Horst Becker: „Mit einem lachenden und einem weinenden Auge“

Antrag der SPD-Fraktion zu ThyssenKrupp

Horst Becker (GRÜNE): Meine Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich gerne festhalten: Es war gut, dass wir im Jahr 2017 hier im Parlament debattiert und Druck gemacht haben. Übrigens ist auch von den Beschäftigten auf der Straße erheblicher Druck gemacht worden. Denn nur dadurch kam es Anfang 2018 in den damaligen Fusionsüberlegungen mit Tata zu Vertragsbedingungen, die den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern weitestgehende Rechte zugesichert haben. Es gab nur zwei Ausnahmen.
Erste Ausnahme: Auch da war vorgesehen, etwas über 2.000 Arbeitsplätze sozialverträglich abzubauen.
Zweite Ausnahme, die nicht ganz unwesentlich war: Durch die Verlagerung des Holdingsitzes wäre die Montanmitbestimmung verloren gegangen.
Insofern will ich nicht verheimlichen, dass ich die jetzige Situation mit einem lachenden und einem weinenden Auge betrachte, obwohl ich auch deutlich sagen muss, dass das Scheitern der Fusion aus Sicht der EU kurzsichtig ist, weil es nach innen und nicht auf den Weltmarkt gerichtet ist.
Aber, wie auch immer, wir haben die neuen Pläne zur Kenntnis zu nehmen. Diese neuen Pläne – das will ich zunächst einmal feststellen – sind letzte Woche im Strategie- und Finanzausschuss bereits einstimmig, also auch mit den Stimmen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie der IG Metall, verabschiedet worden.
Sie sind, wenn ich es richtig im Kopf habe, gestern Abend auch im Aufsichtsrat einstimmig durchgegangen. Insofern werden wir uns als Land erst jetzt auf den Prozess richtig einstellen und ihn auch begleiten können.
Nächster Fakt: Die eigentliche Auskleidung der neuen Strategie lässt noch auf sich warten; wir werden sie frühestens im zweiten Halbjahr dieses Jahres sehen können. Es wird interessant sein, zu beobachten, was da genau passiert. Setzen sich Kapitalinteressen auf der Eigentümerseite durch, beispielsweise dahin gehend, dass man die Elevator-Sparte, also die Aufzug-Sparte, für mehr verkauft, als der Vorstand das im Moment vorsieht? Wird es so sein, dass die Erlöse tatsächlich zur Restrukturierung genutzt werden? Oder werden sie teilweise in die Dividende fließen? Das sind Fragen, deren Klärung dann ansteht, genauso wie die Frage, welche Standorte gefährdet sind und welche Standorte nicht.
Insofern glaube ich, dass wir uns nicht in genau der gleichen Situation befinden wie im Herbst 2017, als wir sehr viel weiter von einer vernünftigen Einigung zwischen Arbeitnehmer- und Landesinteressen einerseits und Kapitalinteressen andererseits entfernt waren als derzeit. Das kann noch kommen. Deswegen ist es auch gut, dass die Politik das Ganze begleitet und berät.
Wir sind nicht sicher, wie es am Ende aussehen wird. Die Frage allerdings, ob wir den Stahlstandort langfristig sichern – ich betone: langfristig –, wird von ganz anderen Komponenten abhängen.
Aus unserer Überzeugung – wir haben das seinerzeit hier im Plenum diskutiert, und der Landtag hat es auch im Zusammenhang mit der Enquete zur Zukunft der Chemieindustrie in NRW diskutiert – wird es wesentlich darauf ankommen, dass wir insgesamt eine Strategie in diesem Land entwickeln, wie wir mit der Grundstoffindustrie und mit der Elektrochemie umgehen, und wie wir es hinbekommen, die Forschungseinrichtungen, die hier im Land vorhanden sind, noch weit mehr, als wir das bis jetzt geschafft haben, in einen Verbund zu setzen, um diese Fragestellungen einer Lösung zuzuführen.
Stahl wird in der Zukunft – und das weiß auch das Unternehmen – nur noch dann in diesem Land produziert werden, wenn wir den Prozess der Herstellung sukzessive in eine CO2-freie Stahlherstellung überführen. Das wird noch nicht übermorgen und auch noch nicht überübermorgen der Fall sein, aber dahin werden wir kommen müssen.
Wenn man sich mit dem Unternehmen selber unterhält, dann hört man, dass denen das inzwischen auch immer klarer geworden ist. Dort wird noch in diesem Jahr damit begonnen, an einem Hochofen mit Wasserstoffzusatz zu arbeiten, um dadurch eine CO2-Reduktion hinzubekommen. Man wird sich auf den Weg machen – jedenfalls bei einem der Hochöfen; wahrscheinlich Mitte des nächsten Jahrzehnts –, in die Direktreduktion überzugehen und nicht mehr an der Produktion in der herkömmlichen Art und Weise festzuhalten.
Meine Damen und Herren, wir müssen es schaffen, entsprechende Bedingungen in diesem Land und in der Bundesrepublik herzustellen. Dazu gehört neben einer Industriestrategie – dazu will ich jetzt gar nicht mehr viel sagen – eine Wasserstoffstrategie, und daran fehlt es bis jetzt. Im Bund fehlt es an einer ordentlichen Wasserstoffstrategie. Das Wort „Wasserstoff“ kommt allerorten vor, aber an einem strategischen Ansatz zum Aufbau einer Wasserstoffstrategie fehlt es.
Die Fragen lauten: Wir bekommen wir es hin, sowohl in NRW als auch in der gesamten Bundesrepublik ausreichend Strom – und zwar ökologischen Strom – für eine Wasserstoffstrategie zu produzieren? Wie können wir den Strom gegebenenfalls aus den Ländern, die die Sonne haben – deswegen will ich Wasserstoff produzieren können –, hierher importieren? Das ist die Aufgabe der Zukunft, auch im Zusammenhang mit der Stahlproduktion.
Wenn wir die Industrie halten wollen – und das wollen wir ausdrücklich –, sollten wir uns zusammen an diese Aufgaben machen. – Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der SPD)

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