Josefine Paul: „wir leben in einer Gesellschaft, die in Vielfalt lebt“

Antrag der GRÜNEN im Landtag zur Aufnahme von LSBTI*-Rechten ins Grundgesetz

Portrait Josefine Paul

Josefine Paul (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrte Damen und Herren! LSBTI-Rechte sind Menschenrechte. Das klingt erst mal so selbstverständlich. Das klingt vor allem dann so selbstverständlich, wenn wir uns noch mal vergegenwärtigen, dass wir vor 70 Jahren, also am 10. Dezember 1948, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet haben und dass diese Erklärung eben für alle Menschen gilt, und zwar unabhängig von Herkunft, Staatsangehörigkeit, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion sowie sexueller und geschlechtlicher Identität.
Dem Rechnung zu tragen, ist aus unserer Sicht auch das Grundgesetz verpflichtet. Vor diesem Hintergrund haben wir heute diesen Antrag hier eingebracht; denn wir leben in einer Gesellschaft, die in Vielfalt lebt. Das ist längst gesellschaftliche Realität.
Natürlich, in einer Gesellschaft, die plural ist, gibt es immer wieder auch Diskussionen über die Ausgestaltung eines vielfältigen Zusammenlebens. Klar ist, dass wir in einer pluralen und vielfältigen Gesellschaft leben und dass die Mehrheit – die weitaus größte Mehrheit – in der Gesellschaft diese Akzeptanz hat und die vielfältige Gesellschaft anerkennt.
Das haben wir nicht zuletzt in den Diskussionen um die Ehe für alle gesehen; denn noch lange bevor es endlich zu dem überfälligen Gesetz zur Eheöffnung kam, war schon klar, dass über 80 % der Bevölkerung überhaupt keinen Grund dafür sehen, warum man Lesben und Schwule von der allgemeinen Ehe ausschließen sollte.
(Beifall von den GRÜNEN)
Damit will ich sagen, dass für die Gesellschaft heute vollkommen klar ist, dass es ganz unterschiedliche Formen des Zusammenlebens und ganz unterschiedliche Identitäten gibt. Das darf andererseits nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch heute noch Diskriminierung und Gewalt gegen LSBTI-Menschen nicht der Vergangenheit angehören.
Eine Anfrage der grünen Bundestagsfraktion hat leider die traurige Tatsache zutage gefördert, dass die Zahl der Übergriffe auf LSBTI-Menschen im ersten Halbjahr 2017 im Vergleich zum Vorjahr angestiegen ist.
Das heißt, wir müssen auch weiterhin eine Debatte über Akzeptanz, Antidiskriminierung, aber gleichzeitig auch über Diskriminierung und über Übergriffe führen. Deshalb ist es aus unserer Sicht ein wichtiges Signal, wenn heute hier der Landtag von Nordrhein-Westfalen diesem Antrag zustimmt. Ich hoffe, dass wir das beschließen, ich hoffe da auf Ihre Unterstützung. Das wäre ein positives Signal 70 Jahre nach der Allgemeinen Erklärung Menschenrechte; denn alle Menschen in diesem Land sind vom Schutz der Menschenrechte und des Grundgesetzes erfasst.
Vor diesem Hintergrund wäre es ein wirklich gutes Zeichen, wenn wir gemeinsam sagen: Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes soll um das Merkmal „geschlechtliche und sexuelle Identität“ ergänzt werden.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Denn, sehr geehrte Damen und Herren, das Grundgesetz bildet nicht nur die Basis unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, es ist ja auch der Orientierungsrahmen unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer historischen Verantwortung wäre dies ein wichtiges Signal, was wir heute hier aussenden können, denn nicht nur im Nationalsozialismus sind homosexuelle Männer verfolgt, in KZs verschleppt und ermordet worden, lesbische Frauen, aber auch Transpersonen an den Rand der Gesellschaft gedrängt und marginalisiert worden.
Das war nicht nur im Nationalsozialismus traurige Realität, sondern auch in den ersten Jahrzehnten in der Bundesrepublik war immer noch der § 175 Strafgesetzbuch, der Homosexualität unter Männern unter Strafe stellte und ein gesellschaftliches Klima geschaffen hat, das insgesamt LSBTI-Menschen an den Rand der Gesellschaft drängte, in Kraft.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
Zum einen sollte uns das Verpflichtung sein, endlich die Rechte von LSBTI-Menschen im Grundgesetz zu verankern und ein Zeichen auszusenden, dass uns selbstverständlich alle Formen von geschlechtlicher und sexueller Identität gleich schützenswert sind. Gleichermaßen sollten wir auch darauf hinwirken, dass dieser dunkle Teil der bundesrepublikanischen Geschichte aufgearbeitet wird.
Deswegen möchten wir zwei Punkte hoffentlich gemeinsam mit Ihnen beschließen, und zwar zum einen, dass sich NRW endlich der Bundesratsinitiative der Länder Berlin, Bremen, Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Thüringen und Hamburg anschließt. Leider liegt diese Bundesratsinitiative gerade irgendwo im Bundesrat, es wäre aber jetzt eine gute Gelegenheit, diese Initiative noch einmal zu revitalisieren und durch einen Schub aus NRW wieder nach vorne zu bringen.
Zum anderen soll sich NRW der Geschichte Nordrhein-Westfalens bei der Diskriminierung und rechtlichen Verfolgung von LSBTI-Menschen widmen und eine wissenschaftliche Aufarbeitung auf den Weg bringen. Wir hoffen dafür auf Ihre Unterstützung. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und von Regina Kopp-Herr [SPD]) 

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