Arndt Klocke: „Wir brauchen eine sozial orientierte Bodenpolitik“

Aktuelle Stunde auf Antrag der GRÜNEN im Landtag zur Wohnungsnot

Arndt Klocke (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mit Erlaubnis der Präsidentin meine Rede und die heutige Debatte mit zwei Zitaten beginnen.
Gestern erschien im „Kölner Stadt-Anzeiger“ ein Interview mit dem Chef des Kölner Mietervereins, Herrn Franz-Xaver Corneth. Herr Corneth, aktives Mitglied der Kölner CDU, führt zu der aktuellen Debatte um Mieterpolitik und der Forderung nach Enteignungen aus – ich zitiere ihn hier wörtlich –:
 „Ich habe Verständnis für die Forderung. Wenn der Markt aus den Fugen gerät, ist das ein naheliegender Gedanke. Der Artikel 15 des Grundgesetzes sieht vor, dass Vergesellschaftungen gegen Entschädigungen möglich sind. Das ist keine linke Forderung, sondern eine christlich-soziale.“
(Johannes Remmel [GRÜNE]: Hört, hört!)
Das sagt Franz-Xaver Korneth, CDU, Chef des Kölner Mietervereins.
Mein zweites Zitat ist ein Auszug aus dem heute noch gültigen Baugesetzbuch, geändert in diese Form im Jahr 1987. Die damalige Regierungskoalition bestand aus CDU/CSU und FDP; Bauminister war ein Herr Schneider von der CSU. Das Baugesetzbuch führt im Ersten Kapitel, Allgemeines Städtebaurecht, unter § 85, Enteignungszweck, aus:
„(1) Nach diesem Gesetzbuch kann nur enteignet werden, um
1.  entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans ein Grundstück zu nutzen oder eine solche Nutzung vorzubereiten,
2.  unbebaute oder geringfügig bebaute Grundstücke, die nicht im Bereich eines Bebau- ungsplans, aber innerhalb im Zusammenhang bebauter Ortsteile liegen, insbesondere zur Schließung von Baulücken, entsprechend den baurechtlichen Vorschriften zu nutzen oder einer baulichen Nutzung zuzuführen, …“
Sehr geehrte Damen und Herren, das ist geltendes Recht und von einer christlich-liberalen Koalition Mitte der 80er-Jahre entsprechend geändert worden.
Schaut man sich diese beiden Zitate an, sowohl die Ausführungen von Herrn Corneth von der CDU als auch diesen Paragrafen, muss man eines ehrlich sagen: Dass Sie hier heute so einen Antrag stellen, hat mindestens ein hartes Geschmäckle. Es geht kurz vor der Europawahl um Parteipolitik und darum, dass Sie hier ein Thema hochjazzen wollen. Das hat mit der realen wohnungspolitischen Debatte überhaupt nichts zu tun, sehr geehrte Damen und Herren.
(Beifall von den GRÜNEN)
Am Wochenende haben wir Großdemonstrationen erlebt. In Berlin waren es mehrere Zehn- tausend; in Köln waren es einige Tausend. In Nordrhein-Westfalen gibt es ein großes Bündnis, bestehend aus Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden, Kirchen und Mieterbund. Warum schließen sich solche Menschen zusammen? Warum gehen Tausende auf die Straße? Weil die aktuelle Situation auf dem Wohnungsmarkt insbesondere in den Ballungsgebieten, insbesondere in den großen Städten, mehr als drängend und besorgniserregend ist.
Wir stehen unter großem Handlungsdruck. Wir nehmen steigende Mieten wahr. In großen Städten müssen viele Familien 40 bis 50 % ihres Einkommens für die Miete ausgeben. Die Situation auf dem Wohnungsmarkt hat sich in den letzten Jahren dramatisch verschlechtert. Deswegen müssen wir heute diese Debatte führen, sehr geehrte Damen und Herren.
(Beifall von den GRÜNEN)
Die Zahlen in Nordrhein-Westfalen sind nicht ermutigend. Wir saßen letzte Woche im NRW-Beirat für Wohnraumförderung zusammen, Frau Ministerin. Die Regierungskoalition bezeichnet in ihrem Antrag die 1,2 Milliarden Euro als Rekordsumme für Wohnraumförderung. Ja, das ist richtig. Es gibt mehr Geld. Aber es gibt immer weniger fertiggestellte Wohnungen. In ihrer letzten Bilanz, die die NRW.BANK vorgelegt hat, bestätigt sie, dass im letzten Bilanzjahr 1.100 Wohnungen fertiggestellt wurden. Das sind 15 % weniger als im Vorjahr.
Frau Ministerin Scharrenbach, wer hier so auftritt, wie Sie das in letzter Zeit mit schneidigen Auftritten machen, bei denen Sie an andere Fraktionen Haltungsnoten verteilen, und wer nach zwei Jahren als Wohnungsbauministerin in Nordrhein-Westfalen eine so mäßige Bilanz hat, wie Sie das haben, der sollte möglicherweise verbal ein bisschen abrüsten und vielleicht anders auf Bündnispartner zugehen, als Sie das bisher hier im Landtag gemacht haben, Frau Kollegin.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Was würde in der aktuellen Situation helfen? Wir brauchen natürlich ein Maßnahmenbündel. Wir Grünen hatten ja im letzten Plenum einen Antrag vorgelegt, der bemerkenswerterweise von CDU und FDP durchaus in einigen Teilen positiv beschieden worden ist. Wir haben für heute einen weiteren Antrag eingebracht, den Herr Kollege Remmel gleich vorstellen wird.
Notwendig ist eine deutliche Stärkung der kommunalen Wohnungsbaugesellschaften und -genossenschaften. Wir brauchen eine sozial orientierte Bodenpolitik.
Hier ist Münster ein wirklich gutes Beispiel in Nordrhein-Westfalen. In Münster erfolgt die Vergabe der Flächen nicht mehr nach Höchstgebot, sondern nach Konzept und dann, wenn die entsprechenden Pläne vorsehen, dass 30 bis 40 % preisgebundener Wohnraum angeboten werden.
Das heißt: ein anderer Umgang mit Bauland, die Stärkung eines Flächenpools, die Stärkung der Erbpacht als wichtiges Instrument, die Unterstützung der Kommunen bei einer Bodenvorratspolitik, beschleunigte Genehmigungsverfahren.
Effizienzsteigerungen sind auch beim Bau möglich. Ich hatte gestern eine sehr spannende Podiumsdiskussion beim BFW. Dort stand ich mit Herrn Bauwens-Adenauer, Präsidiumsmitglied des CDU-Wirtschaftsrates, auf dem Podium, als er sagte: Allein durch Digitalisierung erreichen wir beim Bau ein Zeitersparnispotenzial von 30 %, sodass der Bau entsprechend schneller werden kann. – Auch das ist eine spannende Zahl.
Es gibt auf Bundesebene die Debatte um eine neue Gemeinnützigkeit – von meiner Fraktion vorangetrieben, auch wenn ich da einige Fragezeichen habe.
Der Tübinger Oberbürgermeister Palmer und der baden-württembergische Ministerpräsident Kretschmann sind mit der Frage einer Baupflicht auf entsprechenden Flächen, die über Jahre freigehalten werden, sehr in der Öffentlichkeit aktiv. Mit Bauland darf nämlich nicht spekuliert werden. Das sagt auch das Bundesverfassungsgericht, weil es bei Grund und Boden eine besondere Verpflichtung des Eigentums gibt. Das muss durchgesetzt werden, sehr geehrte Damen und Herren.
 (Beifall von den GRÜNEN)
Zum Abschluss meiner Rede würde ich gerne noch einige Sätze an Herrn Kollegen Kutschaty richten. Sie haben sich ja auch in dieser Woche geäußert. Ich muss ehrlich sagen: Die Not bei der SPD muss ziemlich groß sein, wenn man gegen die Grünen die Tonalität benutzt, die 2005 im Zusammenhang mit den Hamstern gegen die Regierung Steinbrück und gegen Bärbel Höhn verwendet worden ist. Das fand ich schon ziemlich armselig.
In den Städten findet natürlich eine Debatte statt – ich weiß das aus Köln, aus meinem Wahlkreis –, in der die Frage „Bebauungsflächen versus Frischluftschneisen?“ und die Frage „innerstädtisches Grün oder Bauland?“ diskutiert werden. Es gibt auch Bürgerinitiativen, die sich entsprechend engagieren. Da ist manches richtig; manche Debatte wird zu Recht geführt.
Lieber Kollege Kutschaty, wenn man sich die aktuelle Diskussion um Klimapolitik in diesem Land anschaut, gewinnt man mittlerweile den Eindruck, dass die FDP in diesen Fragen fortschrittlicher und moderner aufgestellt ist als die SPD.
(Zuruf: Koalitionsangebot!)
Denn das, was Sie Anfang der Woche in dieser Debatte geäußert haben, war noch nicht einmal 70er-Jahre; das war 60er-Jahre.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
Die Bewahrung von Grün in den Städten ist kein Gegensatz zu Bebauungsplänen. Ehrlich gesagt, fand ich Ihre Äußerungen ziemlich armselig und unter der Gürtellinie. Das haben Sie eigentlich auch politisch nicht nötig. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN)

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