Norwich Rüße. „Landwirtschaft, die ökonomischen Interessen eindeutig weit vor die Interessen der Ökologie setzt, halten wir für falsch“

Antrag der Fraktionen von CDU und FDP zum Artenschutz

Portrait Norwich Rüße

Norwich Rüße (GRÜNE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein bisschen überrascht war ich ja schon, dass Sie mit Ihrem Antrag „Artenschutz“ jetzt um die Ecke gekommen sind, da sich ja noch ein Antrag von SPD und den Grünen im Verfahren befindet, den wir erst noch ausdiskutieren müssen, zu dem wir noch ein Anhörung machen werden. Da wäre ja ausreichend Gelegenheit gewesen, sich einzubringen.
Das Thema „Artenschutz/Artenvielfalt“ ist in der Tat eines, das uns alle drängend beschäftigt. Wir wissen, Johan Rockström hat in seinen Studien die Frage des Verlustes an Biodiversität ganz nach oben gestellt. Er hat es als eines der größten Probleme auf dieser Erde bezeichnet. Von daher ist es natürlich gut, wenn wir uns damit beschäftigen.
Die Forscher haben ganz klar herausgearbeitet, wo die entscheidenden Ursachen liegen. Sie haben die Veränderung der Landnutzung ganz nach vorne gestellt. Sie haben die Intensivierung der Landwirtschaft nach vorne gestellt, die immer stärkere Anreicherung der Landschaften mit Stickstoff. Sie haben ganz klar gesagt, der Klimawandel hat einen Anteil. Und sie haben betont, Flächenzerschneidung und Flächenverbrauch sind ein wesentlicher Faktor. Aber ganz, ganz oben – da sind sich die Forscher einig; das bekommt Ihr Antrag auch nicht weggewischt – steht die Art und Weise, wie wir Landwirtschaft betreiben. Das ist die Hauptursache. Da werden wir ran müssen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Wenn man Flächenverbrauch und Landwirtschaft als zentrale Punkte ansieht, dann muss man auch mit einem Antrag die entsprechenden Antworten geben. Ihr Antrag ist jedoch aus meiner Sicht eher ein Sammelsurium von Allgemeinplätzen und weist nicht nach vorne.
Sie schreiben in Ihrem Antrag – ich zitiere –, dass „die Wissenschaft bisher noch keine eindeutigen Ursache-Wirkung-Beziehungen für den Artenrückgang ausmachen kann“. Das stellt die Tatsachen auf den Kopf. Wir haben hinreichend Forschung. Sie kritisieren damit all das, was in nordrhein-westfälischen Behörden passiert, wo man Maßnahmenkonzepte für kleinteilige Gebiete erarbeitet, was denn zu tun ist, um die Artenvielfalt zu erhalten. Das sind ja die Maßnahmenkonzepte, die gemacht werden. Sie müssen doch einmal akzeptieren, dass die eine sinnvolle Funktion haben,
(Zuruf von Markus Diekhoff [FDP])
um Naturschutzgebiete aufzuwerten und der Natur dort entsprechenden Raum zu bieten.
Stattdessen – das ist auf der Konferenz noch einmal deutlich gesagt worden – müssen wir viel mehr in die Fläche gehen. Es wird eben nicht reichen, um den Maisacker noch einmal einen Blühstreifen zu ziehen, sondern wir müssen in den Maisacker selbst hinein. Das ist der entscheidende Punkt. Solange Sie dazu nicht bereit sind, werden wir an dieser Stelle nicht entscheidend vorankommen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wir müssten das tun, was der Ministerpräsident auf der Konferenz angekündigt hat und was wir mit unserem Antrag fordern, nämlich die gute fachliche Praxis endlich so zu definieren, dass sie einen Einklang zwischen Landwirtschaft und Naturschutzinteressen ermöglicht. Es wäre gut, das zu tun. Deshalb möchten wir das gerne haben.
Die Frage von Herrn Diekhoff beantworte ich so: Bei allen Unzulänglichkeiten Ihres Antrags wenn Sie das mit uns machen würden, dann wäre das ein großer Schritt für den Naturschutz. Dann würden wir Ja sagen. Wenn wir das gemeinsam machen würden, die gute fachliche Praxis richtig zu definieren, dann kämen wir bei der Artenvielfalt wirklich voran. Dann würden wir Ihrem Antrag zustimmen, obwohl wir wissen, dass vieles in dem Antrag fehlt.
Anstatt uns solche Schritte vorzulegen, streichen Sie den 5-Hektar-Grundsatz aus dem LEP, obwohl der Flächenverbrauch ein großes Problem ist. Sie gehen den Nationalpark Senne nicht mehr engagiert an, so wie wir es gemacht haben, obwohl wir dort die Chance hätten, eine Region mit einem richtig großen Naturschutzgebiet voranzubringen. Das wäre eine Möglichkeit.
(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
Sie wollen die Möglichkeit nicht nutzen. Stattdessen erleichtern Sie wieder den Bau großer Stallanlagen, wo wir wissen, dass dadurch Stickstoffemissionen hervorgerufen werden, die wir genau in den Räumen, wo das passieren wird, nicht gebrauchen können.
(Weiterer Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage vom Abgeordneten Deppe. Wollen Sie die zulassen?
(Erneuter Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
–  Herr Kollege Hovenjürgen, der Kollege Deppe hat eine Zwischenfrage angemeldet. Ich frage jetzt Herrn Abgeordneten Rüße, ob er sie zulassen will.
Norwich Rüße (GRÜNE): Ja klar.
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte sehr.
Rainer Deppe (CDU): Danke, Herr Rüße, dass Sie die Frage zulassen. Sie haben jetzt ver- schiedene Dinge erwähnt, die man alle verändern könnte. Es ist erst wenige Jahre her, als wir das Naturschutzgesetz in Nordrhein-Westfalen verändert haben. Dort haben wir uns über das Thema „gute fachliche Praxis“ kräftig auseinandergesetzt. Wenn das alles so einfach wäre, wie Sie das hier beschreiben, dann frage ich Sie, warum Sie im Zuge der Änderung des Naturschutzgesetzes des Jahres 2015 nicht zumindest mit diesem Diskussionsprozess be- gonnen haben, geschweige denn etwas ins Gesetz zu schreiben.
Die zweite Frage: …
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege, eine Frage bitte.
Rainer Deppe (CDU): Na gut.
Norwich Rüße (GRÜNE): Herr Kollege Deppe, ich hätte auch Ihre zweite Frage angenommen, aber leider geht das nicht.
Über die gute fachliche Praxis haben wir in der Tat lange diskutiert. Wir haben uns getraut, einzelne Punkte aufzunehmen, zum Beispiel, was ordentliches Mähen einer Weide oder Wiese im Interesse des Naturschutzes ist, nämlich zu sagen: Wir mähen von innen nach au- ßen.
Aus meiner Sicht sind wir mittlerweile bei den Erkenntnissen über den Artenverlust ein ganzes Stück weiter. Wir wissen, wie dramatisch die Situation ist. Ich gebe zu, dass das ein schwieriger Punkt ist. Die Frage der guten fachlichen Praxis ist zurzeit dermaßen unbestimmt, dass es notwendig ist, sie endlich innerhalb eines Gesetzes zu regeln und dort bestimmte Dinge im Interesse der Artenvielfalt umzusetzen. Da müssen wir gemeinsam ran. Dazu muss man jetzt, im Jahr 2019, den Mut haben. Ich fordere Sie auf, mit uns zusammen, mit SPD und Grünen zusammen, den Mut zu haben, das jetzt zu tun.
Was Sie auch nicht machen und wo wir ein deutliches Defizit haben – und Sie hätten die Möglichkeit, da heranzugehen, weil Sie eine deutlich bessere Haushaltslage als wir damals haben –, ist der Vollzug von Umweltgesetzgebung. Wir wissen alle, dass es dort ein Defizit gibt. Wir wissen, dass wir in den Bezirksregierungen nicht genügend Mitarbeiter haben, um den Vollzug hinreichend zu sichern. Das ist ein Defizit. Wir sind ja noch nicht einmal in der Lage, genau zu überprüfen, wie der Zustand von Naturschutzgebieten ist, wie der Zustand von Ausgleichsmaßnahmen ist, ob die tatsächlich umgesetzt werden. Da gibt es erhebliche Mängel. Es wäre sinnvoll, da endlich heranzugehen.
Ein wichtiger Faktor im Zusammenhang mit Landwirtschaft ist der Pestizideinsatz. Wir brauchen hier eine deutliche Reduktion. Eigentlich wollen wir das alle, nur es passiert seit 20 Jahren nichts. Da müssen wir dringend ran, damit das passiert.
(Beifall von Arndt Klocke [GRÜNE])
Was mich – zum Schluss – richtig geärgert hat, will ich deutlich sagen: Sie können in einem Antrag die Landwirtschaft gerne für jeden kleinen Blühstreifen loben. Machen Sie das. Aber: Der ehrenamtliche Naturschutz kümmert sich seit Jahrzehnten darum, dass wir überhaupt noch Reste von Natur haben, und befindet sich vor Ort oft im Clinch mit der Landwirtschaft. Die Naturschützer haben es wirklich nicht einfach.
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege, die Redezeit.
Norwich Rüße (GRÜNE): Dass Sie die in Ihrem Antrag mit keiner Silbe erwähnen, ist eine Missachtung des Ehrenamtes im Naturschutz.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Das wird den Naturschützern draußen nicht gerecht. Ich meine, dafür könnten Sie sich fast entschuldigen und nachbessern. So, finde ich, geht es nicht. Es zeigt nur, dass Sie …
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Rüße.
Norwich Rüße (GRÜNE): … die Landwirtschaft, die ökonomischen Interessen eindeutig weit vor die Interessen der Ökologie setzen. Das halten wir für falsch. Wir lehnen Ihren Antrag deshalb ab.
(Beifall von den GRÜNEN)

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