Aktuelle Entwicklungen im Rechtsextremismus – Rechtsrock und rechter Kampfsport

Bericht zur Veranstaltung

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022
Mit unserer Fachveranstaltung vom 1. April 2019 haben wir uns näher mit aktuellen Entwicklungen im Rechtsextremismus und dort insbesondere mit den Bereichen Rechtsrock und Kampfsport beschäftigt. Hierzu haben wir Hendrik Puls von der Nachwuchsforschungsgruppe „Rechtsextreme Gewaltdelinquenz und Praxis der Strafverfolgung“ der Ruhr-Universität Bochum für eine Einführung, sowie Jan Raabe und Frederic Clasmeier von Argumente und Kultur gegen Rechts e.V. für Fachvorträge zu rechtsextremen Musikveranstaltungen und rechtem Kampfsport gewinnen können. Hinzu kam ein Kommentar des Historikers und Politikwissenschaftlers Peter Römer zum Thema Hooligans.

Aktuelle Entwicklungen in der Neonazi-Szene
Die Einführung von Hendrik Puls zeichnete die Entwicklung der rechtsextremen Szene der letzten Jahre in Nordrhein-Westfalen nach. Darin machte Puls zunächst deutlich, dass es bereits seit den 1970er Jahren neonazistische Parteien in Deutschland gibt, die sich an der Ideologie des Nationalsozialismus orientieren. Gewalt hat für sie einen hohen Stellenwert.
Das Verbot von vier gewaltbereiten Kameradschaften im Jahr 2012 in Nordrhein-Westfalen habe eine einschneidende Wirkung für die rechtsextreme Szene gehabt. Sie organisiere sich seitdem hauptsächlich in den Strukturen von „Die Rechte“ und „Der III. Weg“, die beide als Parteien auftreten und auch an Wahlen teilnehmen, aber ansonsten die Aktivitäten der verbotenen Kameradschaften fortführten. Hier versammle sich derzeit ein Großteil der gewaltbereiten Neonazi-Szene in Nordrhein-Westfalen.
Daneben bestehen die NPD und verschiedene rechtsextreme Vereine fort. Seit der Demonstration von HoGeSa („Hooligans gegen Salafismus“) im Oktober 2014 bilden sich laut Puls zudem rechtsextreme Hooligan-Gruppen, die sich auch in sogenannten Bruderschaften formieren. Internationale Neonazi-Netzwerke wie (Nachfolgeorganisationen von) „Blood&Honour“ (B&H) oder die „Hammerskins“ würden zwar in der Öffentlichkeit wenig wahrgenommen, spielten für die rechtsextreme Szene aber eine große Rolle.
Puls führte aus, dass all diesen Strukturen eine hohe Gewaltorientierung gemeinsam ist, die in rechten Kampfsportevents und Rechtsrockkonzerten einen Resonanzboden findet. Er schloss seinen Vortrag mit der These ab, dass hinter solchen Veranstaltungen eine strategische Entscheidung stehen könne, sich auf einen vorpolitischen Raum zu fokussieren.

Rechtsextreme Musikveranstaltungen und ihre Bedeutung für die Neonazi-Szene
Der Vortrag von Jan Raabe konzentrierte sich auf den Bereich des Rechtsrock, wobei Raabe auch herausstellte, dass die Rechtsrock-Szene und die rechte Kampfsport-Szene eng miteinander verwoben sind.
Unter dem Begriff Rechtsrock werden alle von Rechtsextremen produzierten Musikstücke gefasst. Darunter finden sich diverse Musikstile von Black Metal über Rock und Hip Hop bis hin zu Balladen, wobei rechte Rockmusik dominant ist. Der Altersdurchschnitt der rechten Musiker*innen liegt laut Raabe bei 25 bis 35 Jahren. Damit sei klar, dass es sich beim Rechtsrock nicht um ein Jugendphänomen handele, das sich auswächst, wie noch vor einigen Jahren angenommen wurde. Stattdessen handele es sich  um verfestigte Lebens- und Erlebniswelten. Dabei böte die Musik einen gemeinsamen Bezugspunkt und Lebensstil, der gemeinsame ideologische Vorstellungen umfasse.
In der Abnahme der Anzahl von rechten Labels und dem zunehmenden Angebot an Merchandisingartikeln sieht Raabe einerseits, dass die Probleme des allgemeinen Musikmarktes sich auch auf den Rechtsrock auswirken. Andererseits sieht er hierin auch eine zunehmende Professionalisierung. Während früher viel unprofessioneller produziert wurde, stünden den rechten Labels heute mehr Ressourcen zur Verfügung. Es gebe inzwischen Personen, die ihren Lebensunterhalt mit der Produktion von rechter Musik bestreiten können, was der Musik sowie den mit ihr eng verbundenen Modelabels eine wirtschaftliche Bedeutung zukommen lasse.
Eine weitere Beobachtung von Raabe ist die stärkere Orientierung der Szene an angemeldeten Musikveranstaltungen und Konzerten, die im Rahmen von politischen Veranstaltungen angemeldet sind. Nicht angemeldete kleinere Konzerte fänden heute nicht mehr so häufig statt. Das liege auch daran, dass die rechtsextreme Szene Zugriff auf Räumlichkeiten hat, die entweder im Besitz von Rechtsextremen stehen oder für rechtsextreme Veranstaltungen angemietet werden können. Als Beispiel nannte Raabe  das „Zuchthaus“ in Hamm, wo regelmäßig Veranstaltungen von „Der III. Weg“ stattfinden, die in der Regel mit Musik durchgeführt werden.
Auch „Die Rechte“ hält eine Vielzahl von Liederabenden ab. Obwohl sich die beiden Gruppen in ihrer Ideologie und Aktionsformen sehr ähneln, sei auch eine Konkurrenz erkennbar. So planten laut Raabe sowohl „Die Rechte“, als auch „Der III. Weg“ für den 6. Juli 2019 eigene Veranstaltungen. Dabei verstehe sich „Der III. Weg“ als Elite, während „Die Rechte“ offen für alle Rechtsextreme sein wolle.
Zum Abschluss seines Vortrags machte Raabe noch auf die Verschränkung des internationalen Neonazi-Netzwerks „Blood&Honour“ bzw. „Combat 18“ (C18) mit der rechtsextremen Musik-Szene aufmerksam. Die Rechtsrock-Band Oidoxie bekenne sich zu C18 und ihren rechtsterroristischen Zielen. C18 gilt als militante Untergruppierung des im Jahr 2000 verbotenen Blood&Honour‘“-Netzwerkes. C18 war von diesem Verbot jedoch nicht betroffen. Seit ein paar Jahren ist ein Wiederaufbau von C18 Strukturen zu beobachten. Eine wichtige Rolle kommt dabei auch C18-Mitgliedern aus dem Raum Dortmund zu. Aufgrund der hohen Gewaltorientierung und rechtsterroristischen Ausrichtung von C18 stelle sich die Frage, warum C18 bisher nicht verboten wurde. 
Rechter Kampfsport. Professionalisierung rechter Gewalt
Die gleichen Labels und Modemarken, die im Rechtsrock auftreten, finden sich auch im Rahmen des rechten Kampfsports wieder. Zudem gibt es viele personelle Überschneidungen. Frederic Clasmeier zeichnete in seinem Vortrag nach, wie sich in den letzten Jahren eine eigene rechte Kampfsport-Szene etabliert hat. Dabei verwies er jedoch ausdrücklich auf die lange Geschichte des rechten Kampfsports, der bereits zur Zeit des Nationalsozialismus eine große Rolle gespielt habe. Beispiele für rechtsextreme Kampfsportgruppen finden sich in den 1990er Jahren in der Kampfsportschule Hak Pao, aus der die vier Täter des Brandanschlags in Solingen im Jahr 1993 kamen, oder auch in dem 2009 verbotenen Verein „Heimattreue Deutsche Jugend“, der auch Wehrsportveranstaltungen abhielt.
Clasmeier erklärte, dass eigene Kampfsportveranstaltungen aus der rechtsextremen Szene für die rechtsextreme Szene ein neueres Phänomen sind, die es in etwa seit 2009 gibt. Unter der Überschrift „Kampf der Nibelungen“ bzw. Anfangs „Ring der Nibelungen“ werden seit 2013 Mixed Martial Arts (MMA) Wettbewerbe durchgeführt. Diese starteten mit ca. 100 Teilnehmenden und erreichten im Jahr 2018 eine Teilnehmerzahl von 700 Personen.
In den Jahren 2015 und 2017 haben solche Veranstaltungen auch in Nordrhein-Westfalen stattgefunden, führte er weiter aus. Unter den Organisatoren befinden sich bekannte Rechtsextreme aus dem Raum Dortmund und aus der Kölner Hooligan-Szene. Als Organisator von „Kampf der Nibelungen“ tritt Alexander D. aus Dortmund auf, der auch Mitglied des Landesvorstands von „Die Rechte“ ist. Eine weitere zentrale Figur in der rechtsextremen Kampfsport-Szene ist Denis K. (aka Denis Nikitin), der aus Köln kommt und das russische Modelabel „White Rex“ gegründet hat. „White Rex“ sei allerdings mehr als eine Modemarke. Das Label sei zentral eingebunden in die Organisation von rechten Kampfsportevents europaweit, erklärte Clasmeier.
Obwohl es in der Vergangenheit eine offene Rivalität zwischen den „Hammerskins“ und „Blood&Honour“ gegeben hat, seien Akteure aus beiden Netzwerken in die Organisation von rechten Kampfsportveranstaltungen eingebunden. Sie verstünden sich offenbar als eine Art „Kampfgemeinschaft“. Ideologische Bezüge zum Nationalsozialismus fänden sich in dem Körperkult und den Gesundheitsidealen, die der NS-Straight-Edge-Bewegung zugrunde lägen.
Obwohl es auch erfolgreiche Kämpferinnen in der rechten Kampfsport-Szene gibt, die teilweise auch auf nicht-rechten Kampfsportveranstaltungen auftreten, handele es sich um eine männlich dominierte Szene, die sich sexistischer Darstellungen von Frauen bediene. Nach Einschätzung von Clasmeier zeigt sich deutlich, dass die Szene das Ziel der Professionalisierung verfolge und versuche, große Hallen zu füllen. Dabei sollen auch Team Fights durchgeführt werden, die als eine Professionalisierung der Hooligan Kämpfe anzusehen seien. Ein wichtiges Handlungsfeld aus Sicht von Clasmeier sind nicht rechte Kampfsportevents, bei denen es noch eine geringe Sensibilität im Umgang mit rechtsextremen Kämpfer*innen und Symbolen gebe. Aufdeckung von rechten Hintergründen der Kämpfer*innen und öffentlicher Protest könne dem entgegenwirken. Die Kampagne „Kein Handshake mit Nazis“ von „Runter von der Matte“ wurde  als positives Beispiel genannt.
Hooligans als Gefahr im Stadion
In einem kurzen Input machte Peter Römer deutlich, dass bereits seit ca. 40 Jahren Versuche der rechtsextremen Szene zu beobachten seien, in Fußballstadien Nachwuchs zu rekrutieren. Die Hooligan-Szene und die rechtsextreme Szene seien bereits seit Langem miteinander verbunden aufgrund der hohen Gewaltorientierung. Immer wieder zeige sich, dass rechtsextreme Hooligans andere Fangruppen bedrohen. Römer sieht die Fußballvereine in der Pflicht, diese nicht rechten Fangruppen zu schützen und Antidiskriminierungsmaßnahmen durchzuführen. Den rechtextremen Kampfsport sieht Römer als Professionalisierung der sogenannten 3. Halbzeit.

Diese neuen Entwicklungen sehen wir als Grüne Landtagsfraktion NRW mit großer Sorge, da es sich dabei um eine weitere Radikalisierung einer ohnehin schon militanten rechtsextremen Szene handelt. Wir werden die rechtsextreme Szene in Nordrhein-Westfalen daher weiterhin genau beobachten und mit Kleinen Anfragen oder Beantragungen von schriftlichen Berichten der Landesregierung öffentlich auf diese Entwicklungen hinweisen.