Mehrdad Mostofizadeh: „Diese Stichwahl ist so gut wie nie zuvor“

Gesetzentwurf der Landesregierung zum Kommunalwahlgesetz

Mehrdad Mostofizadeh

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Höne hat mich nicht enttäuscht.
(Heiterkeit von Christian Dahm [SPD])
Er hat alle Argumente wiederholt, die in der Debatte schon gefallen sind. Er hat nur keine Argumente für die Abschaffung der Stichwahl auf den Tisch gelegt. Das macht sehr deutlich, dass CDU und FDP keine inhaltlichen Argumente haben, sondern hier Machtspielchen betreiben und mit Mehrheit etwas durchsetzen wollen, was auf dem CDU-Parteitag im letzten Jahr erdacht worden ist.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ich will zunächst auf das Stichwort „Wahlkreise“ eingehen. Ich möchte gar nicht so tief in die Materie einsteigen. Aber eindeutig ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass es der völlig falsche Zeitpunkt ist, um diese Änderungen vorzunehmen.
 (Bodo Löttgen [CDU]: Was?)
Es ist kaum zu administrieren. Es hat keine Debatte stattgefunden. Insofern wundert es mich auch nicht, dass der Verfassungsminister diesem Parlament diese Änderung gerade nicht vorgelegt hat,
(Bodo Löttgen [CDU]: Bitte?)
weil er nämlich davon ausgeht, dass die jetzige Auslegung ebenfalls verfassungskonform und auch angemessen ist.
(Bodo Löttgen [CDU]: Aber die Gesetzesvorlage haben Sie schon gelesen?) Deswegen sollte es auch so bleiben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ein zweiter Punkt – das hat der Kollege Kämmerling eben schon angesprochen – ist das Verhüllungsverbot. Ich hatte Herrn Dr. Kuhn gefragt, wie viele Fälle es gegeben hat. Herr Kämmerling hat es eben schon aufgeklärt: keine. Aber Herr Dr. Kuhn hat auch noch angefügt: Die Landesregierung sollte die Probleme lösen, die da sind, und nicht welche, die fiktiv im Raum stehen. – Das bedarf wohl keiner weiteren Kommentierung.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Was die Angemessenheit und Tonalität angeht, Herr Kollege Höne, zitiere ich aus der von Ihnen angesprochenen Aktuellen Stunde einmal das, was Sie dem Kollegen Zimkeit an den Kopf geworfen haben:
„Herr Kollege Zimkeit, wenn Sie intellektuell nicht in der Lage sind, Dinge auch mal voneinander zu abstrahieren und sich unterschiedliche Ebenen im Vergleich anzuschauen, dann klären Sie das doch bitte mit sich selbst und machen es nicht mit mir hier über die Zwischenrufe aus.“
Das ist der Stil, mit dem die FDP die ganze Zeit hier durch die Debatte geritten ist. (Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Ralf Witzel [FDP])
Worauf hatte der Kollege Zimkeit abgestellt? Der Kollege Zimkeit hatte nämlich auf Ihr Argument abgestellt, das Sie gebracht hatten. Sie hatten gesagt, wir müssten doch die Wahlen eines Landtagsabgeordneten und eines Bundestagsabgeordneten mit der Wahl von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern vergleichen. Sie haben sich in Ihrem ersten und zweiten Redebeitrag zwölf Minuten lang nur auf dieses einzige Argument gestützt.
Was ist seitdem passiert? Herr Dr. Geerlings hat ja gesagt, Sie hätten gelernt. Tatsächlich haben Sie an dieser einen Stelle gelernt. Sie haben gelernt, dass Ihnen die Sachverständigen ins Stammbuch geschrieben haben: Das ist nicht vergleichbar, weil wir ein Verhältniswahlrecht haben.
Was der Kollege Höne an dieser Stelle gesagt hat, geht also völlig fehl.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])
So viel zur intellektuellen Transferleistung, die der Kollege Höne in jener Sitzung an den Tag gelegt hat
 (Zurufe von der FDP: Oh!)
und Herr Zimkeit ohne Sachverständigenanhörung vorher schon erbracht hat. (Ralph Bombis [FDP]: Ich weine gleich!)
Ich will Ihnen auch noch sagen, was er inhaltlich vorgetragen hat. Es ist manchmal sehr schön, Plenarprotokolle durchzublättern. Da stellt man nämlich fest, dass Sie, Herr Kollege Höne – und es ist die FDP, die heute springen muss; das will ich an dieser Stelle einmal klar sagen –, gesagt haben: Wer als Rechtsstaatspartei das Wahlrecht einschränkt, ohne Argumente zu haben, muss das klar erklären. – Das ist nicht erklärt worden. Deswegen sind Sie hier auch am Zuge.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Sie haben allen Ernstes behauptet, die Stichwahl sei im deutschen Wahlrecht die Ausnahme. Tatsächlich ist die Stichwahl im deutschen Wahlrecht Standard, was die Bürgermeisterinnen- und Bürgermeisterwahlen betrifft.
(Stefan Kämmerling [SPD]: So ist es!)
Aber Sie haben sich zu dem Vergleich hinreißen lassen, dass rund 7.669 Vertreterinnen und Vertreter mit relativer Mehrheit gewählt worden sind. Dabei stellen Sie auf die Ratsvertrete- rinnen und Ratsvertreter ab. Sie haben Äpfel mit Birnen verglichen. Das haben Sie mittlerweile eingesehen. Ihr Argument ist weg.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Insofern müssten Sie an dieser Stelle auch einmal Ihre Meinung ändern.
In diesem Zusammenhang kurz zur Chronologie des ganzen Verfahrens: Wir haben im letzten Jahr, im Mai 2018, einen Entwurf von Herrn Minister Reul bekommen, der ohne Stichwahl und ohne Änderung der Wahlkreise, aber mit Verhüllungsverbot – das will ich hier schon sagen – ins Rennen gegangen ist. Im Juni 2018 hat es dann den Parteitagsbeschluss der CDU gegeben. Im Juli 2018 hat die SPD-Fraktion angefragt: Wie sieht denn die Landesregierung die Frage der Stichwahl?
Daraufhin hat die Landesregierung ausgeführt: Wir sehen keinen Handlungsbedarf, (Stefan Kämmerling [SPD]: Richtig! Stimmt! Genau! Ganz genau!)
und wir überlassen es den Fraktionen, das zu beurteilen. – Das ist der Stand der Landesregierung bis heute. Sie haben weder Fakten noch Zahlen noch inhaltliche verfassungsrechtliche Argumente geliefert, die es zwingend machen, diese Änderung vorzunehmen. Stand heute lehnt die Landesregierung offensichtlich diesen Punkt ab. Da müssen Sie sich einmal festlegen, Herr Minister Reul.
(Herbert Reul, Minister des Innern: Sie müssen zuhören!)
–  Sie können das ja richtigstellen, wenn ich es falsch dargestellt habe.
An dieser Stelle will ich noch auf die Zahlen eingehen, weil hier der eine Punkt massiv mit dem anderen Punkt verwechselt wird.
Es geht nicht – das hat der Sachverständige Wißmann in der Sachverständigenanhörung ausgeführt – insgesamt um die Wahlbeteiligung, sondern im Wesentlichen um die Frage: Mit wie vielen Stimmen ist die Hauptverwaltungsbeamtin bzw. der Hauptverwaltungsbeamte ins Amt gewählt worden?
Auf die Frage von Frau Düker, was zwischen 2011 und 2019 passiert ist, hat Herr Höne auf die Wahlen 2014/2015 hingewiesen. In 75 % der Fälle – ohne die Landratswahlen – hat die Bewerberin bzw. der Bewerber im zweiten Wahlgang einen höheren Stimmenanteil gehabt als im ersten Wahlgang.
(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU] – Gegenruf von Rainer Schmeltzer [SPD]: Prozentrechnen können Sie nicht, Herr Löttgen!)
Das ist die Wahrheit, die heute hier auf dem Tisch liegt. (Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Nehmen wir einmal den kreisangehörigen Raum. In einem Drittel der Fälle, in denen Stichwahlen stattgefunden haben, haben die Kandidaten im zweiten Wahlgang nicht nur einen höheren Stimmenanteil als im ersten Wahlgang gehabt, sondern es hat sogar die Mehrheit gewechselt.
(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])
Das heißt auf Deutsch: Diese Stichwahl ist so gut wie nie zuvor. Sie führt dazu, dass im jeweiligen Fall nicht die falsche Kandidatin bzw. der falsche Kandidat zum Stadtoberhaupt gewählt wird, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Lassen Sie mich zum Schluss – denn die Redezeit geht dem Ende zu – noch zwei Argumente nennen, die ganz wichtig sind.
Sie haben doch auch gar keinen Versuch unternommen, andere Mittel zu verwenden. Sie haben gar nicht versucht, für die Wahlrechtsbeschränkung anderweitig Abhilfe zu schaffen. Was ist mit der Idee, die Bürgermeisterwahl, die Personenwahl, zwei Wochen vor der verbundenen Ratswahl durchzuführen? Wenn es Ihnen allein um die höhere Wahlbeteiligung ginge, würden Sie feststellen, dass bei der verbundenen Wahl natürlich mehr Menschen zur Wahl gingen und ein höheres Abstimmungsergebnis zustande käme. Im Jahr 1994 haben mehr als 80 % der Wahlberechtigten an der Kommunalwahl teilgenommen, weil die Bundestagswahl am selben Tag stattgefunden hat.
Ich kann Ihnen nur sagen: Es geht Ihnen nicht um eine höhere Wahlbeteiligung. Ihnen geht es darum, das, was Sie sich einmal in den Kopf gesetzt haben, durchzusetzen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Das werden wir in Münster sehr klar zur Sprache bringen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Sie haben es nicht geschafft, hier einen politischen Diskurs darüber zu führen, warum Menschen vielleicht anders abstimmen. Ich habe an den Zahlen deutlich gemacht, dass es auch eine aktive Wahlenthaltung geben kann. Die Menschen haben nicht deshalb nicht am zweiten Wahlgang teilgenommen, weil sie keine Lust hatten, sondern, weil sie den Kandidaten oder die Kandidatin nicht wählen wollten. Trotzdem hat in den allermeisten Fällen – in 75 % der Fälle, wenn man alles zusammennimmt, oder in 65 % der Fälle – der Kandidat bzw. die Kan- didatin gewonnen, der bzw. die in allen Wahlgängen mehr Stimmen hatte.
Das ist die Wahrheit, und darüber reden wir heute. Es gibt überhaupt keinen Grund, die Stichwahl abzuschaffen – außer, einen CDU-Parteitagsbeschluss durchzusetzen. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

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