Stefan Engstfeld: “ Wenn man es mit den Bürgerrechten ernst meint, dann überlässt man das keiner einfachgesetzlichen Regelung“

Antrag der Fraktionen von CDU und FDP zur Individualverfassungsbeschwerde

 Stefan Engstfeld (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich beginne mit dem Positiven. Ich freue mich sehr, dass es interfraktionell gelungen ist, einen Änderungsantrag von CDU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen ins Verfahren zu bringen, um die von Ihnen, Herr Mangen, erwähnte Strukturzulage für die Amtsanwältinnen und Amtsanwälte jetzt hier einbringen und beschließen zu können. Vielen Dank dafür!
Nach der Rede von Herrn Dr. Geerlings von der CDU-Fraktion muss ich jedoch Wasser in den Wein gießen. Er hat gesagt, heute werde Rechtsgeschichte geschrieben, man werde heute einen Meilenstein erleben. Ich finde es ärgerlich, dass die CDU sich hier heute so verhält.
Ich möchte ein bisschen zurückschauen. Wir hatten schon in der Verfassungskommission das Thema „Individualverfassungsbeschwerde“. Letztendlich ist es im politischen Korb – das haben wir hier schon mehrfach erwähnt – nicht zu einer Einigung gekommen. Aus dem Abschlussbericht der Verfassungskommission möchte ich gern die Passage zur Individualverfassungsbeschwerde zitieren. Da heißt es nämlich:
„Eine Verständigung zwischen den Fraktionen konnte nicht gefunden werden, weil dieser Punkt mit den politischen Punkten Quoren, Wahlrecht, direkte Demokratie und der Schul- denbremse verknüpft war und insoweit keine Gesamtlösung gefunden werden konnte.“
Die Wahrheit ist, bezüglich der direkten Demokratie waren wir uns einig. Kollege Körfges und ich waren Obleute und wissen, worüber wir reden. Bei der Schuldenbremse waren wir uns mit Lutz Lienenkämper eigentlich einig.
(Hans-Willi Körfges [SPD]: Ja!)
Wir waren durch. Bei den Quoren hatten wir schon einen festen Kompromiss zwischen allen Fraktionen. Beim Wahlrecht geht es ja nur darum: Erlauben wir Menschen ab 16 Jahren, richtig an unserer Demokratie partizipieren zu können, oder nicht? Senken wir das Wahlrecht für dieses Parlament auf 16 Jahre?
Als wir damals in der Runde der Fraktionsvorsitzenden verhandelt haben, hat Christian Lindner signalisiert, er ist inhaltlich nicht überzeugt, würde es im Sinne des Kompromisses aber mittragen. Die einzige, die dagegen war und ein Veto eingelegt hat, war die CDU-Fraktion, weil sie nicht bereit war, das Wahlrecht für 16-Jährige einzuführen. Deswegen gibt es diesen politischen Korb nicht. Und deswegen haben wir damals die Individualverfassungsbeschwerde nicht bekommen. Das ist mein Punkt hier in der Debatte. Die hätten wir in der letzten Legislaturperiode schon längst haben können. Das war der erste Punkt.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Zweiter Punkt. Was ist danach passiert? – Danach ist Folgendes passiert: Direkt im Anschluss an die Verfassungskommission gegen Ende der Legislaturperiode hat die FDP-Fraktion im November 2016 einen Gesetzentwurf zur einfachgesetzlichen Einführung einer Individualverfassungsbeschwerde eingebracht.
Ich zitiere jetzt mal den Kollegen Kamieth, der am 10. November 2016 für die CDU-Fraktion Folgendes zu Protokoll gegeben hat – Plenarprotokoll 16/127 –:
„Eine Individualverfassungsbeschwerde ist beim Bundesverfassungsgericht und in elf Bundesländern möglich … Neben Nordrhein-Westfalen verzichten derzeit auch Hamburg, Bremen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein auf die Möglichkeit der Individualverfassungsbeschwerde.“
Er führt aus:
„Tatsächlich besteht auch kein Bedarf.“
Die CDU-Fraktion hat uns hier vor einem Jahr noch erzählt, es bestehe überhaupt kein Bedarf für die Einführung einer Individualverfassungsbeschwerde. Herr Kamieth sagte nämlich:
„Ihre Einführung auf Landesebene ist nicht zwingend erforderlich, um den Einwohnern von Nordrhein-Westfalen einen angemessenen Rechtsschutz zu gewähren, da Gegenstand der Verfassungsbeschwerde beim Bund nicht nur Bundes-, sondern auch Landesrecht sein kann.“
Dann wird das noch von der CDU-Fraktion getoppt, Herr Dr. Geerlings. Herr Kamieth hat uns hier im Plenum erklärt:
„Wenn uns allerdings daran gelegen ist, die Landesverfassung zu stärken, ist fraglich, ob eine so essenzielle Ausweitung der Rechte der Bürger und eine essenzielle und grundlegende Erweiterung des Aufgabenbereichs des Verfassungsgerichtshofs durch ein einfaches Gesetz vorgenommen werden darf oder ob nicht die Verfassungsänderung in diesem Fall ein Muss ist.“
Sie haben doch infrage gestellt, dass diese einfachgesetzliche Regelung, für die Sie sich hier heute abfeiern lassen wollen, überhaupt der richtige Weg ist. Der richtige Weg wäre eigentlich – das haben wir gestern diskutiert –, wie im Grundgesetz auch und wie es übrigens – das habe ich gestern noch nicht erwähnt – … In elf Bundesländern haben wir die Individualverfassungsbeschwerde. In neun von 16 Bundesländern, die dieses Instrument haben, steht die Individualverfassungsbeschwerde in der Verfassung. Natürlich! Im Grundgesetz steht sie doch auch.
Ihr Hilfsargument, das Sie auch heute genannt haben, ist doch absurd. Sie haben immer gesagt: Ja, aber im Grundgesetz war das auch nicht so. Damals, im Nachkriegsdeutschland, hat man zuerst mal eine einfachgesetzliche Regelung geschaffen und dann hat man es erst ins Grundgesetz geschrieben. – Kennen Sie eigentlich den Grund, warum man es damals ins Grundgesetz aufgenommen hat? Das war genau das Argument, das ich gestern genannt habe und weshalb wir alle sagen, warum es eigentlich direkt in die Verfassung gehört: Dadurch, dass es in der Verfassung steht, kann es nur mit einer Zweidrittelmehrheit verändert werden. Wenn man es mit den Bürgerrechten ernst meint, dann überlässt man das keiner einfachgesetzlichen Regelung, weil diese jederzeit wieder geändert oder abgeschafft werden kann.
(Beifall von den GRÜNEN)
Genau deswegen hat man damals in die Verfassung geschrieben.
Meine Redezeit ist leider vorbei. Ich könnte jetzt noch ein paar Sachen sagen. Ich finde es auch ein bisschen ärgerlich, dass wir diese beiden Verfahren nicht zusammengebracht haben. Da bin ich übrigens anderer Meinung als Sie, Herr Justizminister.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Engstfeld.
Stefan Engstfeld (GRÜNE): Ich habe die Signale gestern gehört und freue mich auf die weitere Debatte. Wir stimmen dem Antrag aber trotzdem zu. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)

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