Stefan Engstfeld: „Das ist gut für den Finanzminister, aber schlecht für den gesamten Justizbereich“

Haushaltsplan 2019 - Ministerium der Justiz

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin meiner Vorrednerin Frau Erwin von der CDU-Fraktion außerordentlich dankbar für die gerade von ihr gehaltene Rede. Eine bessere Steilvorlage für das, was ich ausführen will, kann es nämlich gar nicht geben.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Sie stimmen zu!)
Frau Erwin, Sie haben gerade als Bilanz den Unterschied zwischen der bürgerlichen, schwarz-gelben Landesregierung und der Vorgängerregierung unter Rot-Grün dargelegt. Wortwörtlich haben Sie gesagt: Der Unterschied ist, dass wir Vertrauen in unseren Rechtsstaat schaffen. – Wenn Sie eins im letzten Jahr bewiesen haben, dann, dass Sie dem Rechtsstaat misstrauen und ihn sogar missachten: Sami A., Dieselfahrverbote, Rodungsstopp Hambacher Wald und Sonntagsöffnungszeiten.
(Beifall von Matthi Bolte-Richter [GRÜNE] – Zuruf von Henning Rehbaum [CDU])
Selbst die Präsidentin des Landesverfassungsgerichts hat eine Krise in den Institutionen festgestellt. Und Sie sagen: Wir haben Vertrauen in den Rechtsstaat geschaffen. – Nein, das haben Sie überhaupt nicht; Sie haben Misstrauen zwischen den Institutionen gesät.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
In der Tageszeitung „Rheinische Post“, die wir als Düsseldorfer Abgeordnete beide kennen, ist heute eine Kolumne der Landeskorrespondentin Bialdiga zu lesen. Die Überschrift lautet: „Mehr Respekt für die Judikative – Die NRW-Regierung erhebt sich über Gerichte und schadet so der Demokratie.“ – So ist die Lage; besser kann man die Situation doch gar nicht auf den Punkt bringen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der SPD) Nachher komme ich noch zu ein paar Haushaltszahlen.
Aber fangen wir doch einmal bei Sami A. an: Integrationsminister Stamp hat auf ihn bezogen noch im Frühjahr dieses Jahres festgestellt: Eine rechtssichere Abschiebung von Sami A. ist nur möglich, wenn uns eine sogenannte Verbalnote der tunesischen Regierung vorliegt. – Minister Stamp hat aber nicht abgewartet, er hat im Sommer abgeschoben, obwohl ein Gericht rechtsgültig gesagt hatte, dass das nicht gemacht werden dürfe, bevor das Gericht geurteilt habe; es dürften keine Fakten geschaffen werden, bevor die Justiz entschieden habe.
(Zuruf von Olaf Lehne [CDU])
Minister Stamp hat damals trotzdem abgeschoben und die Justiz hintergangen. (Josef Hovenjürgen [CDU]: Behaupten Sie!)
Diese Abschiebung war rechtswidrig. Ich habe selten eine solche Klatsche vom Oberverwaltungsgericht erlebt, wie Minister Stamp sie für diese Maßnahme bekommen hat. So etwas gab es selten.
(Beifall von den GRÜNEN und Ibrahim Yetim [SPD])
Inzwischen liegt die Verbalnote vor – wir haben zigmal danach gefragt, wie es aussieht –, die hochoffizielle Zusicherung der tunesischen Regierung, dass Sami A. in Tunesien keine Folter droht. Und jetzt gibt es ein neues Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen. Das Gericht hat Folgendes geurteilt: Diese Abschiebung war und bleibt rechtswidrig.
Dieser Minister und diese Landesregierung haben nicht Vertrauen in die Gerichte gehabt, sondern rechtswidrig gehandelt. Dieses Urteil macht die Abschiebung im Sommer nicht rechtens. Auch durch die erneute Urteilung des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen bleibt es bei einer schlichtweg rechtswidrigen Abschiebung.
Zu den Dieselfahrverboten: Der Ministerpräsident meinte ja – Kollege Klocke, Sie können mich ergänzen, denn Sie haben das ja auch schon mal ausgeführt –, dass das alles rechtswidrig sei, was da geurteilt werde. Was glauben denn diese Landesregierung und dieser Ministerpräsident, wer feststellt, was rechtens ist und was rechtswidrig ist? – Das macht doch nicht der Ministerpräsident! In unserer Gewaltenteilung machen das die Gerichte. Alles andere ist eine Missachtung.
(Beifall von den GRÜNEN)
Zum Rodungsstopp Hambacher Forst: Wieder der Ministerpräsident! Bevor die letzte Instanz überhaupt entschieden hatte, ob RWE das Recht zum Roden hat, hat er gesagt: Natürlich hat der Konzern RWE das Recht. – Nein! Die Gerichte haben jetzt festgestellt, dass RWE das Recht nicht hatte. Auch das ist eine Missachtung.
(Olaf Lehne [CDU]: Das stimmt nicht! Das ist falsch!)
Wie kommt der Ministerpräsident denn dazu, so etwas zu sagen, bevor ein Gericht entschieden hat?
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Das ist die Unwahrheit! Das ist noch lange nicht entschieden, lieber Kollege!)
–  Nein, nein, nein. Ich kann Ihnen zig Kommentare auch aus dem Sommer zum Thema „Respekt vor dem Rechtsstaat“ nennen. Wenn diese Landesregierung etwas geschafft hat, dann ist es, eine Rechtsstaatsdebatte vom Zaun zu brechen, weil sie offensichtlich Probleme mit der Rechtsstaatlichkeit und mit einem rechtsstaatlichen Verständnis hat. – Das ist die Bilanz.
Herr Biesenbach, Sie spielten in den von mir genannten Geschichten gar keine Rolle – auch bemerkenswert.
(Beifall von den GRÜNEN – Josef Hovenjürgen [CDU]: Interpretationsmöglichkeiten!)
Ich würde gerne zum Haushalt kommen, auch anknüpfend an meine Kollegin Frau Bongers von der SPD-Fraktion. Ich habe es mir noch einmal angeschaut: Es ist ja ein wahres Füllhorn an Stellen. Wir sind natürlich auch der Meinung, dass wir eine Stärkung des Personals in Justiz und Justizvollzug brauchen. Das ist überhaupt keine Frage.
Ein weiterer Blick in die heutige Ausgabe der „Rheinischen Post“, Seite 3, zum aktuellen Zustand in unseren Justizvollzugsanstalten hätte Ihnen, Frau Erwin, auch gereicht. „Justizvollzugsbeamte am Anschlag“ lautet die Überschrift, und ich zitiere aus dem Artikel:
(Dr. Günther Bergmann [CDU]: Woher kommt das denn? – Zuruf von Olaf Lehne [CDU])
„Simon Maier … arbeitet am Limit. Der 47-jährige Justizvollzugsbeamte, der in einem mittelgroßen Gefängnis in NRW tätig ist, sehnt sich nach einem längeren Urlaub. Wegen Personalknappheit könne er aber immer nur ein paar Tage am Stück frei machen – wenn überhaupt. ,Meine Kollegen und ich brauchen aber eine längere Distanz, um runterzukommen …‘, sagt er.“
Und weiter:
„Maier ist vermutlich nicht der einzige Justizvollzugsbedienstete in NRW, der erschöpft ist. In allen 41 NRW-Gefängnissen zusammen haben die Bediensteten mehr als eine halbe Million Überstunden …“
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Wer war denn sieben Jahre an der Regierung, Herr Kollege?
–  Gegenruf von Josefine Paul [GRÜNE])
Sehen wir uns die Zahlen in Einzelplan 04 doch mal an. Planstellen zum 01.01.2018 im Bereich des Justizministeriums: Allein im Ministerium sind 265 Stellen geplant. Istbesetzung am 1. Juli dieses Jahres: 226,22 – ich bin gnädig und sage 227 Stellen. Das ergibt ein Defizit von 38 nicht besetzten Stellen.
Ordentliche Gerichtsbarkeit: 15.973 Planstellen, 15.290 sind besetzt. Das ergibt ein Defizit von 683 Stellen. Verwaltungsgerichtsbarkeit: 1.076 Planstellen, ein Defizit von 56 Stellen. Finanzgerichtsbarkeit: 294 Planstellen, 265 sind besetzt, 29 Stellen sind nicht besetzt. Arbeitsgerichtsbarkeit: 53 Stellen sind nicht besetzt. Sozialgerichtsbarkeit: ein Defizit von 46 Stellen. Justizvollzugseinrichtungen: 8.881 Planstellen, eine Istbesetzung am 1. Juli 2018 von 8.543 das ergibt 338 fehlende Stellen. Und dann gibt es noch Aus- und Fortbildungseinrichtungen mit sieben nicht besetzten Stellen.
(Zuruf von Dr. Günther Bergmann [CDU])
Insgesamt ergibt das 1.250 nicht besetzte Stellen. Und was nützt es uns – da bin ich sehr bei der Kollegin Bongers –, noch 400 Stellen obendrauf zu packen, wenn wir jetzt schon knapp1.300 Stellen nicht besetzt haben?
(Henning Rehbaum [CDU]: Das ist doch ein Abgesang auf Rot-Grün!)
Wenn diese irgendwann, wenn es gut läuft, zur Hälfte besetzt werden, kommen wir auf 1.500 nicht besetzte Stellen. Das hilft doch niemandem außer dem Finanzminister. Er muss in seinem Haus dann keinen Tarifabschluss mehr einpreisen. Wenn es ein paar Prozente mehr im Tarifabschluss gibt, dann spart er diese dadurch, dass all die Stellen nicht besetzt sind, schon wieder ein. Das ist gut für den Finanzminister, aber schlecht für den gesamten Justizbereich.
Und was ich wirklich vermisse, Herr Biesenbach, ist, dass Sie sich absolut prioritär darum kümmern, dass diese Stellen besetzt werden. Der aktuelle Zustand mit fast 1.300 nicht besetzten Stellen, davon über 330 im Justizvollzugsdienst, ist nicht akzeptabel. Das muss man einfach sagen.
(Beifall von den GRÜNEN und Sven Wolf [SPD])
Werfen wir noch einen Blick in die „Rheinische Post“ von heute. Ich zitiere noch mal zum Justizvollzug:
„Zu allem Überfluss soll es außerdem nach wie vor Probleme mit der Bausubstanz vieler Anstalten geben. ,Es gibt eigentlich keine JVA bis auf die wenigen ganz neuen, die nicht irgendwo marode ist,‘„
sagt Peter Brock, NRW-Vorsitzender des Bundes der Strafvollzugsbediensteten.
(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU] – Henning Rehbaum [CDU]: Substanzverfall war 2017!)
Das stimmt, und da fehlt mir von Ihrer Seite noch das richtige Investitionsvolumen. (Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU] – Gegenruf von Sven Wolf [SPD])
Im Rechtsausschuss haben wir den Fall des Todes eines Gefangenen nach einer Legionellen-Infektion in der JVA Hagen besprochen. Wir hatten damals danach gefragt und uns die Situation angesehen. Wir haben gefragt, wie das sein kann; er kann sich ja eigentlich nur in der JVA infiziert haben – wahrscheinlich beim Duschen. Die Antwort lautete:
„Die sanitären Einrichtungen und Duschen in den Justizvollzugsanstalten des Landes NRW weisen im Wesentlichen einen altersgemäßen Zustand auf.“
Das wurde dann aufgelistet – ich gebe Ihnen ein Beispiel. In Hagen wurden das gesamte Gebäude und die sanitären Einrichtungen 1923 erbaut. Wann sind sie saniert worden? – 1960. Seit 1960 ist in Hagen nichts passiert. Da wundere ich mich irgendwann nicht mehr, dass es Legionellen gibt. Das ist doch kein Zustand.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Wie viele Jahre davon haben Sie regiert?)
Hafthaus in Herford: 100 Duschen, um 1900 gebaut und zwischen 1998 und 2004 saniert. Und so weiter.
Was wir brauchen, ist doch ein massives Investitionsprogramm für unsere Justizvollzugsanstalten.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Das fällt Ihnen jetzt auf? – Sven Wolf [SPD]: Nein, das hat Thomas Kutschaty schon auf den Weg gebracht!)
Was Sie vorgelegt haben, reicht bei Weitem nicht aus.
Ich könnte noch einige Punkte mehr aufführen, sehe aber, dass meine Redezeit leider abgelaufen ist. Wir werden diesen Einzelplan ablehnen, und hinsichtlich des Rechtsstaatsverständnisses gibt es eine glatte Sechs für diese Landesregierung. Und was Sie bei den Planstellen veranstalten, ist wirklich ein Zaubertrick. Denn was nützt es uns, das alles in den Haushalt einzustellen,
(Das Ende der Redezeit wird angezeigt.)
wenn niemand die Stellen antritt? – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN)