Josefine Paul: „Der Arbeitsmarkt und die Arbeitswelt müssen sich so flexibilisieren, dass Familie lebbar ist“

Antrag der SPD-Fraktion zuzr Unterstützung Alleinerziehender

Portrait Josefine Paul

Josefine Paul (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Schneider, im Föderalismus bilden die Länder das politische Gegengewicht zum Bund, und ich glaube schon, dass das größte Bundesland den Anspruch haben muss, sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass die Lebensbedingungen für die Menschen in Nordrhein-Westfalen besser werden.
(Jochen Ott [SPD]: Schön wäre das!)
Diesen Anspruch sollten Sie aus meiner Sicht ernst nehmen, statt einfach zu sagen: Das sind alles Bundesthemen, die da angesprochen sind. Damit haben wir gar nichts zu schaffen.
(Zuruf von Susanne Schneider [FDP])
Heute Morgen haben wir noch darüber gesprochen, dass wir uns selbstverständlich gemeinsam dafür einsetzen wollen, dass die Bundesmittel verstetigt werden. Jetzt muss man sich schon entscheiden, auf welche Ebene man wie gucken möchte. Jedenfalls wäre es schon ganz gut, wenn die Landesregierung die Interessen Nordrhein-Westfalens und seiner Bürgerinnen und Bürger auf Bundesebene auch tatsächlich vertreten würde.
(Beifall von den GRÜNEN)
Denn – das ist schon festgestellt worden – alleinerziehend ist heute eine der Familienformen, die zur Familienvielfalt in dieser Gesellschaft beiträgt. Ein Fünftel der Familien mit minderjährigen Kindern sind heute Einelternfamilien. 90 % von ihnen sind Frauen. Das Armutsrisiko – auch darüber haben wir heute schon diskutiert – für Alleinerziehende ist besonders hoch. Sie sind fünfmal so häufig Bezieherinnen – in den meisten Fällen sind es Bezieherinnen – von Leistungen aus der Grundsicherung. Das hat diverse Gründe, und ja, Frau Schneider, diese Gründe sind zum Teil auch auf Bundesebene begründet. Es ist aber trotzdem wichtig, darüber zu diskutieren.
Noch immer haben wir in Familien meist eine Art Zuverdienerinnenmodell. Oftmals wird aus dem Ansinnen einer partnerschaftlichen Aufteilung, auch von Care-Arbeit, doch eher das klassische Modell von Hauptverdiener und Zuverdienerin, und das hat im Falle einer Trennung dramatische Folgen für Frauen. Das ist ein verdecktes Armutsrisiko, dem wir begegnen müssen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Es gibt auch eine Überrepräsentanz von Frauen oder Alleinerziehenden im Niedriglohnsektor. Teilzeit aus Vereinbarkeitsproblematik heraus ist auch ein Grund für das hohe Armutsrisiko. Hier ist natürlich auch das Land gefordert, und zwar mit dem Ausbau der Kinderbetreuung, aber auch mit dem Ausbau von Betreuungsleistungen im Randzeitenbereich oder im Betreuungsbereich im Haushalt, zum Beispiel in Form von haushaltsnahen Dienstleistungen, aber auch in Form der Begleitung von Kindern im Haushalt.
Das sind alles Dinge, die von Landesseite angegangen werden können. Es sind allerdings Dinge, die der Familienminister nicht angehen möchte. Es sind auch Dinge, die die FDP explizit in der letzten Legislaturperiode in der Enquetekommission „Zukunft der Familienpolitik in Nordrhein-Westfalen“ abgelehnt hat. Das sind konkrete Ansatzpunkte, die man auf Landesebene angehen könnte, so man denn wollte.
(Beifall von den GRÜNEN)
Dazu kommen strukturelle Fehlanreize zulasten von Frauen. Auch das will ich Ihnen nicht ersparen, obwohl wir uns im Landtag von Nordrhein-Westfalen befinden. Dazu zählen das Ehegattensplitting, das es nach wie vor in diesem Land gibt, sowie die kostenlose Mitversicherung und dergleichen, die das antiquierte Alleinernährer-Zuverdienerinnen-Modell weiterhin befördern und damit das verdeckte Armutsrisiko manifestieren. Bei einer partnerschaftlichen Aufteilung, die auch im Trennungsfall stabilisierend wirken würde, teilten sich die Partner*innen vorher schon Care- und Erwerbsarbeit partnerschaftlich auf, wäre das Armutsrisiko auch nicht so hoch. Aber auch das passiert so nicht. Dementsprechend wäre die Abschaffung von Ehegattensplitting, kostenlose Mitversicherung etc. ein ganz wichtiger Baustein, um Frauen im Falle von Trennung und Scheidung vor Armut zu schützen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Unterstützung von Alleinerziehenden heißt auch die Stärkung von Hilfen aus einer Hand. Auch hier kann das Land modellhaft vorangehen und Kommunen dabei unterstützen, dass Informationen und Beantragung von Sozialleistungen deutlich erleichtert werden, und zwar in Form von kommunalen Familienbüros. Auch das kann man modellhaft unterstützen, damit die Sozialleistungen aus einer Hand kommen und die Leistungen damit auch dort ankommen, wo sie gebraucht werden.
Zum Schluss muss man natürlich noch auf eines hinweisen: Das Beste gegen Armut und das, was Familien und Alleinerziehende am besten unterstützt, ist das Ziel der eigenständigen Existenzsicherung. Dabei ist Erwerbsarbeit eine wichtige Voraussetzung. Über die Betreuungssituation und das KiBiz haben wir heute schon ausführlich diskutiert, und das werden wir auch weiterhin tun. Ich will das jetzt nicht alles wieder aufrollen, sondern nur sagen, dass sie natürlich auch ein wichtiger Baustein ist.
Die Ausweitung des Unterhaltsvorschusses ist zwar gut, allerdings will ich auch sehr deutlich sagen, dass das Nichtzahlen von Unterhalt kein Kavaliersdelikt ist. Diejenigen die unterhaltspflichtig sind, sollten ihrer Verantwortung nachkommen, und das sollten wir auch nachdrücklich als Gesellschaft einfordern.
Neben der Betreuung ist die Zeit ein wichtiger Faktor; denn insbesondere Alleinerziehende brauchen Flexibilisierung, und zwar nicht in dem Sinne von Flexibilisierung, dass sich Familien und Betreuung immer an die Gegebenheiten von Wirtschaft anpassen müssen, sondern im Gegenteil. Der Arbeitsmarkt und die Arbeitswelt müssen sich so flexibilisieren, dass Familie lebbar ist und insbesondere für Alleinerziehende mit einer extremen Verdichtung an Zeit und an Ansprüchen erlebbar und gut lebbar ist.
Dementsprechend brauchen wir endlich flexible Vollzeitmodelle. Wir brauchen ein echtes Rückkehrrecht, und wir müssen auch im Bereich von Kinderzeit und Elternzeit neue Modelle denken, die es ermöglichen, nach dem ersten Lebensjahr und vielleicht auch an Übergängen, wie zum Beispiel zur Schule, die Kinder besser zu unterstützen. Ein solches Paket würde Alleinerziehenden helfen.
(Beifall von Johannes Remmel [GRÜNE])
Dort können wir auf Landesebene unseren Beitrag leisten. Wir können uns aber auch auf Bundesebene dafür einsetzen, und dafür plädieren wir. Sie als Landesregierung sollten die Situation für Alleinerziehende nachhaltig verbessern. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD

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