Josefine Paul: „Wir Frauen im Parlament brauchen Qualitätsvergleiche nicht zu scheuen“

Antrag der Fraktionen von GRÜNEN, CDU, SPD und FDP zu "100 Jahre Frauenwahlrecht"

Portrait Josefine Paul

Josefine Paul (GRÜNE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Damen und Herren! So viel steht fest: Die erste Frau, die jemals in einem Parlament gesprochen hat, war definitiv keine Grüne. Damals gab es die Grünen noch nicht.
(Heiterkeit von der SPD – Jochen Ott [SPD]: Es gab die GDP! Das war etwas Ähnliches!)
Allerdings ist es den Grünen zu verdanken – wenn wir schon dabei sind, was im Zusammenhang mit der Repräsentanz von Frauen in Parlamenten welcher Partei zu verdanken ist –, dass sich mit dem Einzug der Grünen in den Bundestag und in die Landesparlamente der Anteil von Frauen allgemein in Parlamenten und damit auch ihr Redeanteil in Parlamenten erhöht hat.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vor 100 Jahren waren von den 423 Abgeordneten in der Nationalversammlung gerade mal 37 weiblich, und unglücklicherweise – ich sage es nur noch einmal – hat sich an diesem Anteil bis zum Einzug der Grünen in den Bundestag und die Landtage nicht signifikant viel verändert.
(Beifall von den GRÜNEN)
Das können die anderen auch einmal wohlwollend zur Kenntnis nehmen.
Es ist klar: Es gibt heute mehr Frauen in Parlamenten. Ich werde gleich darauf eingehen, dass noch lange nicht genügend Frauen in Parlamenten sind und die Entwicklung leider rückläufig ist.
Kommen wir zurück zu den vier Müttern des Grundgesetzes. Sie zeigen sehr deutlich, warum es so wichtig ist, dass Frauen in der Politik repräsentiert sind:
Hätte es diese vier Mütter des Grundgesetzes nicht gegeben, gäbe es Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz nicht, der besagt: Männer und Frauen sind gleichberechtigt – sie sind nicht grundsätzlich oder im Wesentlichen gleichberechtigt, sondern sie sind gleichberechtigt.
Ohne das Engagement dieser Frauen im Parlamentarischen Rat hätten wir diesen Satz nicht. Deswegen ist es so wichtig, dass Frauen in der Politik repräsentiert sind, dort ihre Interessen vertreten und vor allem durchsetzen.
Kommen wir auf die Frage zu sprechen, wo wir heute stehen. Ich habe es gerade gesagt: Das Negative an der derzeitigen Entwicklung ist, dass in Parlamenten leider ein rückläufiger Frauenanteil zu verzeichnen ist.
Das scheint Ihnen auf der rechten Seite des Parlamentes nicht so schlimm vorzukommen – Sie sind im Wesentlichen verantwortlich dafür, dass das so ist –, aber uns andere kann das nicht zufriedenstellen.
Im Landtag von Nordrhein-Westfalen sind heute nur noch 27,1 % weibliche Abgeordnete vertreten. Bei einem Anteil von 51 % an der Bevölkerung ist das nichts, womit man sich zufriedengeben kann.
Wir müssen tatsächlich etwas dagegen tun. Unterschiedliche Ansätze sind hier bereits diskutiert worden. Ich möchte nicht wie Frau Schneider darauf warten, dass sich Qualität irgendwie und irgendwann schon durchsetzen möge.
Wir Frauen im Parlament brauchen Qualitätsvergleiche nicht zu scheuen. Nichtsdestotrotz sind wir nur die Minderheit im Haus.
(Beifall von den GRÜNEN und vereinzelt von der SPD)
Dementsprechend braucht es strukturelle Maßnahmen. Da bin ich ganz bei Kollegin KoppHerr. Wir sollten uns überlegen, ob beispielsweise ein Parité-Gesetz wie in Frankreich verfassungskonform auch in Deutschland umzusetzen ist.
(Zuruf von der AfD)
Ich kann mich nur der Kollegin mit ihrem Zitat von Elisabeth Selbert anschließen: Die mangelnde Heranziehung von Frauen zu öffentlichen Ämtern und ihre geringe Beteiligung in den Parlamenten ist schlicht Verfassungsbruch in Permanenz. – Das ist so. Das sehen wir auch so. Dementsprechend sind wir als Politik gefordert zu handeln.
Wir sind aber nicht nur bei der Repräsentanz von Frauen in Parlamenten aufgefordert zu handeln. Wir haben es gestern schon in der Haushaltsberatung diskutiert: Natürlich sind wir auch gefordert, wenn es um die Repräsentanz und die Aufstiegsmöglichkeiten von Frauen im öffentlichen Dienst geht.
Wir haben uns in unserem gemeinsamen Antrag von CDU, FDP, SPD und Grünen auf die schöne Forderung verständigt, dass der öffentliche Dienst – laut unserem gemeinsamen Antrag – mit gutem Vorbild vorangehen soll.
(Zuruf von der AfD)
Frau Ministerin, ich warte darauf, dass Sie uns gleich erläutern, wie das konkret aussehen soll.
Wie ich Ihnen gestern schon sagte, ist es mit der Vorbildfunktion des öffentlichen Dienstes nach Ihrer Regierungsübernahme und Ihrer Rückgängigmachung unserer Quotenregelung leider nicht mehr so ganz weit her.
Da wir uns in diesem Antrag aber gemeinsam dazu verpflichtet haben, den öffentlichen Dienst wieder vorbildlich aufzustellen, erwarte ich, dass Sie uns jetzt erläutern, wie wir nach Ihren Erkenntnissen aus den Studien nicht nur die Repräsentanz von Frauen im Eingangsamt, sondern auch die Repräsentanz von Frauen in Spitzenämtern erhöhen wollen.
Noch ein Wort – weil Sie das gestern angesprochen haben – zu den Regierungspräsidentin- nen: Das ist alles gut und schön. Sie wissen aber auch, dass das mit dem, was ich vorher kritisiert habe, nicht das Geringste zu tun hat.
Regierungspräsidenten und Regierungspräsidentinnen sind politische Ämter, in die sie ein- gesetzt werden. Die wenigsten Regierungspräsidenten und Regierungspräsidentinnen haben sozusagen die Ochsentour der Beförderungen in den Ämtern durchlaufen; das wissen Sie. Dementsprechend ist das ein Vergleich frei nach dem Motto: Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich.
 (Beifall von den GRÜNEN und vereinzelt von der SPD)
Das ist zwar schön, und wir begrüßen, dass viele Frauen jetzt Regierungspräsidentinnen sind; das gilt auch für Ministerinnen – das wäre in diesem Kabinett ausbaufähig.
Vizepräsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Paul, ich muss versuchen, dazwischenzukommen, auch wenn das bei Ihnen immer sehr schwierig ist.
(Heiterkeit von Josefine Paul [GRÜNE])
Ich unterbreche Sie, weil Ihnen Herr Kollege Seifen von der AfD-Fraktion gerne eine Zwischenfrage stellen möchte.
Josefine Paul (GRÜNE): Ja, bitte.
Helmut Seifen (AfD): Herzlichen Dank, Frau Paul. – Ihrer Argumentation und Ihren Forderungen entnehme ich: Sie gehen davon aus, dass der geringere Anteil an Frauen in öffentlichen Ämtern und im parlamentarischen Raum damit zusammenhängt, dass sie daran gehindert werden, dass es also etwas gibt, was sie daran hindert, ins Parlament und in den öffentlichen Dienst zu gehen.
Können Sie sich als Grüne vorstellen, dass möglicherweise auch freiheitliche Entscheidungsprozesse damit zusammenhängen? Vielleicht entscheiden sich Frauen anders, oder andere Dinge führen dazu.
Oder sind Sie in Ihrer Vorstellungswelt tatsächlich so verfangen, immer zu glauben: Es werden irgendwelche Leute daran gehindert. Jetzt müsse man die anderen hindern, freiheitlich zu handeln.
Josefine Paul (GRÜNE): Herr Seifen, ich weiß nicht, in welcher Vorstellungswelt Sie gefangen sind. Ich aber glaube nicht, dass Frauen freiwillig entscheiden, nicht in Führungsämtern zu sein, 21 % weniger Lohn und Gehalt für die gleiche Arbeit zu erhalten, nicht in gleichem Maße in den Parlamenten etc. repräsentiert zu sein.
Ich glaube nicht, dass das eine freiwillige Entscheidung von Frauen ist, sondern eine Folge struktureller Diskriminierung, die es anzugehen gilt, was im Übrigen verfassungsrechtlich geboten ist.
Nach Art. 3 Abs. 2, den ich schon zitiert habe, ist 1994 ein Satz 2 hinzugekommen, der den Staat dazu auffordert, aktiv auf die Beseitigung bestehender Benachteiligungen hinzuwirken. Das ist uns Auftrag.
Es wäre aus meiner Sicht wiederum Verfassungsbruch in Permanenz und nachgerade fahrlässig, würde ich Ihrer Argumentation folgen, dass möglicherweise Frauen gar keinen Bock auf Führung und gleiches Geld haben. Das ist fahrlässig.
Politik und Staat sind gefordert, die Strukturen und die strukturellen Rahmenbedingungen so anzupassen, dass Frauen die gleichen Chancen wie Männer haben. Das ist de facto in unserer Gesellschaft aus diversen Gründen nicht der Fall.
(Beifall von den GRÜNEN und vereinzelt von der SPD)
Wir alle miteinander haben schon darüber diskutiert, warum Frauen im öffentlichen Dienst oftmals nicht wirklich weiterkommen. Stichworte sind Teilzeittätigkeit, Elternzeit. Zwar kann man sagen, das alles sei irgendwie selbst gewählt. Aber zufällig wählen das auch nur Frauen zulasten ihrer Karriere. Das alles sind strukturelle Bedingungen. Das liegt alles auf dem Tisch.
Wenn Sie das anzweifeln mögen, ist – Gott sei Dank – nur Ihre Fraktion noch ernsthaft im Mittelalter verhaftet. Der Rest des Hauses hat mit diesem Antrag gezeigt: Wir gehen es an. Das ist das Entscheidende. Auf Sie können wir dabei auch verzichten.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Helmut Seifen [AfD]: Ich habe eine sachliche Frage gestellt. Warum flippen Sie so aus?) 

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