Mehrdad Mostofizadeh. „Wir brauchen barrierefreie Wohnungen, und wir müssen systematisch ermitteln, wo wir diese brauchen“

Unterrichtung der Landesregierung zum Thema Wohnungslosigkeit

Mehrdad Mostofizadeh

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe eben ein bisschen den Faden beim Kollegen Preuß gesucht, wo die Verbindung zu dem gewesen ist, was der Minister uns vorgetragen hat. Ich will versuchen, eine gewisse Verbindung zu bekommen.
Einen Punkt in Ihrem Konzept, Herr Minister Laumann, muss ich sehr lobend erwähnen; er ist auf Seite 6 zu finden. Ich will es der geneigten Öffentlichkeit mal vortragen.
„Aber für diejenigen, bei denen die Wohnungsnotlage mit vielen weiteren Schwierigkeiten verbunden ist, müssen auch die Angebote komplexer sein. Um Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit zu beseitigen, den Eintritt zu vermeiden, müssen Wohnungsnothilfen ebenso wie gesundheitliche, pflegerische oder sozialpsychiatrische Hilfen schnell und leicht zugänglich sein und auf anderen Wegen als bisher – zum Beispiel frühzeitig beratend im Quartier oder aufsuchend auf der Straße – erbracht werden.“
Das ist genau das Konzept, was Sie in den letzten zwei Jahren eben nicht verfolgt haben. Ich lobe Sie ausdrücklich dafür, dass das jetzt in diesem Konzept steht. Vielen Dank, Herr Minister.
(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales)
Ich will das auch gar nicht zum parteipolitischen Geplänkel machen. Vielleicht kurz vorweg, in welcher Situation wir im Moment sind: Zutreffend beschrieben ist, dass die Zuwanderung dazu führt, dass natürlich auch statistisch mehr Menschen als obdachlos oder wohnungslos geführt werden, die in Übergangseinrichtungen leben.
Was ich ausdrücklich nicht teile, was in der Broschüre steht, ist die Feststellung, dass sie weitgehend in vernünftigen Unterkünften untergebracht worden sind. Der Zustand – ich will jetzt keine Schuldzuweisungen machen – kann allenfalls vorübergehend geduldet werden.
Die meisten Menschen, die in Übergangseinrichtungen leben, leben in viel zu kleinen Übergangseinrichtungen in nicht zumutbaren Zuständen. Das muss geändert werden. Auch diese Menschen brauchen dringend eine Wohnung und eine respektable Unterkunft, Herr Minister Laumann.
Aber um auch noch einmal zu adressieren, was das Thema Wohnungslosigkeit betrifft: Wir haben zwei Anträge hier im Landtag eingebracht, nämlich zum einen, um Wohnungslosigkeit zu bekämpfen und Strukturen zu schaffen – ein Gesamtkonzept, das wir vor ungefähr eineinhalb Jahren hier im Landtag eingebracht haben und das auch in einer Sachverständigenanhörung ausführlich diskutiert wurde.
Der zweite Antrag, den wir eingebracht haben, befasst sich mit dem speziellen Aspekt der Wohnungslosigkeit von Frauen. Ich will das an dieser Stelle noch einmal betonen, weil auch das – wie ich finde – zutreffend von Ihnen beschrieben worden ist:
Wohnungslosigkeit von Frauen heißt sehr häufig, dass sich Frauen eine Unterkunft dadurch ermöglichen – ich will es einmal so ausdrücken –, dass sie sich der Prostitution, der Abhängigkeit und auch der Zwangsstrukturen von männlichen Bekannten, Freunden – oder wie auch immer man sie nennen will – hingeben müssen.
Deswegen ist eine rein quantitative Betrachtung hier nicht ausreichend, sondern man muss qualitativ hingucken. Ich finde das sehr richtig aufgenommen, und das müssen wir als Land sehr intensiv fortführen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Woher kommt das Ganze? Wir haben auch durch Zuwanderung, aber auch durch die Politik eine Situation, die dazu führt, dass der sozial geförderte Wohnraum nicht in dem Maße gefördert wird, wie man das könnte.
Ich will jetzt nicht mit 1,3 Millionen Euro oder mit 1,1 Millionen Euro kommen, und eine Schwerpunktsetzung dahingehend, Eigentum zu fördern, mag man in Normallagen machen. Es ist für mich auch überhaupt keine moralische Betrachtung, ob man im Eigentum wohnt oder zur Miete.
In einer Situation, in der deutlich mehr Wohnungen aus dem Mietwohnungsbau aus der Förderung herausfallen, dann aber noch einen Schwerpunkt für den Eigentumsbau zu setzen, ist schlicht eine falsche Prioritätensetzung, die dazu führt, dass Menschen aus den Wohnungen herausgedrängt werden und die Wohnungslosigkeit noch forciert wird. Das müssen wir anders machen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ein Thema will ich auch noch ansprechen, weil es in diesem Kontext dazugehört: die Diskussion um die Landesbauordnung. Dazu will ich die beiden Punkte, die mir an dieser Stelle wichtig sind, noch einmal vortragen, weil Sie es in diesem Konzept wirklich anders beschreiben.
Wir haben vorgetragen: Wir brauchen barrierefreie Wohnungen, und wir müssen systematisch ermitteln, wo wir diese brauchen.
Dazu wurde von Ihnen und insbesondere von den Koalitionsfraktionen allen Ernstes vorgetragen: Wir wollen das gar nicht wissen, und wir wollen gar nicht erheben, wie der Bedarf ist, weil wir sonst möglicherweise handeln müssten. –Das ist zugegebenermaßen eine Zuspitzung; das kann aber doch auch kein Zustand sein.
Barrierefreier Wohnraum muss für diese Landesregierung ein Schwerpunkt sein, damit wir den Menschen, die behindert oder mobilitätseingeschränkt sind, vernünftige adäquate Wohnungen zur Verfügung stellen können, Herr Minister.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Dann komme ich zur konzeptionellen Frage, wie Sie es gemacht haben. Dazu würde ich sagen: In wesentlichen Punkten baut das auf das auf, was Nordrhein-Westfalen in der Frage führend gemacht hat.
Dass die anderen 15 Bundesländer – das will ich an der Stelle einmal deutlich sagen –, die nicht einmal den Bedarf erheben wollen und nicht einmal wissen wollen, wie schwer die Situ- ation ist, ist inakzeptabel.
Ich finde es richtig, dass Sie auf das aufbauen, was Sie in der letzten, also in Ihrer ersten Amtszeit gemacht haben und was Rot-Grün seit 1994 in diesem Lande macht, nämlich eine systematische Erfassung von Wohnungslosigkeit.
Auch Ihre Formulierung vorhin fand ich zutreffend: Auch wenn es schwierig wird, wir über schwierige menschliche Schicksale sprechen und es möglicherweise – ich nenne das einmal – unangenehm wird, was die Betrachtung anbelangt – da bin ich ganz bei Ihnen –, ist die Sozialpolitik gefordert. Es zeigt sich dann, ob eine Gesellschaft willens und in der Lage ist, mit den Ärmsten der Gesellschaft umzugehen. Da haben Sie uns unmittelbar an Ihrer Seite, Herr Minister.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
In vier Minuten ist die Übergabe von 31.000 Unterschriften beabsichtigt, die die Initiative „Wir wollen wohnen“ geplant hat. Die übergeben die nicht, weil wir Wohnungen im Überschuss haben.
An dieser Stelle muss ich auch sagen: Dieser Druck und auch der immer wiederkehrende fachliche Druck spielt zumindest eine Rolle; ich will das nicht in Abrede stellen. Herr Minister, ich gestehe Ihnen ausdrücklich zu, dass Sie sich die Sachlage aus eigener Anschauung und mit bestem Erfolg angeguckt haben.
Ich will Sie ausdrücklich für die Herangehensweise loben: Sie haben sich offenbar mit den Wohlfahrtsverbänden und mit den Kommunen auseinandergesetzt und Konzepte entwickelt bzw. bauen noch Konzepte auf, die wir für richtig halten.
Deswegen kann ich Sie nur bitten: Auch in der Altenpflege und in der Behindertenpflege müssen wir systematisch eine Stadtentwicklungspolitik und eine quartiersorientierte Politik betreiben, denn vor Ort entscheidet sich am Ende: Gibt es eine gute Behinderten- und eine gute Sozialpolitik? Sind die Wohnungen am Ende dort, wo wir sie brauchen? – Das müssen wir systematisch sowohl in Ihrem Haus als auch im Ministerium von Frau Scharrenbach umsetzen. Hier bitte ich um eine klare Kursänderung.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich will noch einige fachliche Punkte nennen, die mir besonders wichtig sind. Die gesundheitliche und medizinische Versorgung von Menschen, die obdachlos oder wohnungslos sind oder auch aus anderen Gründen vorübergehend auf der Straße leben, haben Sie angesprochen. Meine Heimatstadt Essen ist da sicherlich ein positives Beispiel – eines von sechs, das Sie hier auch namentlich erwähnt haben. Dort wird mit einem Arzt- bzw. Versorgungsmobil durch die Straßen gefahren, und diese Menschen werden aufgesucht.
Sie machen es sich zur Aufgabe, das – so verstehe ich das – zumindest in den 20 Kommunen, die Sie hier beschrieben haben, zum Standard zu machen. Ein ausdrückliches Lob: Es ist die richtige Zielsetzung, finde ich, das auszubauen. Ich kann nur alle anderen Kommunen bitten bzw. auffordern, sich das genau anzusehen, was da an Brücken gebaut werden kann.
Neben der Notfallversorgung von medizinisch Hilfebedürftigen ist das Annehmen von Systemen – auch das beschreiben Sie in Ihrem Konzept immer wieder – sehr wichtig und ermöglicht überhaupt erst Hilfen, Brücken und Zusammenarbeit.
Deswegen kann ich nur alle bitten: Machen Sie da mit. Unterstützen Sie das Land, oder kooperieren Sie mit dem Land, und machen Sie das zur Standardaufgabe in Ihrer Kommune, wenn es irgendwie möglich ist.
Ein zweiter Punkt, der mir wichtig ist, ist das Thema „Housing first“. Dazu haben Sie sich im letzten Jahr schon Münster und Düsseldorf angesehen und Vereinbarungen abgeschlossen.
Ich finde es richtig, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass man nicht zuerst guckt „Was für eine Perspektive ist denn da? Wie geht’s denn da weiter?“, sondern dass Menschen, die in einer solchen Lage sind oder auf der Straße oder in ganz schlechten Umständen leben, zunächst einmal im wahrsten Sinne des Wortes ein Dach über den Kopf – Housing first –, also eine Wohnung bekommen und nicht erst dreimal nachweisen müssen, ob sie da ewig leben können.
Trotzdem gestehe ich zu: Natürlich muss man genau hingucken, weil es nichts nutzt, sie in eine Nachbarschaft zu setzen, in der es dann in den nächsten drei Monaten nur Theater gibt und die Nachbarschaft gestört ist.
Aber jeder Mensch, der in Nordrhein-Westfalen lebt, hat einen Anspruch auf einen adäquaten Wohnraum, und das muss von uns hier im Land auch umgesetzt werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Als letzten Punkt möchte ich noch mal auf das Thema „Wohnungshilfe für Frauen“ zurückkommen. Bei den Frauenhäusern haben wir zum einen Ausbaubedarf im Zusammenhang mit Frauen, die mit Kindern untergebracht werden müssen, und zum anderen bezüglich der Barrierefreiheit. Die entsprechende Statistik wurde hier bereits zutreffend beschrieben.
Ich würde es begrüßen, wenn wir dort fachlich und systematisch weiterkommen würden; das wäre eine wichtige Investition. Alles in allem, liebe Landesregierung, lieber Herr Minister Laumann, freue ich mich, dass Sie diesen Ansatz gewählt haben. Wir werden uns sehr genau ansehen, wie sich das weiter entwickelt. Ich würde es außerdem begrüßen, wenn gerade die Kolleginnen und Kollegen von FDP und CDU im Sozialausschuss sich dieses Konzept genau durchlesen und für alle gesellschaftlichen Bereiche durchdeklinieren würden.
Das, was momentan im Bereich Altenpflege, Altenhilfe und Stadtentwicklung stattfindet, folgt dem Motto „Macht die ambulanten Bereiche platt und stärkt die stationären Bereiche.“
(Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Stimmt ja nicht!)
Das hat mit dem Quartiersansatz überhaupt nichts zu tun. Nehmen Sie sich ein Beispiel an dieser Broschüre. Führen Sie, ausgehend von diesem Ansatz, das, was im Bauministerium und im Sozialministerium stattfindet, nicht nur gedanklich, sondern auch systematisch zusammen und machen sie daraus eine konsistente Politik. Die war nämlich bisher nicht zu erkennen.
Das, was heute hier vorgelegt wurde, ist ein vernünftiger Ansatz, der weiter ausgebaut werden sollte. Wenn es fachlich so gemeint war und dementsprechend gemacht wird, haben Sie uns an Ihrer Seite. Wir werden das sehr genau beobachten. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

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