Josefine Paul: „Die Klärung dieser Fragen ist vollkommen unabhängig vom Geschlecht der Opfer“

Antrag Fraktionen von CDU und FDP zu anonymen Spurensuche

Portrait Josefine Paul

Josefine Paul (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es besteht hier im Haus große Einigkeit, dass sexualisierte Gewalt einen schweren Eingriff in die körperliche und seelische Integrität und in die sexuelle Selbstbestimmung von betroffenen Frauen und Männern darstellt. Es ist auch schon herausgestellt worden, dass dies für die Opfer oftmals sehr traumatisierend ist – auch und gerade, weil viele Taten sexualisierter Gewalt im sozialen Nahfeld passieren.
Dementsprechend ist es wichtig, dass wir für Opfer das Angebot einer anzeigeunabhängigen bzw. einer anonymen Spurensicherung vorhalten, wie Frau Wendland sagte. Dieses Angebot sollte Opfern, die sich – aus welchen Gründen auch immer – unmittelbar nach einer solchen Tat nicht in der Lage fühlen, eine Anzeige zu erstatten, ermöglichen, dies später noch nachholen zu können.
Der Antrag weist richtigerweise auf bestehende Probleme hin, die nach wie vor gelöst werden müssen. Leider ist der Lösungsansatz in dem Antrag etwas knapp gehalten, aber ich hoffe, dass wir das in den Fachdiskussionen im Ausschuss weiter konkretisieren können.
Die Vereinheitlichung von Dokumentationen und Spurensicherungssets sowie der Abgleich beider Dinge ist sehr sinnvoll und notwendig – das ist durch den Bericht und die Empfehlung der Landeskoordinierungsstelle noch mal klargestellt worden. Die Belieferung mit den und die Finanzierung dieser Spurensicherungssets bedarf ebenso dringend einer Vereinheitlichung.
Auch dabei kann und muss das Land aus meiner Sicht tätig werden – und zwar auch durch Absprache zwischen den unterschiedlichen beteiligten Ministerien. Das ist nicht allein Aufgabe des Gleichstellungsministeriums. Das Gesundheitsministerium ist natürlich beteiligt, damit die Frage der Belieferung geklärt werden kann; das Innenministerium ist in Bezug auf die Frage nach der Beteiligung der Polizei mit zuständig; das Justizministerium ist zuständig, wenn es um die Sicherstellung einer lückenlosen Beweiskette, die Einlagerung etc. geht. Diese Zusammenarbeit der Ministerien ist also wichtig, damit wir eine nachhaltige Lösung finden.
Der Beschluss der GFMK zur Finanzierung der ärztlichen und labortechnischen Leistungen ist auf jeden Fall zu begrüßen; denn es ist eines der bestehenden konkreten Probleme, dass diese Leistungen nicht abrechenbar sind. Sie sind für die Opfer von besonderer Wichtigkeit, sind aber für die Ärztinnen und Ärzte sowie die Labore bislang nicht abzurechnen. Dafür braucht es dringend eine Bundeslösung.
Das darf aber nicht dazu führen, dass es zu einem Erliegen der landespolitischen Bemühungen kommt. Auf Landesebene gibt es, ich habe es gerade skizziert, diverse Handlungsbereiche, die im Schulterschluss der Ministerien angegangen werden sollten. Wir dürfen also keine Zeit dadurch verlieren, dass wir richtigerweise auf den Regelungsbedarf auf Bundesebene hinweisen; wir müssen unsere Hausaufgaben machen.
Neben der Finanzierung ärztlicher Leistungen sind auch die Fortbildungen wichtig. Ich hoffe, dass Ärztinnen und Ärzte nicht täglich mit der Sicherung von Spuren nach sexualisierter Gewalt konfrontiert sind. Für die Handlungssicherheit von Ärztinnen und Ärzten und auch für die Sensibilität gegenüber Opfern ist es wichtig, dass wir Fortbildungen anbieten – auch weil die Sicherung und Dokumentation zentral für eine möglicherweise und hoffentlich erfolgreiche Strafverfolgung sind. Dafür sind Fachkenntnisse unerlässlich.
Hier setzt auch – das ist leider in dem Antrag nicht erwähnt worden – das Projekt iGOBSIS-Live an, also das Gewaltopfer-Beweissicherungs- und Informationssystem. Einerseits bietet es Informationen nicht nur zur unmittelbaren medizinischen Versorgung und Dokumentation, sondern auch zur Weitervermittlung von Opfern beispielsweise an Beratungsstellen etc. Außerdem bietet es die Möglichkeit interaktiver standardisierter Verletzungsdokumentation. Nicht zuletzt ermöglicht es auch die Rückkopplung mit rechtsmedizinischen Diensten, also mit Fachpersonal, bei Rückfragen. Das ist ein wichtiger Punkt.
Da schließt sich für mich die Frage an: Wie sieht es denn mit der Finanzierung dieses Projektes aus? Hat die Landesregierung vor, dieses sehr sinnvolle und sehr niedrigschwellige Projekt, um ASS auch in die Fläche zu bringen, weiter zu fördern und zu finanzieren?
Sehr geehrte Damen und Herren, der Antrag wirft eine neue Zielgruppe auf. Frau Schneider ist darauf eingegangen. Es ist natürlich richtig, auch Männer perspektivisch in den Blick zu nehmen; denn auch Männer werden Opfer sexualisierter Gewalt. Auch Opfer, die ein drittes Geschlecht haben, gilt es dringend in den Blick zu nehmen.
Nichtsdestotrotz sind das Prioritäre, was wir jetzt behandeln müssen, die grundsätzlichen Fragen, die offen sind. Ich habe es gerade skizziert. Der Antrag skizziert es. Denn die Klärung dieser Fragen ist vollkommen unabhängig vom Geschlecht der Opfer. Insofern muss das zunächst die Priorität sein. Das muss auch der Fokus der Beratungen im Ausschuss sein.
Die Frage der Aufnahme von Jungen und Mädchen in das Konzept der ASS würde ich auch gerne fachlich noch einmal diskutieren. Denn im Sinne des Kinderschutzes habe ich durchaus Fragen und auch einige Bedenken, ob das das richtige Instrument zu einem wirksamen Schutz und der Dokumentation von sexualisierter Gewalt bei Kindern ist.
Nicht zuletzt haben wir noch die Frage der Koordinierungsstelle. Auch Frau Kopp-Herr hat sie aufgerufen. Wir wollen ASS weiterentwickeln und möglicherweise neue Zielgruppen hinzunehmen, aber auch weiterhin daran arbeiten, dass wir ASS in die Fläche bringen. Diesen Anspruch haben wir nach wie vor nicht eingelöst. Da sind wir auch an Ihrer Seite. Wir sind davon überzeugt, dass es dringend notwendig ist, ihn einzulösen. Meine Frage ist aber, ob es dann nicht auch sinnvoll ist, die Landeskoordinierungsstelle weiter zu fördern und zu schauen, welche Fachkompetenzen für diese wichtige Weiterentwicklung dort vorhanden sind. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD) 

Mehr zum Thema

Innenpolitik