hilferufe …
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Leitentscheidung! Ich sage nur: grüne Leitentscheidung!)
Es waren über 50 Organisationen von der Evangelischen Kirche bis zu Klimaschutzbündnissen. Es waren doch nicht nur wir Grünen. Die haben sich mit Hilferufen an Sie gewandt, Herr Ministerpräsident.
Während RWE in der Staatskanzlei und in den Ministerien ein‑ und ausging,
(Herbert Reul, Minister des Innern: Na, na, na, na!)
hat die Zivilgesellschaft noch nicht mal eine Antwort von Ihnen bekommen. So haben Sie sich einseitig zum Interessenvertreter des Konzerns gemacht und die Zivilgesellschaft nicht gehört.
(Beifall von den GRÜNEN)
Im Sommer 2018 sind die Lichter immer noch nicht ausgegangen; der Wald stand immer noch. Spätestens jetzt war politisch klar: Die Kohle unter dem Wald wird nicht mehr benötigt. Die Kohlekommission wurde eingesetzt. Allen war klar: Der Wald wird bleiben.
Dann – ich habe es in den Akten ja auch mit Erstaunen gelesen – läutete RWE das sogenannte Rodungsfinale ein. Was für ein Anachronismus, mit den Kettensägen Fakten schaffen zu wollen und ein Exempel zu statuieren, während die Kohlekommission tagt.
(Dietmar Brockes [FDP]: Die letzten 50 Bäume wurden von Besetzern gefällt!)
Allerspätestens jetzt, Herr Ministerpräsident, hätten Sie die Reißleine ziehen müssen, wenigstens mit RWE Klartext reden müssen, die Rodung wenigstens bis zum Ergebnis der Kohlekommission aussetzen und das Primat der Politik geltend machen müssen
(Zurufe von der CDU und der FDP)
oder handeln, wie die Gewerkschaft der Polizei es genannt hat: reden statt roden.
Auch hier haben Sie sich dagegen entschieden und weiter auf Konfrontation mit der Zivilgesellschaft gesetzt.
(Beifall von den GRÜNEN)
Aber dann gab es Widerspruch aus den eigenen Reihen.
(Zuruf von Marc Lürbke [FDP])
Herr Reul und Frau Scharrenbach, die zuständigen kommunalen Ordnungsbehörden, so können wir jetzt ja lesen, halten ein Einschreiten nicht für geboten.
Die Polizei vermerkt keine eigene Zuständigkeit und handelt nur auf Bitte um Vollzugshilfe anderer Behörden. Die finden sich aber nicht. Da hätte man ja sagen können: Dann machen wir diese Akte zu, Frau Scharrenbach.
Aber auch hier wieder eine Entscheidung gegen Schlichtung: Wenn man nicht gebeten wird, organisiert man sich die Vollzugshilfe einfach selbst durch Weisung.
Dafür braucht man ja irgendwie eine Legitimation. Das Gutachten? – Bislang wissen wir nur, dass das aufgrund eines Telefonats in Auftrag gegeben wurde. Hier bleiben viele Fragen offen, ob hier die Vergaberichtlinien eingehalten wurden. Ich habe große Zweifel daran. Diese Überprüfung muss und wird weiter stattfinden.
(Beifall von den GRÜNEN)
Der Bund Deutscher Kriminalbeamter, Herr Reul, ist bestimmt keine Vorfeldorganisation der Grünen.
(Zuruf von der FDP)
Der Bund Deutscher Kriminalbeamter bilanziert an dieser Stelle – ich zitiere aus der Presseerklärung –:
„Diese Amtshilfe hätte zum jetzigen Zeitpunkt versagt werden müssen, weil dem Land erhebliche Nachteile bei der Gewährleistung der Sicherheit für die Bevölkerung entstehen.“
Das ist an Deutlichkeit nicht zu übertreffen.
(Zurufe von der CDU)
Entgegen Ihrer Aussagen vorgestern hier im Plenum bei der Fragestunde wurde Bereitschaftspolizei von den Kriminalitätsbrennpunkten abgezogen. Ich weiß es doch selbst aus der Altstadt in Düsseldorf. Sie sagten gestern meines Wissens nicht: Die Bereitschaftspolizei ist da gewesen.
(Herbert Reul, Minister des Innern: Nee, nee, nee! Das habe ich nicht gesagt!)
– Nein, die Bereitschaftspolizei wurde abgezogen, die Sicherheit wurde gefährdet,
(Herbert Reul, Minister des Innern: Nee, nee! – Zuruf von der FDP: Falsch! Falsch!)
und Sie haben auf dem Rücken von Polizistinnen und Polizisten einen völlig unnötigen Einsatz gefahren.
(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der CDU)
Herr Minister, Sie sind ja bekannt dafür, für den Applaus an Stammtischen auch schon mal die Tatsachen zu verdrehen.
(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
Ihre Aussage, dass für Windräder in Aachen mehr Bäume gerodet werden als im Hambacher Wald: falsch, mussten Sie zurücknehmen.
(Zurufe von der CDU)
Sie haben gesagt, dass sich die Zahl der Straftaten im Sommer 2018 erhöht hätte. Aber sie hat sich gar nicht erhöht. Gegenüber dem Halbjahr davor hat sie sich halbiert. Auch hier eine Aussage, die so nicht stimmte.
(Marc Lürbke [FDP]: 1.700 Straftaten in drei Jahren!)
Sie haben Ihre Polizeibeamten von Tunnelsystemen … Wir waren ja im Hambacher Wald im Vietnamkrieg.
(Zurufe von der CDU)
All das mussten Sie korrigieren.
(Marc Lürbke [FDP]: 1.700 Straftaten!)
Dann erinnern Sie sich im Plenum interessanterweise an Gespräche mit RWE. Ein paar Wochen später fragt Sie der WDR; da erinnern Sie sich wieder nicht. Einen Tag später erinnern Sie sich doch wieder.
Bei einem Minister, der sich so oft korrigieren muss, frage ich mich: Ist das wirklich nur ein schlechtes Gedächtnis oder Strategie?
Mein Fazit: Dem Konflikt, Herr Ministerpräsident, hätten Sie von Anfang an den Boden entziehen können und müssen, wenn Sie einfach nur Ihren Job mit einem Rodungsmoratorium gemacht hätten. Dann hätte dieser Konflikt niemals stattgefunden.
Bis jetzt sprechen Sie keinen Bestandsschutz für den Hambacher Wald aus.
(Zuruf von der CDU: Forst!)
Ich fordere Sie auf: Machen Sie es heute endlich. Senden Sie ein Zeichen an „Fridays for Future“ und sagen: Dieses Kapitel ist beendet, der Wald wird bleiben.
Die Legitimation des größten und völlig unnötigen und unverhältnismäßigen Einsatzes der Polizei, Herr Reul, wurde politisch motiviert herbeibegutachtet. Der Zweck heiligt in einem Rechtsstaat nicht die Mittel. Deswegen werden wir diese Geschichte weiter aufarbeiten. Sie ist für uns noch nicht zu Ende erzählt. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin. –
Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von
Monika Düker (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Ministerpräsident, zu wesentlichen Fragen heute haben Sie sich nicht geäußert.
Sie haben sich heute nicht geäußert, welche Rolle Sie in diesem Konflikt gespielt haben. Sie haben uns bis heute nicht erklärt, warum wir zum Beispiel in den Akten, die wir einsehen konnten, nichts aus der Staatskanzlei finden. Es gibt einen Aktenordner, in dem sich ein paar Kleine Anfragen befinden.
(Herbert Reul, Minister des Innern: Die ist nicht zuständig!)
Was heißt das denn, Herr Laschet? Das können Sie uns heute ja erklären.
Entweder bedeutet das, Sie haben sich aus allem herausgehalten. Den zweiten Rettungsweg für die armen Waldbesetzer macht Frau Scharrenbach, die Polizisten und die Proteste aus den eigenen Reihen – es gab Proteste aus den eigenen Reihen – macht Herr Reul, und Sie haben mit all dem nichts zu tun. Das wäre die eine Variante.
Die zweite Variante ist: Sie haben mit entschieden, Herr Laschet. Wir möchten von Ihnen heute hören, ob Sie mit entschieden haben. Haben Sie diesen Polizeieinsatz mit abgesegnet? Haben Sie von dieser Gutachtervergabe gewusst? Haben Sie mit entschieden, dass RWE mit ihrem Antrag durchkommt? Haben Sie mit entschieden, dass nicht geredet, sondern geräumt wird? – Nehmen Sie bitte heute Stellung.
Bei beiden Varianten haben Sie, Herr Ministerpräsident, Ihren Job nicht gemacht.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ein Ministerpräsident hätte sich aus meiner Sicht einmischen müssen –
(Herbert Reul, Minister des Innern: Nein!)
in einen der größten gesellschaftlichen Konflikte, der weltweit Symbol geworden ist. Sogar die „New York Times“ weiß jetzt, wo der Hambacher Wald ist.
(Mehrere Zurufe: Forst!)
Sich aus diesem Konflikt rauszuhalten, wäre fahrlässig und verantwortungslos.
Eine Mitentscheidung wäre genauso fahrlässig gewesen, denn dann wären Sie mitverantwortlich gewesen für einen der – jawohl, ich sage es noch einmal – unsinnigsten und unverhältnismäßigen Einsätze der Polizei in Nordrhein-Westfalen.
(Beifall von den GRÜNEN – Beifall von der SPD)
Herr Laschet, die dritte Frage, die sich anschließt: Halten Sie noch an diesen Innenminister fest, der bis heute daran festhält,
(Zurufe und Lachen von der CDU und der FDP)
dass die Räumung auch ohne Rodungsantrag von RWE damals verhältnismäßig, richtig und in Ordnung war?
Herr Minister, Sie sollten heute auch einmal etwas kritisch reflektieren, ob es damals nicht vielleicht doch besser gewesen wäre, den Aufruf der Polizistinnen und Polizisten …
Ich habe mit ihnen geredet. Es waren der Bund Deutscher Kriminalbeamter und die GdP. Der Organisationsgrad beider Gewerkschaften ist sehr hoch. Beide Gewerkschaften haben Ihnen gesagt: Dieser Einsatz ist unverhältnismäßig. Er ist unverhältnismäßig, weil er die Sicherheit in unserem Land gefährdet.
Sie haben die Bereitschaftspolizei aus den Kriminalitätsbrennpunkten abgezogen, und Sie haben auf dem Rücken der Polizistinnen und Polizisten hier eine Machtdemonstration von RWE unterstützt. Das ist nicht Aufgabe der Polizei in NRW.
(Beifall von den GRÜNEN)
Eine Entschuldigung haben wir mehrfach gefordert. Sie haben heute die Chance vertan, sich für diesen unsinnigen Einsatz zu entschuldigen.
Herr Ministerpräsident, Sie haben die Chance vertan, hier für Klarheit zu sorgen, welche Rolle Sie dabei gespielt haben. Tauchen Sie nicht ab! Erklären Sie sich!
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)