Horst Becker: „Das ist doch kein Brexit-Gesetz“

Aktuelle Stunde auf Antrag der GRÜNEN im Landtag

Horst Becker (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst: Wir müssen wohl nicht gegenseitig betonen, wie wichtig wir Europa finden – das gilt jedenfalls für vier Fraktionen in diesem Hause –
(Helmut Seifen [AfD]: Wir auch!)
und wie bedauerlich wir es finden, dass Großbritannien aus der EU austritt. (Zuruf von Christian Loose [AfD])
Das ist selbstverständlich, und wir müssen es nicht mehr betonen. (Beifall von den GRÜNEN)
Heute geht es um die Frage,
(Helmut Seifen [AfD]: Sie haben versagt!)
wie Nordrhein-Westfalen sich auf diesen Umstand vorbereitet – oder möglicherweise auch nicht.
Herr Optendrenk, Sie sagten, dass die Opposition Fragen hat. – Ja, sie hat Fragen, weil sie bis heute keine Antworten von der Regierung gehört hat.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Dieselben Fragen haben die Öffentlichkeit und Unternehmen, und auf all diese Fragen gibt es bis heute – das werde ich gleich noch einmal erläutern – keine vernünftigen Antworten.
Ziehen wir unsere am vergangenen Freitag beantwortete Anfrage heran – eine von verschiedenen Anfragen. Darin taucht zum ersten Mal in einer Antwort auf unsere Anfragen auf, dass diese Landesregierung davon ausgeht, mehr als 20 Normen – Gesetze, Verordnungen und Erlasse – verändern zu müssen. Das gelte zumindest dann, wenn es zum harten Brexit komme.
Der Landtag und seine Ausschüsse hätten ein Recht darauf zu erfahren, welche Gesetze, Verordnungen und Erlasse in diesem Fall in welcher Art von Ihnen verändert werden sollen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Selbstverständlich sollten wir eine Chance zur Beratung haben, die Sie uns bis heute aber genommen haben. Sie nehmen auch der Öffentlichkeit und den Unternehmen das Recht und die Möglichkeit, sich darauf vorzubereiten.
Stattdessen langweilen und nerven Sie uns seit einem Jahr mit einem Brexit-Beauftragten,
(Henning Höne [FDP]: Bei „nerven“ habe ich andere Gesichter vor Augen! –
Dietmar Brockes [FDP]: Das sagt der Richtige!)
der auch noch ein Teilzeit-Brexit-Beauftragter war, und zwischendurch war er überhaupt kein Brexit-Beauftragter.
Sie sagen, Sie bereiten sich mit einem Gutachten vor. Auch das ist ein hochinteressanter Ablauf: Am 18. Oktober des vergangenen Jahres – kurz nachdem die Grünen im Europaparlament ein Gutachten vorgestellt und unter anderem die Auswirkungen auf NRW dargelegt haben – konnte man online beim WDR lesen, dass auch die Landesregierung ein Gutachten in Auftrag gegeben hätte.
Wir haben wiederum mehrfach nachgefragt, bis es überhaupt eine Teilantwort gab, die lautete, dass Sie bis spätestens Ende Februar mit einem Gutachten rechneten.
Passiert ist dann Folgendes: Kurz nachdem in der vergangenen Woche im britischen Parlament das Abkommen endgültig gescheitert war, kam am Montag die Presseerklärung des Landes, es läge ein Gutachten vor – offensichtlich das Gutachten, was Ende Februar kommen soll. Es stellt sich heraus, dass dieses Gutachten überhaupt noch nicht da ist, sondern dass es sich um einen Auszug handelt.
Ich lese Ihnen aus der Pressemitteilung des Ministeriums vor; dann erkennen Sie, wie viel Vorbereitung darin steckt. Es wurden Unternehmen befragt, und es wurde herausgefunden:
„80 Prozent der befragten Unternehmen erwarten einen weichen oder harten Brexit. Die Absage des Brexits durch ein erneutes Referendum oder Neuwahlen erwarten hingegen nur 20 Prozent. (…) 77 Prozent der befragten Unternehmen gaben an, dass der Brexit für sie relevant ist. Davon haben bereits 88 Prozent Maßnahmen zur Vorbereitung (…) getroffen.“
Dann überschreiben Sie dies damit, das Land und die Unternehmen seien vorbereitet. – Das ist eine lächerliche Attitüde; das ist Machtmissbrauch!
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Ich erinnere an den Spruch „Nichtstun ist Machtmissbrauch“. Sie betreiben Machtmissbrauch, weil Sie dieses Land fürchterlich schlecht auf das, was offensichtlich auf uns zukommt, vorbereiten – nämlich auf einen harten Brexit.
(Beifall von den GRÜNEN und Susana dos Santos Herrmann [SPD])
Ich mache das noch an einem anderen Punkt deutlich. Kurze Zeit später war der Ministerpräsident in Flandern und stellte fest: Ja, Flandern hat ganz erhebliche Auswirkungen durch den Brexit zu befürchten – insbesondere durch einen harten Brexit.
(Ministerpräsident Armin Laschet: Wir auch!)
Was macht der Ministerpräsident? – Er weist ähnlich wie in seiner Neujahrsansprache darauf hin, dass der Brexit auch erhebliche Auswirkungen auf den Haushalt in NRW hätte und unter anderem auf die Zuliefererketten im Automobilbereich. Die EU müsse uns dafür Gelder geben.
Das ist eine völlig neue Forderung. Bisher ist nichts in der Art vorbereitet worden. Sie wollten eine wichtige Rolle in Berlin spielen. Stattdessen erzählen Sie irgendwo in Flandern, dass Sie Gelder von der EU haben wollen. Ich frage Sie: Was haben Sie denn in Berlin dafür getan? Was haben Sie denn in Brüssel dafür getan? – Nichts davon.
(Beifall von den GRÜNEN)
Was auch nach mehrfachem Nachfragen als einzige konkrete Maßnahme übrig bleibt, ist das vorhin bereits erwähnte Brexit-Austrittsgesetz. Auch danach haben wir frühzeitig gefragt und wurden immer wieder darauf verwiesen, dass es käme.
Dann kam es plötzlich, und was steht darin? – Eine einzige Regelung, nämlich die Übernahme einer Übergangsregelung des Bundes für den Fall eines geregelten Brexits. Mehr steht darin nicht. Das ist doch kein Brexit-Gesetz.
Wir leben in der Situation, in der wir überwiegend von einem harten Brexit ausgehen müssen. Ich habe eben über die Normen geredet und darauf hingewiesen, was alles ansteht. Von all dem wissen die Öffentlichkeit und das Parlament nichts.
Horst Becker (GRÜNE): Das ist – mit Verlaub – kein Umgang mit der Öffentlichkeit und mit diesem Parlament. Deshalb müssen wir heute darüber reden, warum Sie an dieser Stelle versagen.
Einen allerletzten Satz, Frau Präsidentin, will ich mir als Kabinettsmitglied der letzten Regierung erlauben:
(Zurufe von der CDU und der FDP: Oh!)
Wenn ich mir vorstelle, die letzte Regierung hätte sich ein solches Versagen in einer solch wichtigen Frage erlaubt –
(Dietmar Brockes [FDP]: Was haben Sie denn gemacht? Der Brexit-Antrag war schon da, als Sie an der Regierung waren! Nichts haben Sie gemacht! – Michael Hübner [SPD]: Der Austrittsantrag lag noch nicht vor!)
was hätten Sie hier gestanden? – Sie hätten auf den Zehenspitzen gewippt und Zeter und Mordio geschrien!
(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)
Und nun tun Sie einfach nichts. Das ist ein Skandal an diesem Land, Herr Ministerpräsident! (Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der CDU)

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