Josefine Paul: „Ihr Gesetz bleibt offensichtlich das Prinzip Hoffnung“

Entwurf der Landesregierung zum Kindergartengesetz - erste Lesung

Portrait Josefine Paul

Josefine Paul (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Entwurf spricht von einer grundlegenden Reform des KiBiz. Der Minister nennt es einen Meilenstein. Herr Hafke nennt es ein Meisterwerk, bevor er sich dann dazu versteigt, hier oberlehrerhaft vorneweg zu predigen.
Allerdings muss man doch ganz deutlich sagen, dass der Anspruch, der hier in Richtung grundlegender Reform formuliert wird, nicht eingelöst wird,
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
denn eine grundlegende Reform würde doch bedeuten, dass man die Finanzierung der Kitas wirklich einmal vom Kopf auf die Füße stellt. Diese Chance, lieber Herr Minister Stamp, verpassen Sie mit diesem Gesetzentwurf – und zwar um Meilen, um einmal Ihre Formulierung aufzugreifen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ihre sogenannte grundlegende Reform geht das grundlegende Problem überhaupt nicht an. Jetzt haben wir die ganze Zeit darüber gesprochen, dass Sie oben Geld reinkippen. Wir sind auch dankbar, dass es mehr Geld im System gibt.
Aber was braucht es in der Finanzierungssystematik, damit das Geld auch tatsächlich da an- kommt, damit es tatsächlich zu mehr Qualität führt? – Planungssicherheit für Träger, Eltern und vor allem die Erzieherinnen und Erzieher ergibt sich aus einer verlässlichen Finanzierung.
Was ist das Finanzierungssystem Ihres Gesetzes? – Sie halten fest an den Kindpauschalen, von denen wir alle miteinander wissen, dass sie der grundsätzliche Konstruktionsfehler des KiBiz sind.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Die jährlichen Schwankungen durch Buchungszahlen und Buchungszeiten sind das Gegenteil von Verlässlichkeit. Reden Sie doch einmal vor Ort mit den Kitas. Die sagen: Aufgrund der jährlichen Schwankungen der Finanzierung müssen wir unter Umständen in einem Jahr Erzieherinnen entlassen und können sie vielleicht im nächsten Jahr wieder einstellen.
Ist das die Form von Verlässlichkeit, die Sie den Erzieherinnen und Erziehern draußen vermitteln wollen? – Ich glaube das nicht.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Henning Höne [FDP])
Eine grundlegende Reform wäre doch ein Systemwechsel gewesen, der überfällig ist. Das sagen Ihnen auch alle Fachleute; aber anscheinend ist Zuhören doch nicht die große Stärke dieser Koalition.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Wir hätten endlich einen Übergang hin zu einer Einrichtungsfinanzierung gebraucht. (Josef Hovenjürgen [CDU]: Warum habt ihr es nicht gemacht?)
Das wäre wirklich eine verlässliche Finanzierungsgrundlage gewesen.
Aber anscheinend – das habe ich in der letzten Debatte schon gesagt – musste das Gesetz in seiner grundlegenden Ausgestaltung so bleiben, weil es ja der Laschet-Gedächtnismurks ist. Der heutige Ministerpräsident hat diesen Murks auf den Weg gebracht, und anscheinend darf man nicht grundsätzlich daran rütteln. Das ist schade.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
Ihre vollmundigen Ankündigungen, die Sie hier immer wieder gemacht haben und die Sie mantraartig wiederholen, sind leider abgelöst worden durch das Prinzip Hoffnung:
Sie geben oben Geld rein in der vagen Hoffnung, dass unten Qualität rauskommt. – Das wird sich so nicht bewahrheiten, denn Ihr Gesetzentwurf versäumt es, die Kriterien für Qualität überhaupt festzuschreiben.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Wann ist Ihnen denn die Erkenntnis gekommen, Frau Paul?)
Es gibt keine Festlegung auf eine Fachkraft-Kind-Relation; das wäre eine wichtige qualitative Verbesserung.
Es gibt keine Veränderung an der Personalbemessung, die sich auch an der realen Situation in Kitas orientiert. Wir müssen doch in die Personalbemessung auch die Fehlzeiten einpreisen.
Die Frage nach Urlaub, Krankheit, Fortbildung, mittelbare und unmittelbare pädagogische Arbeit – bei allem gilt das Prinzip Hoffnung: Möglicherweise gelingt es in Kitas, möglicherweise gelingt es eben auch nicht.
Es gibt auch keine wesentliche Entlastung des pädagogischen Personals durch Verwaltungs- und Hauswirtschaftskräfte. Aber sind es denn nicht die pädagogischen Fachkräfte, die das Herz unserer Kitas und der Schlüssel zu mehr und guter frühkindlicher Bildung sind, Herr Minister? – Ich denke: schon.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Aber eben die sind es ganz offensichtlich, die von Ihrem Gesetz nicht so besonders überzeugt sind. Am 23. Mai standen 10.000 Leute leider nicht vor dem Landtag, aber am Rheinufer, und gestern übergab – wir haben jetzt schon darüber diskutiert – das Bündnis „Mehr Große für die Kleinen“ 80.000 Unterschriften.
Wir haben sie gern entgegengenommen; sie stehen ja hier überall. Anscheinend konnten Sie es leider nicht einrichten, aber wäre das nicht ein wichtiges Zeichen von Anerkennung gewesen, wenn man sich der Diskussion gestellt hätte?
Herr Kamieth hat gerade zitiert, Zuhören sei der halbe Erfolg. Ja, warum machen Sie das denn dann nicht? Warum hören Sie denn dann den Betroffenen nicht zu?
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Die Einlassungen, die Herr Hafke hier zum Thema gemacht hat, der mantraartige Hinweis auf die sieben Jahre usw., das zeigt doch nur: Sie sind in der Realität angekommen und merken jetzt, dass Regieren vielleicht gar nicht so einfach ist, denn wenn Sie regieren und hier tatsächlich Verantwortung übernehmen würden, müssten Sie sich nicht ständig auf die letzten sieben Jahre beziehen, sondern hätten auch etwas Anständiges, was Sie vorlegen könnten.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Sehr geehrte Damen und Herren, auch in einem weiteren Bereich verfehlt dieses Gesetz die auch dringend notwendige soziale Steuerung. Sie haben sich auch für das zweite beitragsfreie Kitajahr abgefeiert.
Es ist richtig, dass wir einen Einstieg in die Beitragsfreiheit brauchen. Aber wäre es nicht richtig gewesen, endlich den Flickenteppich, den wir in den Kommunen bei den Beiträgen haben, zu beseitigen?
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Wäre es nicht richtig gewesen, eine soziale Steuerung einzuführen, eine landeseinheitliche Beitragstabelle, die sozial gestaffelt ist, die auch für gleiche Lebensverhältnisse in diesem Land sorgt, anstatt mit der Gießkanne Mitnahmeeffekte – beispielsweise auch bei Landtagsabgeordneten – zu erzeugen?
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Auch die kostenlose Verpflegung in Kitas wäre ein sinnvoller Beitrag gewesen, Eltern nicht weiter zu belasten. Bei all diesen Dingen: nichts. Ihr Gesetz bleibt offensichtlich das Prinzip Hoffnung.
Dann, Herr Minister, haben Sie Ihre Rede abgeschlossen mit den Worten: Die Gewinner sind unsere Kinder. – Ich gewinne den Eindruck, dass insbesondere die Kinder sowie die Erziehe- rinnen und Erzieher und die freien Träger bei dieser Gesetzgebung überhaupt keine Rolle gespielt haben.
Ich hoffe, dass wir an dieser Stelle noch etwas weiterkommen im Sinne von mehr Qualität, im Sinne unserer Kinder und auch im Sinne der Arbeitsbedingungen unserer Erzieherinnen und Erzieher. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zurufe)

Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von
Josefine Paul (GRÜNE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist ja in der Tat eine sehr lebhafte Debatte, und es zeigt sich sehr eindeutig, dass offen- sichtlich an sich noch viel Diskussionsbedarf bestehen würde, was ein wirklich gutes Gesetz zur Finanzierung der frühkindlichen Bildung eigentlich ausmachen würde.
Herr Minister, wenn Sie hier behaupten, dass im Grunde genommen die ganzen Unterschriften gar nicht Ihr Gesetz meinen, sondern unsere Politik meinen, dann will ich Ihnen sehr deutlich sagen: Diskreditieren Sie nicht den Protest der Menschen, die draußen protestieren und Ihnen deutlich vor Augen führen, wo Sie Ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Tun Sie nicht so, als hätte niemand Ihr Gesetz verstanden. Sie tun so, als hätte niemand das Gesetz gelesen. Sie tun so, als würde sich niemand außer Ihnen irgendwie ernsthaft sachlich damit auseinandersetzen können. Diese Art und Weise, Zivilgesellschaft zu diskreditieren, das Engagement von Erzieherinnen und Erziehern an der Stelle auch so kleinzureden, das, glaube ich, steht Ihnen nicht gut zu Gesicht, und ich habe Sie bislang auch anders kennengelernt, Herr Minister.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Kommen Sie zu einer sachlichen Debatte zurück, und orientieren Sie sich nicht daran, dass hier immer diese Geschichtsklitterung betrieben wird, bei der sich Kollege Hafke ja immer so hervortut, weil er keine anderen Antworten findet, außer auf die letzten sieben Jahre zu verweisen.
Ich würde Ihnen gerne noch einmal etwas mit auf den Weg geben, wenn wir schon bei der Geschichtsstunde sind und uns immer vornehmen, bei der Wahrheit zu bleiben. Wenn wir bei der Wahrheit bleiben wollen, stellt sich doch die Frage: Wessen völlig verkorkstes Finanzierungssystem ist es denn? – Das KiBiz ist von Schwarz-Gelb eingeführt worden, und es war von Anfang an defizitär.
(Zuruf von der SPD)
Das Finanzierungssystem war von Anfang an schlecht. Sie bleiben dabei. Das heißt, die große Qualitätsoffensive ist ausgeblieben.
Sie regieren …
(Zuruf von Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration)
–  Ja, Herr Minister, Sie regieren ja deshalb, weil wir abgewählt worden sind. (Beifall von der CDU und der FDP)
Jetzt ist aber Schluss mit Wahlkampfparolen. Jetzt müssen Sie liefern. Daran werden die Leute Sie messen,
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
und dass Sie das verfehlen, zeigen Ihnen 80.000 Unterschriften. (Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

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