Norwich Rüße: „Es ist gut, dass wir anders auf Tiere schauen und sie eben nicht mehr nur als Sache“

Große Anfrage der GRÜNEN im Landtag zu Tierschutz und Tierhaltung

Portrait Norwich Rüße

Norwich Rüße (GRÜNE): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Tierschutz hat in unserer Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten einen ganz anderen Stellenwert bekommen, als es früher der Fall war.
Der Begriff „Nutztierhaltung“ deutet zwar noch darauf hin, aber Tiere werden in unserer Gesellschaft heute nicht mehr allein nach ihrem Nutzwert definiert. Wir schauen nicht mehr darauf, wie die Tiere uns dienen – wie beispielsweise bei einer Katze, die Mäuse fängt, oder einem Hund, der das Haus bewacht. Nein, mittlerweile werden Tiere von uns allen als Partner wahrgenommen. Wir respektieren, dass Tiere Empfindungen haben und vielleicht sogar Gefühle haben können.
Ich halte das für einen Gewinn für unsere Gesellschaft. Es ist gut, dass wir anders auf Tiere schauen und sie eben nicht mehr nur als Sache –nach dem BGB – betrachten, die man vielleicht bedenkenlos ausnutzen darf. Es ist gut, dass unsere Einstellung etwas anders geworden ist.
(Beifall von den GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist auch gut, dass wir Tierschutz im Grundgesetz verankert haben, dass wir für die Haltung von Nutztieren Vorschriften haben, in denen festgelegt ist, wie Tiere mindestens zu behandeln sind, und dass es Vorschriften dafür gibt, wie Tiere – wenn wir es denn wollen – zu töten sind, dass nämlich das Schlachten so geschieht, dass die Tiere nicht unnötig leiden.
Insbesondere diesbezüglich konnten wir jedoch in den letzten Monaten feststellen, dass genau das nicht der Fall war und diese Vorschriften immer wieder nicht eingehalten wurden.
Wir alle kennen die Bilder, aktuell aus Bad Iburg an der Grenze zu NRW oder aus Düren in NRW – Bilder von Schlachthöfen, wo Kühe, die nicht mehr lauffähig waren und nicht mehr zum Schlachthof hätten gebracht werden dürfen, von Anhängern gezerrt wurden, Bilder, wie Tiere unzureichend betreut wurden. Und all das teilweise auch noch unter Aufsicht von Amtsveterinären, die daneben standen, obwohl sie doch eigentlich dazu berufen sind, Tieren zu helfen und unnötiges Leid zu verhindern. Schließlich ist es eigentlich ihr Job, am Schlachthof einzuschreiten und zu sagen, dass mit Tieren so nicht umgegangen werden dürfe.
Diese Vorkommnisse und die Debatten, die wir über landwirtschaftliche Tierhaltung hatten, haben uns dazu bewogen, die vorliegende Große Anfrage zu stellen.
Frau Ministerin, ich möchte bei Ihnen ausdrücklich für die Beantwortung dieser Großen Anfrage bedanken.
(Ministerin Ursula Heinen-Esser zeigt auf Staatssekretär Dr. Heinrich Bottermann [MULNV])
–  Selbstverständlich bedanke ich mich auch beim Staatssekretär, Herrn Bottermann, sowie beim gesamten Ministerium und auch bei den nachgelagerten Behörden; denn natürlich weiß ich: Die Daten müssen erhoben werden, die Kreisveterinärbehörden müssen die Daten zur Verfügung stellen. Das ist mit Arbeit verbunden. Zusätzliche Arbeit macht man nicht immer gerne, und deshalb möchte ich mich ausdrücklich dafür bedanken, dass das gemacht worden ist. Wir konnten nämlich aus dem Resultat dieser Großen Anfrage einiges an Erkenntnissen für die weitere Bearbeitung des Tierschutzes in Nordrhein-Westfalen ziehen.
Was mich am meisten erfreut hat, ist, dass die Landesregierung in der Antwort auf die Große Anfrage einen Satz nach vorne gestellt hat, auf den meine Fraktion lange gewartet hat. Dieser lautet: „Die Landesregierung ist der Auffassung, dass in der Tierhaltung grundsätzlicher Reformbedarf besteht.“
Das heißt, dass es tatsächlich Handlungsbedarf gibt und wir nicht länger nur an ganz kleinen Schräubchen drehen können, um das System der Tierhaltung ein bisschen zu optimieren und nachzujustieren, sondern dass wir grundlegenden Handlungsbedarf haben und an einigen Stellen auch Dinge grundsätzlich reformieren und verändern müssen, um wieder eine Landwirtschaft – ich sage ausdrücklich: mit den nachgelagerten Branchen – zu bekommen, die im Einklang mit den Tierschutzvorstellungen in der Gesellschaft wirtschaftet. Diese Aspekte müssen wieder zusammengeführt werden. Diese Gesellschaft muss wieder mit dem leben können, was Landwirte in ihren Ställen machen.
Die Antworten auf die Große Anfrage sind interessant. Das Erste, was wir alle kennen, ist die Antwort auf Frage „Wie haben sich landwirtschaftliche Betriebe entwickelt?“; denn es ist bekannt, dass es vor 30 Jahren im Bereich „Geflügelmast“ Betriebe mit im Durchschnitt 1.000 Tieren gab. Heute haben Geflügelmäster bis zu 200.000 Tiere in ihren Ställen.
Dieser Prozess der Vergrößerung von Betrieben bedeutet natürlich auch eine deutlich größere Herausforderung, was die Tierbetreuung betrifft. Natürlich ist die Entwicklung der Bestandszahlen nicht überall so rasant wie im Bereich der Geflügelmast. Aber auch in der Schweinemast und beim Milchvieh gibt es aber ähnliche Entwicklungen.
Auf einen Punkt will ich besonders hinweisen: Es besteht insbesondere in der Schweinemast zunehmend die Tendenz, dass Betriebe Ställe von anderen, die ihren Betrieb aufgeben, pachten. Dazu muss man überlegen: Ist eine Betreuung eines Stalls, der 10 Kilometer von einem Hof entfernt ist, tatsächlich gewährleistet? Funktioniert das?
Vielleicht liegt ein Stall eines Betriebs 10 Kilometer in die eine und ein anderer Stall 5 Kilometer in die andere Richtung. Dann wird es schwierig. Landwirte sind dann jeden Tag allein deswegen viel unterwegs, um Ställe zu besuchen und zu kontrollieren. Ob Technik alleine ausreicht, um das auszugleichen, dahinter steht aus meiner Sicht ein großes Fragezeichen. Technik kann helfen, ja. Sie wird den Menschen aber, wenn die Bestandsbetreuung optimal sein soll, niemals ersetzen können. 
Besonders überrascht hat uns – ich sage für meine Fraktion: auch ein Stück weit entsetzt – die unterschiedliche Qualität in der Häufigkeit der Kontrollen der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung, der Regelkontrollen durch die Kreisveterinärbehörden. Im Münsterland haben wir eine Kontrollhäufigkeit von acht bis zwölf Jahren. Ungefähr so oft werden die Betriebe besucht. Damit kann ich ja vielleicht noch leben. Aber wenn dann Betriebe in anderen Kreisen rechnerisch alle 100 Jahre als Regelkontrolle besucht werden, dann ist das deutlich zu wenig. Das geht nicht.
(Beifall von den GRÜNEN)
Spannendes aus der Großen Anfrage fand ich die Frage: Was kann der Staat eigentlich noch tun – Einfluss auf Zuchtziele? Da ist deutlich geworden: Der Staat hat gar keinen Einfluss mehr. Es ist alles privatrechtlich organisiert. Die Zuchtunternehmen haben alles in der Hand. Früher hatten wir Direktoren der Zuchtverbände, die kamen aus der Landwirtschaftskammer. Da gab es auch noch einen Einfluss quasi über die Kammer. Das ist weg. Das ist aus meiner Sicht äußerst bedenklich.
Ich begrüße deshalb sehr, dass heute eine Arbeitsgruppe eingerichtet worden ist, die sich endlich mit den Qualzuchten in der Nutztierhaltung beschäftigen will. Das finde ich sehr gut. Ich finde die Aussage von Professor Martens „So können wir nicht mit Tieren umgehen“ – speziell zur Frage der Qualzuchten – absolut richtig. Da muss auch etwas passieren. Kühe, die 12.000, 14.000 Liter Milch geben, Hähnchen, die ihr Gewicht nicht halten können, Truthühner, die nicht mal mehr in der Lage sind, sich auf natürlichem Wege fortzupflanzen – das geht überhaupt nicht.
An den Schlachthöfen hat uns die unterschiedliche, jährlich schwankende Anzahl der ermittelten Verstöße erstaunt. Das ist auch ein Indiz: Ich glaube nicht, dass die Verstöße tatsächlich so schwanken. Ich glaube eher, dass das Hingucken unterschiedlich stark ist. Das ist vielleicht sowieso kennzeichnend: Wir brauchen mehr einheitliche Standards, bezogen auf die Kreise, aber auch auf die Schlachthöfe, dass wir insgesamt zu Kontrollen kommen, die einheitlich sind, die nachvollziehbar sind, die standardisiert sind, sodass die Unternehmen auch wissen, dass sie kontrolliert werden. Diese Kontrollen müssen aber auch so sein, dass die Unternehmen auch damit umgehen können. Das ist natürlich auch wichtig.
Wir erwarten von Ihnen, Frau Ministerin, dass Sie diese Ergebnisse der Großen Anfrage auf- greifen, dass Sie damit den Tierschutz in unserem Bundesland vorantreiben. Denn ich glaube, eine Nutztierhaltungsstrategie alleine wird uns nicht reichen, wenn wir diese Punkte nicht abarbeiten. Das ist ganz besonders wichtig in puncto Schlachthöfe. Ich persönlich – da sind wir uns, glaube ich, alle einig – will, wenn wir schon Tieren das Leben nehmen, solche Bilder von Schlachthöfen aus Nordrhein-Westfalen und anderswo nie wieder sehen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Norwich Rüße (GRÜNE): Meine Damen und Herren, zum Schluss ein Satz: Ich glaube, die Durchsetzung eines ambitionierten Tierschutzes sind wir nicht nur den Tieren schuldig. Ich glaube, dass wir uns das auch selbst als Menschen schuldig sind, wenn wir morgen auch noch zufrieden in den Spiegel schauen wollen.
(Beifall von den GRÜNEN)

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