Norwich Rüße: „Was Sie hier heute machen, hat Nachteile für den Tierschutz, die Tiere, die Tierschützer, die Halter, die Amtsveterinäre“

Gesetzentwurf der GRÜNEN im Landtag zum Verbandsklagerecht - zweite Lesung

Portrait Norwich Rüße

Norwich Rüße (GRÜNE): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir hatten gerade den Tagesordnungspunkt „Polizeigesetz“, bei dem darauf hingewiesen wurde, wie hervorragend der Verlauf der Beratung war und dass die Anhörung ausgewertet wurde. Da kann ich nur sagen, dass beim Verbandsklagerecht für Tierschutzvereine genau das Gegenteil passiert ist. Hier hätte es nicht mal einen Evaluationsbericht gegeben, wenn die Opposition nicht darauf gedrängt hätte.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
Sie hätten ihn von sich aus nie gemacht. Das Ministerium wäre nie mit einem Bericht gekommen. Deshalb, weil wir darauf gedrängt haben und das Ministerium nicht vorbereitet war, ist dieser Bericht am Ende so spät erschienen.
Ich halte es grundsätzlich für einen richtigen Schritt der Politik, Gesetze zu befristen, um zu gucken: Ist das Gesetz zweckmäßig? Funktioniert alles? Wo muss man nachjustieren? Aber wenn Sie so mit einem Gesetz umgehen und es klammheimlich unter den Tisch fallen lassen wollten – das war ja Ihre Absicht, nur wegen unserer Intervention haben Sie es nicht tun können –, kann ich nur sagen: Das ist eine Kultur, die einem Parlament nicht dienlich ist, weil sich jeder Gesetzgeber zukünftig überlegen wird: Mache ich noch eine Befristung, weil ich nicht weiß, ob die nachfolgende Regierung und die regierungstragenden Fraktionen den politischen Anstand besitzt, dieses Gesetz vernünftig zu behandeln.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Das Ärgerliche ist: Wir haben über dieses Gesetz intensiv miteinander diskutiert, und all Ihre Befürchtungen nach dem Motto: „Der Stallbau in NRW wird lahmgelegt; es wird Klagen ohne Ende geben“, die Sie ganz am Anfang, als wir dieses Gesetz gemacht haben, gehabt haben, wurden ausgeräumt. Dass Herr Diekhoff noch einmal gesagt hat, es würden irgendwelche Stallbauten lahmgelegt, ist für mich absolut nicht nachvollziehbar.
Es geht um etwas ganz anderes, zum Beispiel darum, zu prüfen, ob ein Putenmaststall klassischer Bauweise tierschutzgerecht ist. Es laufen zwei Verbandsklagen: eine in NRW und eine in Baden-Württemberg. Das Schöne ist, Sie können das Gesetz auslaufen lassen und damit abschaffen, aber viele Bundesländer sind unserem Beispiel gefolgt. Dieses Gesetz behält seine Kraft, und diese Klage in Baden-Württemberg wird weitergehen.
Jetzt sage ich Ihnen etwas zur Stärke des Gesetzes. Es geht gar nicht darum, irgendetwas zu verhindern, sondern darum, eine Haltungsform durch ein Gericht zu überprüfen und zu gucken, ob die Haltung von Puten, wie sie ohne gesetzlichen Rahmen stattfindet, tatsächlich dem Tierschutzrecht in Deutschland entspricht oder nicht. Wenn ein Gericht dann auf der Grundlage dieses Gesetzes sagt: „Nein, so kann man Puten nicht halten“, sorgt das am Ende auch für die Landwirte für mehr Sicherheit, weil dann zum Beispiel für Putenhaltung endlich eine Haltungsrichtlinie erlassen wird, die dringend fehlt. Wir haben immer angeregt, die zu machen.
Ich will noch Folgendes sagen: All das, was Sie im Bereich Tierschutz gemacht haben, nachdem Sie die Regierung übernommen haben, ist ein Zurückschrauben, ein Zurückdrehen. Wenn Sie sagen, dass Ihnen Tierschutz wichtig ist, glaube ich Ihnen das nicht. Das sind Lippenbekenntnisse. Sie tun das Gegenteil.
(Beifall von den GRÜNEN)
Beim Jagdgesetz sind Sie entgegen der Beratung in der Anhörung eindeutig den Lobbyinteressen einer Klientel gefolgt. Sie machen das, was der Landesjagdverband will, und nicht das, was tierschutzpolitisch richtig wäre.
Sie setzen sich dafür ein – das wäre in Nordrhein-Westfalen unter Rot-Grün nie passiert –, dass die betäubungslose Kastration von Ferkeln noch mal um zwei Jahre verlängert wird, obwohl es einen ausreichenden Zeitraum gegeben hat, endlich etwas anderes umzusetzen. Es gibt die Betriebe NEULAND oder Bioland, die vormachen, wie man Ferkel betäubt, um ihnen Schmerzen zu ersparen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Aber Sie verlängern die betäubungslose Kastration um zwei Jahre. Das kann ich nicht verstehen. Das kann auch die Gesellschaft nicht verstehen. Die Menschen wollen, dass diese Punkte im Sinne der Tiere geregelt werden. Da muss man doch mal die Einsicht haben und die Erwartungen erfüllen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Diekhoff?
Norwich Rüße (GRÜNE): Ja, bitte.
Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön.
Markus Diekhoff (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Das hat jetzt leider etwas gedauert; deswegen sind Sie jetzt schon etwas weiter. Bei den Ferkeln würde ich Ihnen recht geben. Wir suchen natürlich nach einer Lösung. Das hat doch damit erst mal nichts zu tun. Das hat auch nichts mit dem Verbandsklagerecht zu tun.
Ich wollte erstens fragen: Wo sehen Sie denn Tierschutzverletzungen im Bereich der Jagd? Was steht in dem Gesetzentwurf, das plötzlich bei der Jagd gegen den Tierschutz verstößt? Das würde mich wirklich sehr interessieren.
Halten Sie zweitens die von uns angekündigten Instrumente – wie die Videoüberwachung auf Schlachthöfen oder die Tiergesundheitsdatenbank – für eine Verschlechterung des Tierschutzes? Sie haben ja gerade gesagt, wir verschlechterten den Tierschutz in Nordrhein-Westfalen.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, eigentlich stellen wir nur eine Frage. Mal sehen, auf welche Frage er antwortet. Bitte schön.
Norwich Rüße (GRÜNE): Aus pädagogischen Gründen beantworte ich nur eine Frage; sonst macht er das wieder.
(Heiterkeit)
Nehmen wir die erste Frage, die Sie gestellt haben! Natürlich haben Sie den Tierschutz im Jagdgesetz wieder heruntergefahren – keine Frage. Das prägnanteste Beispiel ist: Sie haben die Jagd im Naturbau wieder erlaubt. – Wir haben die damals aus guten Gründen gestrichen, weil es zu Beißereien zwischen Jagdhund und Fuchs – schlimmer noch: zwischen Jagdhund und Dachs – kommt. Das war ein guter Grund, diesen Punkt aus Tierschutzgründen zu verändern.
Sie haben es wieder umgedreht und haben den Jägern in deren Interesse mehr Freiheiten gegeben. Wir hätten das an der Stelle nie gemacht.
(Beifall von den GRÜNEN)
Die anderthalb Jahre, die Sie hier bislang in Nordrhein-Westfalen regieren, sind aus Sicht des Tierschutzes absolute Rückschritte gewesen.
(Henning Höne [FDP]: Vollkommener Blödsinn!)
Sie stellen den Tierschutz hier in Nordrhein-Westfalen unter ökonomische Interessen. Das ist völlig klar. Das hat Herr Diekhoff eben auch noch einmal klar bestätigt, indem er sagt, es dürfe kein Stallbau aufgrund von Tierschutz verhindert werden. Das hat Herr Diekhoff sinngemäß so gesagt.
(Markus Diekhoff [FDP]: Das stimmt doch überhaupt nicht! – Mehrere Zurufe)
Ich finde besonders spannend, dass die heutige Debatte – es ist ein wichtiges Gesetz mit Blick auf den Tierschutz – ohne die Ministerin stattfindet. Sie ist in Kattowitz, das ist nachvollziehbar. Ich bin mir sicher, Frau Heinen-Esser ist froh, dass sie heute in Kattowitz ist und hier nicht am Rednerpult den Offenbarungseid zum Tierschutz, den Sie hier bringen, leisten muss.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, Sie kommen zum Schluss.
Norwich Rüße (GRÜNE): Ich komme zum Schluss.
Was Sie hier heute machen, hat Nachteile für den Tierschutz, die Tiere, die Tierschützer, die Halter, die Amtsveterinäre. Es hat nur Nachteile.
(Henning Höne [FDP]: Falsch, falsch, falsch!)
Abschließend kann ich Ihnen sagen: Dieser Tag ist für den Tierschutz in NRW ein rabenschwarzer Tag. Tierschutzpolitisch ist NRW zum Rückschrittsland Nummer eins geworden. – Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

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