Johannes Remmel: „Bereits heute könnten Möglichkeiten geschaffen werden, die Entwicklung des digitalen Kapitalismus in Europa zu regulieren“

Antrag der SPD-Fraktion zur Kooperation in Europa

Johannes Remmel (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Den Antrag, den die SPD-Fraktion hier eingebracht hat, stellt richtigerweise fest, dass die Europäische Union sozialer werden muss. Es ist in der Tat ein großes Anliegen, die europäischen Rechte, die sozialen Rechte, die in der Säule auch geeint worden sind, ernst zu nehmen und vollumfassend anzuwenden.
Wie hoch aktuell und tagespolitisch wichtig das ist, zeigt die Auseinandersetzung, mit der zurzeit die italienische Regierung versucht, Potenzial aus der sozialen Frage gegen die Europäische Union zu wenden. Das bedarf der Antwort; das kann man nicht einfach nur von sich weisen mit Blick auf die Verträge, die abgeschlossen worden sind. Das geht in beide Richtungen.
Insofern haben wir heute hier vorgeführt bekommen, wie die Diskussion offensichtlich auch auf Berliner Ebene in der Großen Koalition verläuft. Eine Seite, die CDU, erklärt den Sozialdemokraten, was sie alles nicht beachtet haben, während umgekehrt die Sozialdemokraten eine Perspektive eröffnen, die möglicherweise sehr weit entfernt liegt, ohne klar zu benennen, dass zur Umsetzung einer solchen Perspektive meines Erachtens dann auch die Konsequenz erforderlich wäre, die Verträge grundsätzlich zu ändern.
Wir haben den bestehenden Vertrag von Lissabon, der – das mag man kritisieren und bedauern, und wir bedauern das – allein von der Wettbewerbsseite her die Sozialpolitik definiert und eben nicht als eigenständige europäische Politik.
Das ist das Grunddilemma, und deshalb werden auch alle Anstrengungen, das auf Augen- höhe zu heben, scheitern, wenn man nicht an die grundsätzliche Frage einer Neufassung des Vertrages geht. Macron hat dazu einen Aufschlag gemacht, ein Europa zu schaffen, das schützt, und das meint eben auch den Schutz der Menschen in sozialen Fragen.
Dass das nicht so ganz weit weg von der politischen Wirklichkeit ist, wie wir sie heute erleben, machen auch die Zusammenhänge von Wahlergebnissen in Europa und dem Anwachsen einer nationalistischen, populistischen rechten Politik deutlich.
Da, wo die Jugendarbeitslosigkeit in Frankreich und in Italien besonders hoch ist, sind die Wahlergebnisse entsprechend. Das Gleiche gilt für die Menschen, die soziale Unsicherheit an anderer Stelle spüren.
(Zuruf von Helmut Seifen [AfD])
Deshalb gibt es hier schon Zusammenhänge, und die Menschen in Europa fragen an der einen oder anderen Stelle in der Tat: Was bringt mir dieses Europa, was ist das große europäische Projekt?
(Helmut Seifen [AfD]: So ist es!)
Vielleicht war das Letzte die Einführung des Euro, was in Erinnerung geblieben ist. (Helmut Seifen [AfD]: Unsinnig!)
Ich meine, es gilt trotz dieser langen Linien, die notwendig sind, die vertraglichen Grundlagen entsprechend anzupassen und andererseits der Ableitung unserer derzeitigen europäischen Politik von der Wettbewerbspolitik durch Handlungsebenen, die jetzt schon beschritten wer- den können. Die allerdings tauchen im Antrag nicht auf, sollten aber unsere Unterstützung finden.
Man könnte eine europäische Garantie für einen Ausbildungsplatz jedes europäischen Jugendlichen heute schon aufgrund unserer europäischen Grundlagen aussprechen.
Ich glaube, es wäre ein großer Schritt für Europa, jedem Jugendlichen in Europa einen sicheren Ausbildungsplatz und eine Ausbildung zu garantieren.
Wir könnten auf der heutigen Grundlage unserer Verträge die Mindestlöhne anpassen. Wenn wir uns einmal anschauen, wie die Mindestlöhne in Europa differenzieren, nämlich zwischen knapp über 1 Euro bis zu 12 Euro, muss es einen Weg geben, auch im Sinne eines gemein- samen europäischen Arbeitsmarkts und eines gerechten Wettbewerbs, diese Mindestlöhne anzugleichen.
Wir könnten heute sehr viel stärker das unterstützen, was Arbeit schafft, nämlich europäische Investitionen. Die Europäische Investitionsbank stellt zusammen mit dem Juncker-Plan hier wichtige Instrumente zur Verfügung. Das wären Hebel, die bereits heute Wirkungen entfalten können, wenn wir sie stärker anpacken würden.
Nicht zuletzt möchte ich einen vierten Punkt erwähnen. Auch eine europäische Steuergerechtigkeit gegen Steuerdumping und Steuervermeidung würde ein sozialeres, gerechteres Europa schaffen können. Auch das ist mit unseren heutigen Instrumenten möglich. Man muss es nur wollen, Steueroasen zu schließen, um gerade die Gewinnabschöpfung, die teilweise über Umwege erfolgt, auch wieder zur Finanzierung von Sozialprojekten nutzen zu können.
Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
Johannes Remmel (GRÜNE): Nicht zuletzt – das geht an die Adresse der SPD –: Bereits heute könnten Möglichkeiten geschaffen werden, die Entwicklung des digitalen Kapitalismus in Europa zumindest mit bestimmten Instrumenten zu regulieren. Hier sei die Digitalsteuer genannt.
Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
Johannes Remmel (GRÜNE): Da ist der Bundesfinanzminister gerade nicht hilfreich, solche Grundlagen nach vorn zu bringen.
Also: Wir unterstützen die Initiative der Sozialdemokraten, meinen aber, dass sie ergänzungs- bedürftig ist. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)

Mehr zum Thema

Europa