Zukunftsplan Grundschule

Antrag der GRÜNEN im Landtag

I.         Ausgangslage
Die Grundschule ist die Schule des gemeinsamen Lernens. Wohnortnah gehen Kinder gemeinsam zur Schule, bevor sich die Wege nach Klasse 4 trennen müssen. Die Grundschule ist auch die Schule, in der der Anteil des gemeinsamen Lernens von Kindern mit und ohne Behinderung am höchsten ist. Sie leistet einen zentralen Beitrag für Integration und Inklusion, wirkt in den Stadtteil und legt den Grundstein für eine gelingende Bildungsbiografie.
Die Grundschulen in NRW brauchen eine bessere und systematische Unterstützung, sie brauchen mehr pädagogische Freiheit und Perspektiven für eine zukunftsfähige Unterrichtsentwicklung. Die Lehrkräfte brauchen eine gerechte und wertschätzende Bezahlung, Unterstützung durch multiprofessionelle Teams und Entlastungen.
Der Ganztag muss auch im Hinblick auf die vom Bund geplante Ganztaggarantie in seiner Qualität gesichert und weiterentwickelt werden.
Die Landesregierung hat verschiedentlich angekündigt, sich mit einem großen Wurf der Grundschule widmen zu wollen. Angekündigte Termine sind indes verstrichen, ohne dass auch nur in Ansätzen deutlich wird, womit sich der sogenannte „Masterplan Grundschule“ beschäftigen wird.

II.       Schulen im Quartier brauchen Unterstützung schulgenau

Die Grundschulen sind stärker mit dem Sozialraum verwoben, als es bei weiterführenden Schulen mit einem naturgemäß größeren Einzugsbereich der Fall ist. So wie sich die Kindertageseinrichtungen zu Familienzentren weiterentwickelt haben, sollen sich auch Grundschulen zu Quartiersschulen entwickeln können, in denen Beratungs- und Unterstützungsangebote für Familien angesiedelt werden. Hierfür sind Kooperationen mit Trägern der Jugend- und Familienhilfe sinnvoll und die Vernetzung z.B. mit Familienzentren. Die konkrete Ausgestaltung sollen Schulen und Schulträgern im Rahmen der Regionalen Bildungslandschaften gestalten. Multiprofessionelles Personal, z.B. aus den Bereichen Schulpsychologie, Jugend- und Familienhilfe soll für Grundschulen zur Verfügung stehen, gegebenenfalls durch Vernetzung mit anderen Schulen bzw. Einrichtungen. Die Zuweisung von Lehrerstellen, von Sonderpädagoginnen und -pädagogen und von multiprofessionellem Personal soll sich nach den Bedingungen des Sozialraums richten, in dem die Schule liegt. Hierfür wird ein schulscharfer Sozialindex in Ansatz gebracht, der im ersten Schritt auf die Grundschulen Anwendung findet. Für Standorte mit besonderen Herausforderungen ist auch die Absenkung des Stundendeputats zur Unterstützung vorzusehen. So wird die Tätigkeit an diesen Standorten attraktiver und die Gewinnung von Lehrkräften erleichtert.
Für Grundschulen muss mehr Personal in den Schulsekretariaten und für Hausmeisterdienste zur Verfügung stehen. Angesichts der angespannten Lage auf dem Lehrerarbeitsmarkt kann es nicht sein, dass eine Schulleitung zusätzlich mit Sekretariatsaufgaben strapaziert wird und andere wichtige Aufgaben auf der Strecke bleiben bzw. die Schulleitungen immer weiter belastet werden. Für die notwendigen Schulentwicklungs-, Team- und Koordinationsaufgaben sowie für die Vernetzung müssen Entlastungsstunden gewährleistet sein.
An den Grundschulen müssen konsequenterweise Beförderungsämter eingerichtet werden, um die Attraktivität im Berufsfeld zu steigern und den veränderten Anforderungen gerecht zu werden. Neben der fälligen Besoldungsanpassung und notwendigen Entlastungen wird so die Attraktivität für das Lehramt an Grundschulen gesteigert – auch beim Umstieg aus einem SEK I/SEK II Lehramt.
Schulen, die zurzeit vermehrt auf Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteigern angewiesen sind, brauchen eine gezielte Entlastung, da sie einen Großteil der Qualifizierung mit ihren Ressourcen leisten müssen.

III.      Der ganze Tag mit Qualität

Eine Ganztagsgrundschule muss ein Lebens- und Lernort sein, der Vertrauen, Sicherheit und Geborgenheit bietet. Der Ganztag bietet vielfältige Chancen, um die Selbstwirksamkeit zu stärken, und Gemeinschaft zu erleben und zu pflegen. Er ist Entwicklungsraum und kann Ansporn, Ermutigung und Herausforderung bieten. Räume und Zeiten, in denen Kinder sich erproben dürfen und ihre Kreativität entwickeln und erleben und die sie von vornherein mitgestalten können. In diesem Sinne kann der Ganztag nur kind- und jugendgerecht gestaltet werden, wenn er mit und durch die Kinder schon in der Grundschule gestaltet wird. Demokratische Prozesse sollen an dieser Stelle erfahren werden, indem sie genutzt werden, um den Ganztag räumlich, zeitlich und inhaltlich zu gestalten. Eine an den Schülerinnen und Schülern orientierte Rhythmisierung gelingt nicht in der klassischen Trennung zwischen Vor- und Nachmittag, Unterricht und außerunterrichtlichen Angeboten.
Eltern sowie Schülerinnen und Schüler sollen in die Planung und Gestaltung des strukturierten Ganztags einbezogen werden. Offene Ganztagsschulen müssen entscheiden können, ob und wie sie ihren offenen Ganztag zu einem gebundenen Ganztag weiterentwickeln. Das gilt für die Inhalte, die Teamarbeit und Fortbildung der multiprofessionellen Fachkräfte und ein gemeinsam nutzbares Raumkonzept.
Offene Ganztagsangebote sind grundsätzlich Bildungsangebote, die eine gute pädagogische Qualifikation der Beschäftigten ebenso voraussetzen, wie eine gute Abstimmung mit den Kollegien und den Schulleitungen, einschließlich ihrer Verankerung in der Schulkonferenz. Zentrale Grundlage ist die enge Zusammenarbeit auf Augenhöhe zwischen Schule, Kultur und Sport, Jugendhilfe und Sozialagenturen. Inklusionsassistenzen müssen über den gesamten Tag zur Unterstützung zur Verfügung stehen.
Der Ganztag soll Schülerinnen und Schülern ermöglichen an Vereinsaktivitäten teilzunehmen, sich zu engagieren, sich sportlich, musikalisch oder künstlerisch zu betätigen. Bei einem offenen und erfolgreichen partizipativen Prozess der Weiterentwicklung der Qualität ist ein strukturierter, verbindlicher und verlässlicher Ganztag erreichbar. Grundschulen sollen ermutigt werden, den Weg zur gebundenen Ganztagsschule mit vielfältigen Kooperationen in partizipativen Prozessen mit den Eltern und Kindern zu gehen.
Die Qualität und Ausgestaltung der Ganztagsschulen ist derzeit vielfach abhängig von der Finanzkraft der Kommunen und ihrer Möglichkeit, freiwillige Beiträge zur Ausgestaltung des Ganztages zur Verfügung zu stellen. Die Qualität des Ganztages muss aber auf landesweit gültigen Standards beruhen. Das gilt für die personelle und räumliche Ausstattung.

IV.     Perspektiven für eine Grundschule der Zukunft

Die Arbeit in der Grundschule muss sich auf Pädagogik der Vielfalt stützen.
In einem Grundlagenpapier zur Vorbereitung des Bundesgrundschulkongresses vom 13. – 14.9.2019 in Frankfurt a.M. anlässlich des Jubiläums 100 Jahre Grundschule und 50 Jahre Grundschulverband formuliert der Grundschulverband Leitsätze.
Das Stichwort „LERNEN meint: Kinder zu begaben. Unterricht und Schulleben sind so zu gestalten, dass jedes Kind die Chance auf ein selbstständiges, eigenverantwortliches, betreutes bzw. begleitetes und möglichst lustvolles Lernen hat. Schule muss mithin die individuellen Potenziale der einzelnen Kinder aufgreifen und jedem Kind das Recht auf Bildungsbeteiligung und einen mitverantworteten Lernprozess ermöglichen. Die Schule der Zukunft zielt demnach weniger auf Auslese, sondern vielmehr in Richtung einer neuen Lernkultur. Die Aufgaben lauten: Lernen als Ko-Konstruktion begreifen; das Verhältnis von Instruktion und Konstruktion klären; die Ablösung der Noten- und Ausleseschule durch eine pädagogische Leistungskultur herbeiführen.
Das Stichwort „ZUKUNFT bezieht sich auf das Zusammenspiel und die Balance von Kind- und Wissenschaftsorientierung bei der Bestimmung der heute bedeutsamen Inhalte, der morgen erforderlichen Kompetenzen und der dafür jeweils geeigneten zeitgemäßen Lernsituationen in allen curricularen und extra-curricularen Aktivitäten der Grundschule. Die Grundschulbildung steht vor der Herausforderung, in einer hoch dynamischen Gesellschaft zukünftige Entwicklungen rechtzeitig aufzuspüren und aufzunehmen, um die Kompetenzentwicklung der Kinder für ihr aktuelles und künftiges Leben an immer wieder neu sorgfältig auszuwählenden Inhalten zu begleiten und zu fördern.“
Demgemäß begreift das Papier „KINDER LERNEN ZUKUNFT“ vor allem als „Selbstvertrauen stärken, individuelle Fähigkeiten, Fachwissen und Gestaltungskompetenzen ausbilden, Demokratie lernen, Friedensfähigkeit entwickeln.“ (https://bundesgrundschulkongress-2019.de/wp-content/uploads/2018/08/180730_Grundlagenpapier-BGK.pdf (abgerufen 1.7.2019)
Verstärkt sollten Grundschulen dabei auch die Möglichkeiten altersgemischter und offener Lernformen nutzen.
Kinder lernen eben nicht nur lesen und schreiben. Es wird mit Neugier in die Welt geschaut und Kinder wollen sie sich aneignen. Von hoher Bedeutung für ein gelingendes Aufwachsen ist dabei auch die Förderung von Bewegung, Gesundheit, sozialer und kultureller Teilhabe, Naturerleben z.B. durch die Einbeziehung außerschulischer Lernorte.
Unter dem Primat der Pädagogik der Vielfalt und didaktischen Einbettung ist die „digitale Lebenswelt“ ein Gegenstand der Auseinandersetzung, Gestaltungswerkzeug und didaktische und methodische Chance zur individuellen Förderung.
Nordrhein-Westfalen hat mit der Arbeit einer Reihe von Hochschulen Expertise vorzuweisen, um die systematische Verankerung der informatischen Grundbildung auf den Weg zu bringen sowie entsprechende Multiplikatorinnen und Multiplikatoren sowie Lehrkräfte fortzubilden.
Schülerinnen und Schüler und ihre Eltern sollen durchgehend durch alle Schulstufen und Schulformen ein Unterrichtsangebot wahrnehmen können, in dem Grundfragen der menschlichen Existenz, prinzipielle Fragen wie etwa des Verhältnisses von Mensch, Natur und Technik, um Individuum und Gesellschaft sowie Wertvorstellungen hergeleitet, diskutiert und reflektiert werden. Ergänzend zum bekenntnisorientierten Religionsunterricht, gerade auch im Sinne der Religionsfreiheit, soll das Fach Praktische Philosophie endlich in der Grundschule eingeführt werden. Kinder sollen sich mit Sinn-, existentiellen und Wertefragen außerhalb eines bekenntnisorientierten Unterrichts auseinandersetzen können. Während es in der Sekundarstufe das Angebot der Praktischen Philosophie gibt, ist ein solches Angebot in der Grundschule nicht vorgesehen. Angesichts der zunehmend größeren Zahl von Kindern ohne Bekenntnis ist ein solches Angebot jenseits des bekenntnisorientierten Religionsunterrichts mehr denn je nötig. Ein Mustercurriculum für ein Fach „Philosophieren mit Kindern“ liegt seit drei Jahren vor. Neben der systematischen Etablierung eines konfessionell-kooperativen bekenntnisorientierten Religionsunterrichts sollte das Angebot Praktische Philosophie in der Grundschule flächendeckend zur Verfügung stehen.
Erfolgreiche Bildungswege brauchen gute Übergänge. Nach wie vor sind viele Bildungsbiografien von unfreiwilligen Brüchen gekennzeichnet. Mit einem koordinierten Übergangsmanagement zwischen Kita und Grundschule und einer engen Kooperation kann der Übergang an der „ersten Schwelle“ im Bildungssystem für Kinder positiv gestaltet werden. Grundschulen und Kitas sollen dazu auch personell verstärkt kooperieren können.
Mehrsprachigkeitsdidaktik und sprachsensibler Unterricht in allen Lernprozessen sollte in die vielfältigen pädagogischen Professionen systematisch Eingang finden, in der Aus- und Fortbildung verankert werden. Darüber hinaus sollte der herkunftssprachliche Unterricht eine didaktische Verbindung mit dem Regelunterricht durch alle Schulstufen hinweg erfahren. Sprach(en)lernkonzepte, die die Vermittlung der Bildungssprache unter Bedingungen von lebensweltlicher Mehrsprachigkeit sicherstellen, müssen schulische Bildungsprozesse – beginnend mit der Primarstufe – begleiten.

V.       Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

1.       ein Konzept zu erarbeiten, wie Grundschulen sich zu Quartiersschulen mit der entsprechenden Vernetzung entwickeln können,
2.       ein Unterstützungskonzept für Grundschulen in NRW zu erarbeiten, das auch einen schulscharfen Sozialindex und eine Absenkung des Stundendeputats im Bezug zu konkreten Standortfaktoren beinhaltet,
3.       bei der Gewährung von Leitungszeit und Entlastungsstunden sich stärker an der tatsächlichen Belastung zu orientieren und hier nachzusteuern,
4.       bei der Bezahlung der Lehrkräfte der Grundschule die erforderliche Anpassung an das Niveau der Lehrkräfte in der Sekundarstufe II vorzunehmen,
5.       die Attraktivität für das Grundschullehramt durch Beförderungsämter insgesamt zu erhöhen,
6.       Grundschulen zu ermöglichen, in den gebundenen Ganztag zu wechseln,
7.       die Qualität des Offenen Ganztags durch eine Grundförderung je OGS-Gruppe sicherzustellen,
8.       eine systematische Fortbildung der Lehrkräfte und aller im Offenen Ganztag Beteiligten vorzusehen und die notwendigen Mittel bereitzustellen,
9.       informatische Grundbildung in Kooperation mit den Hochschulen in NRW in der Grundschulen zu implementieren,
10.    entsprechende Fortbildungen entwickeln zu lassen und die dafür notwendigen Mittel bereitzustellen.
11.    eine durchgängige Mehrsprachigkeitsdidaktik, sprachsensibler Unterricht sowie Sprachlernkonzepte systematisch in Aus- und Fortbildung zu implementieren,
12.    das Fach „Praktische Philosophie“ in der Grundschule einzuführen,
13.    den konfessionell-kooperativen Religionsunterricht in der Grundschule zu unterstützen,
14.    die pädagogische Eigenverantwortung der Grundschulen nicht einzuschränken, sondern stattdessen weitere Felder zu identifizieren, wo den Schulen mehr Freiheit eingeräumt werden kann.