Matthi Bolte-Richter: „Demokratie muss immer wieder, tagtäglich, verteidigt werden“

Antrag der CDU-Fraktion auf Einsetzung einer Enquete-Kommission zur Stärkung der Demokratie

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wir befinden uns in einer Zeit, in der die Hut- und die Wutbürger – zumindest vermeintlich – immer mehr Raum in der Debatte einnehmen, in der immer mehr Politikerinnen und Politiker auch aus demokratischen Parteien meinen, ihre Positionen nur noch durch Wut- und Brandreden vorbringen zu können, in einer Zeit, in der auch das bekannte Parteiensystem immer stärker in Bewegung versetzt wird und bekannte Wahrheiten – zum Beispiel: wenn nichts mehr geht, geht immer eine Große Koalition – plötzlich nicht mehr funktionieren. In einer solchen Zeit beantragt die CDU eine Enquetekommission zur Stärkung und zur Weiterentwicklung der Demokratie.
Ich kann für meine Fraktion sagen: Es ist der richtige Zeitpunkt. Das ist ein wichtiges Thema. Wir begrüßen das ausdrücklich.
Demokratie muss immer wieder, tagtäglich, verteidigt werden. Sie muss gelebt werden. Sie braucht selbstbewusste und handlungsfähige Parlamente. Alle diese Fragen sind aus unserer Sicht wichtig.
Ich finde es auch wichtig, dass wir uns zunächst fragen, welchen Beitrag wir als Parlament leisten. Wir haben in dieser Woche ja mehrere Situationen erlebt, in denen wir uns als Parlamentarierinnen und Parlamentarier fragen müssen: Nehmen wir uns da eigentlich ernst? Werden wir überhaupt ernst genommen, wenn Minister oder Mitglieder der Landesregierung meinen, dass sie ihre Pläne lieber über die Presse kundtun als hier vor diesem Hohen Haus?
(Beifall von Monika Düker [GRÜNE] und Stefan Zimkeit [SPD])
Welche Rolle nehmen wir also als Parlamentarierinnen und Parlamentarier ein? Woher kommt der – teils auch nur gefühlte – Bedeutungsverlust, der im Antrag konstatiert wird? Was können wir dagegen tun? Wo können wir Spielräume mutiger nutzen als bisher? Wo müssen wir die Informations- und Beteiligungsrechte des Parlaments stärken? Wo müssen sie angepasst werden?
Wo müssen wir schneller werden, um auch mit der technologischen und der gesellschaftlichen Entwicklung Schritt zu halten? Das ist ein großer Unsicherheitsfaktor bzw. ein Faktor, der zur Unsicherheit in der Bevölkerung beiträgt. Auf dieses Gefühl, dass sich alles rasend schnell verändert und die Demokratie irgendwie nicht mehr mitkommt, brauchen wir eine Antwort, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Wer Demokratie mit Leben füllen soll, muss auch Handlungsspielräume haben. Das gilt für das Bund-Länder-Gefüge genauso wie für die Länder in diesem Gefüge. Es gilt aber gerade auch für die Kommunen. Das kommunale Ehrenamt braucht starke Kommunen, um attraktiv zu sein. Für eine starke Demokratie brauchen wir handlungsfähige Kommunen und starke Regionen. Die Internationalisierung ist dabei nicht das Problem, sondern an vielen Stellen der Schlüssel.
Subsidiarität kann nicht allein bedeuten, die Entwicklung der letzten Jahre zurückzudrehen. Das Subsidiaritätsprinzip bedeutet auch nicht, alles ausschließlich wieder an die unteren Ebenen abzugeben. Vielmehr gehen beide Seiten für eine gelungene europäische Integration Hand in Hand.
Lassen Sie uns achtgeben, dass wir bei der Beantwortung der durchaus berechtigten Frage, wie wir das Subsidiaritätsprinzip mit Leben füllen, die europäische Einigung nicht infrage stellen. Starke Regionen brauchen ein geeintes Europa, ein starkes Europa, ein gemeinsames Europa. Das dürfen wir uns als Demokratinnen und Demokraten nicht kaputt machen lassen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, Demokratie ist schön. Sie ist aber auch anstrengend und erfordert viel Kraft. Demokratie bedeutet nämlich nicht – das ist oft das große Missverständnis – das Recht des Stärkeren, sondern Demokratie bedeutet Ausgleich. Sie bedeutet – vor allem anderen – den Schutz der unterlegenen Minderheit.
Deshalb wollen wir die Menschen in der Demokratie stärken.
Denn Demokratie muss gelernt und gelebt werden. Wir wollen in der Kommission über jede Form von Beteiligung sprechen. Wir müssen die Begeisterung für die parlamentarische Demokratie stets neu wecken.
Wir müssen als Parlamentarierinnen und Parlamentarier aber auch zur Kenntnis nehmen, dass sich das Partizipationsverhalten in den letzten Jahrzehnten verändert hat – und das ist gut so.
Denn Menschen in allen Lebensbereichen – sei es in den Schulen, in den Hochschulen, im öffentlichen Dienst oder in den Betrieben – fordern mehr Demokratie ein. Das ist doch ein wunderbares Zeichen für gesellschaftliche Emanzipation.
Wir erleben tagtäglich immer wieder Beispiele dafür. Wir erleben, wie sich, auch ad hoc, neue Bewegungen formieren und neue Themen aufgebracht werden. Darauf müssen wir als Parlamentarierinnen und Parlamentarier eine Antwort geben. Wir müssen erkennen, dass Menschen sich häufiger spontan einbringen – projektbezogen, in unkonventionellen Partizipationsformen.
Damit das nicht zu einer Infragestellung des Parlamentarismus führt, brauchen wir eine Antwort darauf.
Es muss mehr – auch unkonventionelle – Partizipationsformen geben. Es muss mehr Beteiligung geben. Ein Thema, das wir hier angehen müssen, sind Volksbegehren. Sie dürfen nicht länger durch völlig überzogene Unterschriftenhürden verunmöglicht werden. Es gibt noch vieles Weitere, wo wir Demokratie stärken müssen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Abschluss: Demokratie muss alle erreichen. Da haben wir heute Defizite. Frauen sind in unseren Parlamenten immer noch unterrepräsentiert. Die Frauenquote des Deutschen Bundestages ist immer noch so niedrig wie in den 90er-Jahren. Menschen mit Migrationsgeschichte sind ebenfalls unterrepräsentiert. Wir müssen politisches und demokratisches Engagement auch für junge Menschen attraktiver machen, gerade auf der kommunalen Ebene. Lassen Sie uns auch über diese Themen sprechen.
Last, but not least äußere ich einen Wunsch bzw. eine Erwartung bezüglich der Arbeit der Kommission. Eine Demokratie-Enquete muss selbst neue Maßstäbe bezüglich demokratischer Partizipation setzen. Diese Kommission ist bei aller Komplexität kein Gremium der Rechtsgelehrten, sondern ein Gremium für die Bürgerinnen und Bürger.
Daher muss die Kommissionsarbeit aus unserer Sicht stärker als sonst zusammen mit der Öffentlichkeit stattfinden. Natürlich muss die Kommission den Gepflogenheiten entsprechend in nichtöffentlichen Sitzungen tagen. Wir müssen uns aber immer wieder mit der Öffentlichkeit austauschen und uns rückversichern, ob wir in unseren Diskussionen auf einem richtigen oder einem falschen Weg sind. Die Zwischenberichte sind dafür ein Werkzeug. Sie dürfen aber nicht das einzige Instrument bleiben.
Wir sollten Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit geben, sich einzubringen. Beispielsweise kann man online über die Zukunft der Demokratie diskutieren. Solche Formate mögen zwar anstrengend sein. Meines Erachtens ist die Digitalisierung aber nach wie vor eine der großen Chancen für die Revitalisierung der Demokratie. Auch im Hinblick auf Offlineformate sollten wir miteinander prüfen, was sinnvoll ist.
Die Enquetekommission zur Bürgerbeteiligung in der letzten Wahlperiode in Rheinland-Pfalz hatte zum Beispiel ein eigenes Diskussionsangebot für Kinder und Jugendliche. Möglicherweise sind auch dezentrale Foren zur Diskussion mit den Mitgliedern der Kommission ein sinnvoller Weg.
Lassen Sie uns miteinander offen darüber sprechen, wie wir es schaffen, diese Demokratie-Enquete gemeinsam zu einem Festival der Demokratie zu machen und zu einer Demokratie für alle zu kommen – zu einer Demokratie, die transparent ist, die Menschen mitnimmt und für Mitbestimmung begeistert.
Ich freue mich sehr auf die Arbeit. – Noch einmal herzlichen Dank an die CDU für diesen Antrag.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU und der SPD – Beifall von Dr. Werner Pfeil [FDP])