Josefine Paul: „Sprache spiegelt den Zeitgeist und gesellschaftliche Entwicklungen wider“

Antrag der "AfD"-Fraktion zur "Gender-Sprache"

Portrait Josefine Paul

Josefine Paul (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sprache schafft Realität. Sie produziert Hör- und Sichtbarkeit. Sie nimmt Identitäten ernst. Bestenfalls soll sie die Vielfalt unserer Gesellschaft wortwörtlich zum Ausdruck bringen.
Wir sind noch lange nicht am Ziel. Aber wir sind auf einem Weg. Diesen konsequent zu beschreitenden Weg, zu dem es allerlei Leitfäden, Debatten und gute Beispiele gibt, wollen Sie zurückdrehen. Gott sei Dank lässt sich dieser Weg des Fortschritts auch von Ihnen nicht zurückdrehen.
Es zeigt sich aber – Sie befeuern das noch einmal –, dass ein regelrechter Kulturkampf um den Gender-Star entbrannt zu sein scheint. Heißt es dann eigentlich „das“ generische Maskulinum oder „der“ generische Maskulinum? Das müssen Sie mir vielleicht noch einmal erklären. Als wäre das die letzte Bastion hegemonialer Männlichkeit!
Und wenn ich in Ihre Reihen schaue …
 (Helmut Seifen [AfD]: Das! Das Maskulinum! – Weitere Zurufe von der AfD)
–  Ach so. „Das“ ist dann noch okay. Ich würde vorschlagen, dass Sie es in „der“ generische Maskulinum umbenennen.
(Heiterkeit von Susanne Schneider [FDP])
Wie dem auch sei! Die Frauen Ihrer Fraktion – die zwei, die es nur gibt – haben bei dieser Debatte offensichtlich auch schon die Flucht ergriffen, weil ihnen diese hinterwäldlerische, ewiggestrige Debatte ebenfalls peinlich zu sein scheint.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Sprache ist im Wandel. Die Kolleginnen haben schon darauf hingewiesen. Sie lebt und wird von denen gelebt, die sie nutzen. Das sind heute nicht mehr Goethe und Schiller, sondern die vielen Menschen, die tagtäglich mit Sprache umgehen. Dementsprechend hat die Sprache sich über die Jahrhunderte und Jahrzehnte entwickelt.
(Helmut Seifen [AfD]: Aber nicht künstlich!)
Sie spiegelt einerseits den Zeitgeist und andererseits – das ist sehr gut so – gesellschaftliche Entwicklungen wider. Ich will ganz deutlich sagen, dass die Frage von Gleichberechtigung keine Mode ist. Das ist auch keine Entscheidung, die wir jeden Tag neu treffen. Vielmehr ist Gleichberechtigung ein Grund- und Menschenrecht mit Verfassungsrang.
Ein Blick ins Grundgesetz zeigt, dass der Staat in Art. 3 Abs. 2 Satz 2 aufgefordert wird und ist, auf die Beseitigung bestehender Benachteiligungen hinzuwirken. Marginalisierung, und sei es sprachliche Marginalisierung, ist eine ebensolche Benachteiligung.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Dementsprechend gilt es, dem konsequent entgegenzutreten. Dem trägt auch § 4 Landesgleichstellungsgesetz Rechnung. Das ist gut und richtig so; denn damit setzt das Land den verfassungsmäßigen Auftrag durch das LGG um.
Kollegin Kopp-Herr hat schon darauf hingewiesen, dass wir in diesem Jahr 100 Jahre Frauenwahlrecht und 70 Jahre Grundgesetz feiern. Es ist doch absurd, dass wir nach wie vor die Diskussion führen, ob Frauen mitgemeint sind. 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts und 70 Jahre nach Inkrafttreten des Gleichstellungsartikels im Grundgesetz müsste eigentlich selbst bei Ihnen angekommen sein, dass Frauen selbstverständlich nicht mitgemeint sind, sondern dass sie Teilhabe an der Gesellschaft auch in der Sprache zu Recht einfordern
(Helmut Seifen [AfD]: Genau!)
und dass es gilt, dies endlich konsequent umzusetzen.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass auch Intermenschen – ob Ihnen das nun passt oder nicht – nicht mitgemeint sind, sondern dass auch sie sprachlich positiv sichtbar gemacht werden müssen. Das ist ebenfalls gut und richtig; denn es trägt der gesellschaftlichen Vielfalt in unserem Land Rechnung.
Das Gleichstellungsreferat der Landeshauptstadt Hannover und die von ihm – übrigens mit Zustimmung des Oberbürgermeisters und der DezernentInnenkonferenz – herausgegebene „Empfehlung für eine geschlechtergerechte Verwaltungssprache“ sind schon angesprochen worden. Das ist doch das Vorbild für das 21. Jahrhundert.
Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass Nordrhein-Westfalen, wenn es das alles abschafft, Vorbildcharakter haben könnte. Nein! Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Vorbildcharakter haben diejenigen, die die gesellschaftliche Realität abbilden und sich gegen Diskriminierung wenden, und nicht diejenigen, die mit Volldampf ins vorherige Jahrhundert wollen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Markus Wagner [AfD])
Ich will Ihnen einige Beispiele nennen. Aus „Teilnehmern des Projekts“ werden „Projektteam“ oder „Teilnehmende des Projekts“. Aus dem „Rat der Psychologen“ wird der „psychologische Rat“. Es wird nicht gesagt: „Es gab 20 Teilnehmer“, sondern: „Teilgenommen haben 20 Personen“.
Das ist auch kein Rednerpult. Wenn ich hier stehe, muss es auch nicht zwingend ein Rednerinnenpult sein. Es kann auch einfach ein Redepult sein, weil von hier geredet wird.
(Helmut Seifen [AfD]: Das ist doch Quatsch!)
Es tut doch eigentlich nicht weh. Das tut auch Ihnen nicht weh. Ich will es so deutlich sagen: Es nimmt Ihnen auch nicht Ihre Männlichkeit. Da können Sie ganz unbesorgt sein.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Helmut Seifen [AfD]: Da habe ich keine Sorge!)
Sehr geehrte Damen und Herren, im Antrag – daran kann man sehen, in welche beängstigende Richtung diese Diskussion geht – schreiben Sie vom „Missbrauch der Sprache“. In Debatten wird auch gerne davon gesprochen, dass die Sprache vergewaltigt werde.
(Zuruf von der AfD: Genau!)
Kollegin Schneider hat schon darauf hingewiesen, dass das zum einen Gewalt gegen Frauen verharmlost. Und das werden wir nicht zulassen. Zum anderen macht es noch einmal sehr deutlich, was für ein Abwehrkampf gegen die offene Gesellschaft das ist.
Aber glücklicherweise werden Sie diesen Abwehrkampf, dieses letzte Aufbäumen der hegemonialen Männlichkeit, nicht gewinnen.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD – Lachen von Helmut Seifen [AfD])
Weder sind die Diskriminierung bei Karnevalsreden und die Diffamierung von Minderheiten eine gute Tradition, noch ist eine exkludierende Sprache, zu der Sie mit Ihrem Antrag zurückkehren wollen, eine „schöne kulturelle Überlieferung“, wie Sie schreiben. Nein! Ihr Antrag ist nichts anderes als ein Zurück in die Vergangenheit. Er zeigt sehr eindeutig, welche ewiggestrige Haltung Sie haben.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Mehr zum Thema

Frauen