Norwich Rüße: „All das, was dort seit Jahren passiert, ist tierschutzrelevant“

Antrag der GRÜNEN im Landtag zu Tierschutz in Schlachthöfen

Portrait Norwich Rüße

Norwich Rüße (GRÜNE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jedes Jahr werden in Deutschland nach Schätzungen 200.000 Rinder so unzureichend betäubt, dass sie bei Bewusstsein zur Schlachtung gelangen.
Jedes Jahr wird auch jedes 100. Schwein in Deutschland, das geschlachtet wird, so schlecht betäubt, dass es noch Reflexe zeigt, atmet und vielleicht sogar noch quiekt, wenn es in den Brühkessel gelangt. 1 % der Schweine, das klingt erst mal nicht nach viel. Es handelt sich dabei aber in der Summe um 500.000 Tiere, die Leid ausgesetzt sind, das an der Stelle unbedingt zu vermeiden ist.
In der Tierschutz-Schlachtverordnung heißt es:
„Tiere sind so zu betäuben, dass sie schnell und unter Vermeidung von Schmerzen oder Leiden in einen bis zum Tod anhaltenden Zustand der Empfindungs- und Wahrnehmungslosigkeit versetzt werden.“
Diese gesetzliche Bestimmung wird in Deutschland auf unseren Schlachthöfen hunderttausendfach im Jahr verletzt.
Jetzt fragen Sie sich: Warum erzähle ich Ihnen das eigentlich? Der Hintergrund ist klar: Wir haben im letzten Plenum den Antrag zur Videoüberwachung auf Schlachthöfen behandelt. Ich möchte damit klarmachen, dass wir mit der Videoüberwachung allein nicht weiterkommen werden, um tatsächlich den Tierschutzstandard auf den Schlachthöfen durchzusetzen.
Ich glaube, wir brauchen ein ganzes Paket an Maßnahmen, um endlich dahin zu kommen, dass die Tiere so geschlachtet werden, wie es sich die Gesellschaft vorstellt, wie es in diesem Land erwartet wird, und dass wir dann tatsächlich die Gesetze in diesem Land einhalten.
(Beifall von den GRÜNEN)
Die Videoüberwachung ist ein richtiger Schritt. Das haben wir Grüne an der Stelle immer unterstützt. Aber genau diese Fehler, die beim Betäuben der Tiere und beim Entblutungsstich gemacht werden, werden Sie natürlich mit einer Videokamera nicht entdecken.
Sie werden die ganz groben Verletzungen, wie in Bad Iburg, mit der Videokamera aufdecken und hoffentlich auch verhindern. Aber die Feinheiten, die genauso problematisch sind, werden Sie damit nicht entdecken können.
Wir haben eine Große Anfrage zum Tierschutz in der Landwirtschaft gestellt. Es sind Antworten zum gesamten Komplex „Schlachthöfe“ gekommen. Das, was wir als Maßnahmenpaket vorschlagen, ergibt sich ein Stück weit aus diesen Antworten.
Ich will ein paar Punkte erwähnen:
Erstens. Der wichtigste Faktor, der zu den Tierschutzverletzungen führt, ist für uns das Akkordsystem auf den Schlachthöfen. Wir Grüne verlangen, dass der Akkord aus den sensiblen Bereichen – Zutrieb, Betäubung, Tötung – herausgenommen wird. Er hat da nichts verloren.
Ich will nur ein Beispiel nennen: Wenn ein Rind getötet wird, vergeht von der Betäubung in der Betäubungsbox bis zu dem Moment, zu dem es am Haken hängt, nicht mal eine Minute eine Minute, in der ein Schlachter betäuben und der Entblutungsstich gesetzt werden muss. Sie haben da nicht die Chance, noch mal zu korrigieren, wenn Sie einen Fehler gemacht haben. Sie machen dann den Fehler. Das führt dazu, dass 200.000 Tiere unzureichend geschlachtet werden.
Ich meine, wir sind es den Tieren schuldig, den Akkord auf den Schlachthöfen endlich rauszunehmen, solange wir dort mit lebenden Tieren arbeiten.
Zweitens. Für mich ist es vollkommen unverständlich, dass es für die Betäubungseinrichtung, für die Fixierungsapparate auf den Schlachthöfen keine verbindlichen Standards und Prüfpflichten haben. Dass in einem so sensiblen Bereich die Anlagen immer wieder bemängelt und nicht kontinuierlich geprüft werden, sondern das Betäuben zum Teil sogar in Eigenverantwortung geschieht, halten wir für falsch. Wir erwarten, dass es zu bundeseinheitlichen Regelungen kommt.
Drittens. Die Skandale haben aufgezeigt: Die Kontrollen an den Schlachthöfen sind unzureichend. Es kann nicht sein, dass dort unter den Augen der amtlichen Tierärzte solche Tierschutzvergehen passiert sind. Deshalb werden wir bei den Kontrollen noch mal nachbessern müssen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wir müssen noch mal gucken, wo wir historisch herkommen. Wofür sind die amtlichen Veterinäre damals in die Schlachthöfe gekommen? Ihre Aufgabe war es ursprünglich nicht, Tierschutz zu kontrollieren. Es ging um Fleischqualität und Hygiene; das ist die historische Ableitung.
Wir müssten eigentlich darüber reden, ob man in dem gebührenfinanzierten Gesamtsystem nicht vielleicht mehr Aufmerksamkeit für den Punkt „Tierschutz an den Schlachthöfen“ aufbringen, das anders finanzieren und gestalten müsste.
Wir wollen mit diesem Antrag klarmachen: Wir müssen sehr viel mehr machen. Auch über eine CO-Betäubung sollte man nachdenken. All das, was dort seit Jahren passiert, ist tierschutzrelevant.
Ein Letztes: Clemens Tönnies hat das Verramschen von Fleisch völlig zu Recht kritisiert. Aber wir kritisieren, dass auf Schlachthöfen, wie auf denen von Clemens Tönnies, auf Kosten der Arbeiter, auf Kosten der Tiere Billigfleisch produziert wird. Auch das muss ein Ende haben, meine Damen und Herren.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

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