Johannes Remmel: „Es gibt keine Roadmap“

Aktuelle Stunde auf Antrag der GRÜNEN im Landtag

Johannes Remmel (GRÜNE): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich mache jetzt etwas, was in den Lehrbüchern für Parlamentsreden eigentlich nicht vorgesehen ist. Wir haben spät begonnen, aber es ist noch früh am Morgen,
(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])
und Störungen gehen vor. Ich will diese Störung direkt am Anfang ansprechen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, seit Wochen und Monaten ist die Opposition im Landtag unterwegs, um von der Landesregierung Informationen und Strategien zum Umgang mit einem geregelten oder auch ungeregelten Brexit zu bekommen: Kleine Anfragen, Aktuelle Stunden, Berichtsantrag, Sondersitzung und heute wieder eine Aktuelle Stunde.
Das ist eigentlich die Stunde der Regierung. Es gibt eine Bringschuld der Regierung, hier aufzutreten, eine Unterrichtung der Öffentlichkeit und des Landtags vorzunehmen
(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])
und gegebenenfalls sogar eine Regierungserklärung abzugeben.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf: Genau!)
Ja, auf dem Redezettel ist vorgesehen, dass Herr Minister Professor Dr. Pinkwart spricht. Mit Verlaub: Ihre großväterliche Nonchalance auf der einen Seite, die ich schätze, und die Umarmung durch Weglächeln auf der anderen Seite reichen hier nicht aus. Wenn das Schiff auf hoher See ist, wenn Sturm aufzieht, wenn schlechte Wetter drohen,
(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
dann ist der Kapitän gefragt. Wo ist eigentlich der Ministerpräsident an dieser Stelle? (Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich weiß auch: Es gibt zu dieser historischen Stunde, zu diesem historischen Vorgehen keine Parallelen.
(Bodo Löttgen [CDU]: Geht es auch eine Nummer kleiner?)
Es gibt keine Roadmap. Es gibt keinen Plan, auf den man irgendwo zurückgreifen könnte.
Nachdem wir eben noch gemeinsam mit Enthusiasmus die Europahymne „Alle Menschen werden Brüder“ gesungen haben, sollen wir jetzt getrennt werden. Nachdem wir gerade erst angefangen haben, zusammenzuwachsen,
(Zuruf: Nicht so laut!)
soll es nun auseinandergehen. Da gibt es nichts Vergleichbares. Da gibt es auch keine Patentrezepte; das ist völlig klar.
Es gibt auch kaum Parallelen – vielleicht noch ein wenig zu persönlichen Erfahrungen, die man beispielsweise bei Beziehungstrennungen macht. Da ist klar: Wenn man einmal ausgesprochen hat, dass man sich trennt, fängt die Logik, die Vernunft an, das zu organisieren. Vielleicht klappt es dann auch noch, den Hausstand miteinander zu teilen.
Aber das hier ist eben nicht vergleichbar. Wir werden auch zukünftig noch in einem gemeinsamen Haus wohnen. Wir werden sogar noch das gemeinsame Wohnzimmer benutzen. Das macht es doch gerade so schwierig, dieses Wohnzimmer, in dem es schon manches Mal kräftigen Krach gegeben hat, auch zukünftig bewohnbar zu machen.
Nun hat die britische Regierung – und auch das Parlament – erklärt, dass sie das Karfreitagsabkommen nicht kündigen möchte. Das ist gut. Sie hat erklärt, dass sie nach wie vor einen geordneten Brexit möchte. Auch das ist gut. Aber bisher hat sie nicht erklärt, was sie denn will.
Ich glaube, wir können von dieser Stelle aus nur alles Gute und viel Zeit, das zu regeln, wünschen. Denn es braucht Zeit. Diese ist allerdings begrenzt. Spätestens im Juli 2019 – so ist jedenfalls die Rechtsauffassung – ist diese Zeit dann durch die Konstituierung des Europäischen Parlaments abgelaufen.
Gerade jetzt, wo wir eine Zeit erleben, in der die böse Schlange des Nationalismus wieder aus allen Löchern kommt, in der die Hydra wieder präsent ist, wäre es, nachdem diese Geißel im letzten Jahrhundert unseren Kontinent mit großen Katastrophen schon einmal heimgesucht hat, dringend notwendig, zusammen mit Großbritannien eng Seite an Seite zu stehen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Das kann man eigentlich nur wünschen. Dafür muss man auch alles tun.
Ja, in der Tat ist die Zeit begrenzt. Jetzt ist es an der Zeit, eigene Konzepte, Vorstellungen und Strategien vorzulegen. Die Frage ist nur, warum die Landesregierung das nicht macht.
Sie sind hier doch nicht im Feindesland. In der grundsätzlichen Einschätzung stimmen wir – bis auf den national-völkischen Teil des Parlaments – doch überein.
(Lachen von der AfD)
Wir haben ja keine grundsätzlichen Differenzen.
Weil Sie aber nicht von sich aus ins Parlament kommen, lässt das Raum für Spekulationen. Warum machen Sie das? Warum kommen Sie nicht von sich aus und erklären sich? Was ist Ihre Strategie? Wo wollen Sie hin?
Es fällt auf, dass Sie am Anfang auf den Brexit-Beauftragten gesetzt haben – mehr Inszenierung als tatsächliche Grundlage; die Arbeitsergebnisse sind dünn.
Es fällt auf, dass Sie bisher auch nicht das Parlament darüber unterrichtet haben, welche Normen denn im Landtag Nordrhein-Westfalen zu ändern sind. Es gab gefühlt sechs oder sieben Kleine Anfragen und mehrere Berichtsanträge. Erst am Montag ist erklärt worden: Ja, gut; 20 Normen – also Gesetze und Verordnungen – müssen auch hier bei einem ungeregelten Brexit geändert werden.
Wir haben nicht mehr viel Zeit. Legen Sie das endlich vor!
Die Menschen draußen im Land – an den Schulen, wo Lehrerinnen und Lehrer unterrichten, beim Zoll, an den Flughäfen, in den Reisebüros, bei den Vereinen und an den Hochschulen – fragen: Was passiert nach dem 29. März 2019 in diesem Land? Was wird mit uns und unseren Lebensverhältnissen sein?
Da können Sie natürlich sagen, dafür sei der Bund zuständig, etwa für die Frage der Freizügigkeit. Aber Sie können sich nicht herausreden, weil Sie zurzeit auch Vorsitzender einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe sind. Sie sitzen doch mit am Steuerrad. Hier ist „auf dem Platz“. Hier müssen Sie sich erklären.
Deshalb noch einmal die Aufforderung: Kommen Sie endlich mit Ihrer Strategie herüber, wie Sie einen ungeordneten Brexit hier in Nordrhein-Westfalen administrierend begleiten wollen.
Wie wollen Sie sich kümmern? Da ist der Ministerpräsident an erster Stelle gefragt, sich hier und heute zu erklären.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Sehr geehrte Damen und Herren, zum Schluss noch etwas Selbstkritisches, aber auch Kritisches in Richtung Landesregierung: Wann waren Sie, Herr Ministerpräsident, in Ihrer Amtszeit eigentlich einmal in London?
(Michael Hübner [SPD]: Er hat das Büro in London nicht gefunden!)
Das frage ich uns selber auch. Es ist ja richtig, der deutsch-französischen Freundschaft einen hohen Stellenwert beizumessen. Das tun wir auch. Aber ich glaube, dass wir in der Vergangenheit alle gemeinsam, aber in erster Linie diese Regierung, vernachlässigt haben, an der deutsch-britischen Freundschaft zu arbeiten. Vielleicht ist es ein Auftrag für die Zukunft, hier mehr zu tun. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

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