Josefine Paul: „Wohnungslosigkeit von Frauen ist oftmals unsichtbar“

Antrag der GRÜNEN im Landtag zu Wohnungslosigkeit bei Frauen

Portrait Josefine Paul

Josefine Paul (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wohnen ist zu einer zentralen sozialen Frage unserer Zeit und dementsprechend zu einer Frage, die hier immer wieder diskutiert wird, geworden. Die Frage der Wohnungslosigkeit – insbesondere mit dem speziellen Fokus auf Wohnungslosigkeit von Frauen – ist heute nicht zum ersten Mal Thema.
Gleichwohl ist es wichtig, dass wir immer wieder diesen speziellen Punkt thematisieren, denn ein Dach über dem Kopf zu haben, ist nicht nur ein Grundbedürfnis, sondern es ist auch eine zentrale Voraussetzung für eine menschenwürdige Existenz und für soziale Teilhabe.
Ausweislich der Wohnungslosenstatistik verzeichnen wir in den letzten Jahren leider einen kontinuierlichen Anstieg bei der Wohnungslosigkeit. So zählt die Wohnungslosenstatistik zum Stichtag 30. Juni 2017 insgesamt 32.286 wohnungslose Personen. Etwa 30 % von ihnen sind Frauen.
Die Anzahl der wohnungslosen Frauen ist in den letzten Jahren dramatisch gestiegen. Auch im letzten Jahr war der Anstieg dieser Zahl dramatisch.
Leider bleibt darüber hinaus zu vermuten, dass die Dunkelziffer noch höher ist, denn die Wohnungslosigkeit von Frauen ist oftmals unsichtbar. Das haben wir hier schon miteinander diskutiert, und auch der Bericht des Ministers hat es deutlich gemacht.
Das macht es noch schwieriger, spezifische Unterstützungsmaßnahmen gezielt an die Frauen zu bringen, die sie brauchen, denn Frauen versuchen lange, ihre Wohnungslosigkeit zu verbergen, nicht als wohnungslos identifiziert zu werden oder ohne institutionelle Hilfe auszukommen. Sie tun dies vielleicht aus Scham, vielleicht aus Angst und aus anderen, sehr vielfältigen Gründen. Unter dem Strich bleiben sie aber eben oftmals unsichtbar. Wir sprechen dann von versteckter Wohnungslosigkeit.
Viele Frauen versuchen, diese versteckte Wohnungslosigkeit damit zu kompensieren, dass sie zumindest zeitweise versuchen, bei Bekannten, Verwandten oder den Eltern unterzukommen. Sie gehen – das ist ein wirklich großes Problem – oftmals Zweckpartnerschaften ein, die dann wiederum mit neuen Abhängigkeitsverhältnissen bis hin zu sexueller Gewalt und Gewalt als Begleiterscheinung einhergehen.
Oftmals geraten Frauen aber auch in Wohnungsnotfallsituationen, weil sie versuchen, einer Situation häuslicher Gewalt zu entfliehen. Ihnen fehlen dann aber oftmals die nötigen sozialen Netze und die wirtschaftlichen sowie materiellen Mittel, um sich selbst mit Wohnraum versorgen zu können.
Angebote für Frauen, die wohnungslos oder von Wohnungslosigkeit bedroht sind, müssen genau hier ansetzen. Der Schutz vor Gewalt und die Stärkung der Autonomie müssen Kernbestandteile einer Strategie gegen die Wohnungslosigkeit von Frauen und zur Hilfe für Frauen, die von Wohnungslosigkeit bedroht oder wohnungslos sind, sein.
Dazu muss es eine enge Kooperation zwischen den Trägern der Obdachlosenhilfe, aber eben auch der Frauenhilfestruktur sowie kommunalen Stellen geben.
Hier können und müssen auch die Second-Stage-Projekte einen Beitrag leisten. Deshalb müssen sie dringend gesichert und weiterentwickelt und auch weiter in die Fläche gebracht werden. Derzeit haben wir acht Projekte in diesem Bereich. Sie können sich vorstellen, dass dies bei der Größe Nordrhein-Westfalens natürlich bei Weitem nicht ausreicht.
(Beifall von den GRÜNEN und Anja Butschkau [SPD])
Wohnungslosigkeit darf nicht zu Ausweglosigkeit führen – es darf nicht „Ausweglosigkeit“ heißen. Hier müssen wir Perspektiven eröffnen.
Durch das Landesprogramm „Hilfen in Wohnungsnotfällen“ sind mittlerweile eine Reihe spezialisierter Angebote entstanden. Trotzdem müssen wir auch hier feststellen, dass beispielsweise Notunterkünfte nach wie vor männlich dominiert sind.
Das bedeutet, dass es für Frauen oftmals ein großes Hemmnis gibt, die Notunterkünfte über- haupt in Anspruch zu nehmen. Auch hier müssen wir also gezielt nacharbeiten: Es braucht frauenspezifische Notunterkünfte im Bereich der Wohnungslosenhilfe.
(Beifall von den GRÜNEN und Anja Butschkau [SPD])
Darüber hinaus sind die speziellen Angebote für Frauen in Nordrhein-Westfalen sehr ungleich verteilt. Während wir in der Rhein-Ruhr-Schiene und gerade im großstädtischen Raum durchaus gute Ansätze und Angebote haben, mangelt es nach wie vor an der Flächendeckung.
Auch hier müssen wir nacharbeiten und die Angebote dringend in die Fläche bringen, denn auch in den Kreisen und im kreisangehörigen Raum braucht es selbstverständlich spezialisierte Angebote, die Frauen, die von Wohnungslosigkeit betroffen oder bedroht sind, unterstützen.
Es hat sich gezeigt, dass Frauen insbesondere durch aufsuchende und mobile Angebote besser erreicht werden können, als dies möglicherweise in der Wohnungslosenhilfe im klassischen Bereich oftmals der Fall ist.
Daher ist es auch notwendig, die aufsuchende medizinische Versorgung, die derzeit nur in sechs Kommunen umgesetzt wird – bei denen es sich im Grunde um Städte handelt –, flächendeckend auszubauen, denn Frauen sind nicht nur in sechs Städten in Nordrhein-Westfalen von Wohnungslosigkeit bedroht oder betroffen, sondern leider in ganz Nordrhein-Westfalen.
Die Entwicklung im Bereich der Wohnungslosigkeit von Frauen ist alarmierend; die Daten dazu zeigen es deutlich. Dadurch wird klar, dass es eine große Notwendigkeit dafür gibt, einerseits einen geschlechtersensiblen Blick auf die Ursachen von Wohnungslosigkeit zu werfen, andererseits aber auch die Lösungsansätze geschlechterspezifisch zu bearbeiten.
Hierzu habe ich aufgezeigt, was aus unserer Sicht getan werden muss, wo es mehr Flächendeckung braucht und wo wir uns auch die Unterstützung und mehr Engagement der Landesregierung wünschen. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und Anja Butschkau [SPD])

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