Verena Schäffer: „Für uns ist hier ganz eindeutig eine Grenze überschritten“

Antrag der AfD-Fraktion zur Einrichtung einer Enquete-Kommission

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022

Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie Sie wissen – heute Morgen haben es sicherlich alle verfolgt –, wurde heute das Urteil im NSU-Prozess verkündet.
Mit diesem Urteil ist das Kapitel NSU noch lange nicht abgeschlossen. Es ist klar, dass wir Lehren daraus ziehen müssen, dass eine Neonazigruppe über Jahre hinweg 4unerkannt in Deutschland morden und Anschläge begehen konnte – auch hier in Nordrhein-Westfalen.
Eine Lehre daraus ist meiner Meinung nach, dass wir die Auswirkungen von Rassismus nicht unterschätzen dürfen. Ich will an den NSU-Untersuchungsausschuss hier im Landtag erinnern. Frau Professorin Karakayali hat uns dort darauf hingewiesen, wie sehr sich Vorurteile und Stigmatisierungen gegenüber türkeistämmigen Menschen und gegenüber Musliminnen und Muslimen in Deutschland insbesondere nach „9/11“ verstärkt haben.
Sie hat darauf hingewiesen, welche politischen Debatten, Publikationen und Diskurse es in der Zeit zwischen 2002 und 2006 gegeben hat: zur doppelten Staatsbürgerschaft, zu Zwangsehen, zum Kopftuch usw. Ich glaube, dass es kein Zufall ist, dass ausgerechnet in diesen Zeitraum – 2000 bis 2006 – die Morde und die Anschläge des NSU fielen.
Wir müssen noch eine weitere Lehre aus dem NSU-Komplex ziehen: Im Untersuchungsausschuss konnten wir dezidiert an vielen Beispielen festmachen, dass die Sicherheitsbehörden gerade deshalb versagt haben, weil es bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Behörden Vorurteile gab, und dass durch Diskriminierungen, Stigmatisierungen und Vorurteile Opfer und ihre Angehörigen zu Tätern gemacht wurden.
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf nie wieder passieren! (Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Ich komme nun zum Antrag und will gerne auch der AfD erklären, was das eine mit dem anderen zu tun hat. Denn in Ihrer Beantragung der Enquetekommission nehmen Sie genau diese Stigmatisierung ganzer Bevölkerungsgruppen pauschal vor. Sie machen Personen zu Tätern, und Sie schüren gezielt Vorurteile gegen gesellschaftliche Minderheiten.
Wenn man den Antrag Satz für Satz durchgeht – und es geht eben nicht nur um Zitate von anderen Personen –, wird klar, dass das Rassistische, die Stereotype,
(Christian Loose [AfD]: Dann zitieren Sie doch mal!)
die Islamfeindlichkeit und die pauschalen Herabwürdigungen
(Beifall von den GRÜNEN)
in diesem Antrag keine Ausrutscher sind, sondern sie sind Programm und bewusst gesetzt. (Christian Loose [AfD]: Dann zitieren Sie doch mal, Frau Schäffer!)
Für uns ist hier ganz eindeutig eine Grenze überschritten.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich will mich meinen Vorrednern und meiner Vorrednerin gerne anschließen: Eine solche Enquetekommission, die die AfD für nichts anderes als für rassistische Hetze gegen Minderheiten nutzen will, können und werden wir nicht zulassen.
Denn das Ziel der AfD ist es doch, Vielfalt in unserer Gesellschaft zurückzudrängen und die Rechte von Minderheiten zu beschneiden.
Sowohl Art. 3 des Grundgesetzes als auch unser Amtseid, auf den wir hier alle verpflichtet wurden,
(Zuruf von Christian Loose [AfD])
geben uns einen klaren Handlungsauftrag: Niemand darf aufgrund bestimmter Merkmale benachteiligt werden. Wir sind als Abgeordnete – jede und jeder Einzelne von uns – darauf verpflichtet, dem Wohle des Landes Nordrhein-Westfalen und der Menschen, die in diesem Land leben, zu dienen.
Diesen Handlungsauftrag nehmen wir sehr ernst. (Beifall von den GRÜNEN)
Und, ja – es wurde schon darauf hingewiesen –: Es gibt parlamentarische Gepflogenheiten. Die finden wir wichtig, und die erkennen wir auch an. Aber es ist auch parlamentarische Gepflogenheit, Enquetekommissionen so zu beantragen und den Antrag dazu so zu formulieren, dass sie eben keine Gremien zur Instrumentalisierung bestimmter Themen sind.
(Andreas Keith [AfD]: Das stimmt nicht!)
Und es ist eine Gepflogenheit in diesem Haus, dass man solche Anträge so formuliert, dass alle Fraktionen mitgehen können. Das ist hier ganz offensichtlich nicht der Fall.
(Andreas Keith [AfD]: Denn nennen Sie doch mal eine Formulierung!)
–  Herr Keith, ich könnte Ihnen viele Stellen in dem Antrag nennen.
(Andreas Keith [AfD]: Sagen Sie doch mal, welche!)
Ich habe sie alle gelb markiert. Ich werde sie hier nicht vorlesen, weil ich Ihre Hetze nicht wiederholen werde.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der SPD – Andreas Keith [AfD]: Weil es keine gibt! Sie haben das doch in den Hinterzimmern abgesprochen! – Weitere Zurufe von der AfD – Glocke)
–  Entschuldigung, Herr Keith: Wenn Sie ernsthaft meinen, dieser Antrag würde keine rassistische Hetze, keine pauschalen Diffamierungen enthalten …
(Andreas Keith [AfD]: Dann lesen Sie sie vor!)
–  Ich werde sie gerade nicht vorlesen; denn ich finde, dass es diesem Hohen Hause nicht angemessen ist.
(Andreas Keith [AfD]: Sie lügen!)
Ich werde solche Dinge hier nicht wiederholen.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU) Ich gebe Ihnen aber gerne – und vielleicht bewahre ich Sie damit vor dem Herzinfarkt –
(Zuruf von Andreas Keith [AfD])
mein Exemplar Ihres Antrags mit allen Markierungen von rassistischer Hetze. Es ist alles gelb, und das sind alles Punkte, an denen Menschen pauschal diskriminiert und stigmatisiert wer- den.
 (Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Andreas Keith [AfD]: Und dann lassen Sie das prüfen, und dann stimmen Sie zu!)
Präsident André Kuper: Frau Kollegin, die Redezeit bitte.
Verena Schäffer (GRÜNE): Ich will hier aber auch noch mal eines deutlich machen. Zum einen bin ich mir jetzt wirklich sicher, dass wir als Grüne die richtige Entscheidung getroffen haben, Ihren Antrag abzulehnen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Andreas Keith [AfD]: Warum denn?)
Ich will aber auch noch einmal deutlich sagen, dass ich großen Respekt vor der Entscheidung aller vier Fraktionen habe, denn ich weiß, dass sowohl CDU und FDP als auch SPD und Grüne es sich mit der Entscheidung nicht leicht gemacht haben.
(Zuruf von Roger Beckamp [AfD] – Andreas Keith [AfD]: In den Hinterzimmern abgesprochen! Das ist es!)
Dass wir zu unterschiedlichen Entscheidung gekommen sind, respektiere ich. Das respektieren wir, glaube ich, alle.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich finde: Das ist in Ordnung. In einer Demokratie ist das so.
(Christian Loose [AfD]: Die parlamentarischen Gepflogenheiten sind Ihnen doch egal!) Wir Grüne sind da klar: Wir werden Ihren Antrag ablehnen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Wolfgang Jörg [SPD]: Flache Aggressivität – mehr haben die nicht zu bieten! – Roger Beckamp [AfD]: Dann schaffen Sie uns doch ab! – Andreas Keith [AfD]: Einfach die Parteien abschaffen! Das machen Sie doch so gerne!)
Präsident André Kuper: Es gibt eine Kurzintervention seitens der AfD. Herr Wagner hat sich gemeldet.
Markus Wagner (AfD): Vielen Dank. – Herr Präsident! Frau Kollegin Schäffer! Meine Damen und Herren! Ich habe jetzt die Reden der heiligen Vierfaltigkeit gehört, und habe das gehört, was ich hier immer höre:
(Zurufe von der SPD)
Sie benutzen Worthülsen, pauschalisieren, verunglimpfen, diffamieren und diskreditieren, (Frank Müller [SPD]: Schöne Selbstbeschreibung!)
und dann kommen Sie mit dem Vorwurf der Hetze und des Rassismus, haben aber den Antrag offensichtlich nicht gelesen. Denn dann hätten Sie beispielsweise auf Seite 6 unter III. den zweiten Absatz gelesen, wo wir ganz eindeutig auf die positiven Ergebnisse der Stadt Mechelen hinweisen.
(Zuruf von der AfD: So ist es!)
Dann hätten Sie möglicherweise auf Seite 7 den zweiten Absatz gelesen, wo wir auf das dänische Aktionsprogramm „Ein Dänemark ohne Parallelgesellschaften – keine Gettos im Jahr 2030“ hinweisen. Und das ist für Sie Rassismus? Ganz offensichtlich haben Sie nicht begriffen, worum es geht. Es geht um genau das Gegenteil.
(Helmut Seifen [AfD]: Genau!)
Es geht darum, sich gettoisierende Gesellschaften wieder so zusammenzufügen, dass Gettos nicht mehr entstehen, sondern abgeschafft werden. Das geht aus unserem Antrag zur Enquetekommission hervor.
(Andreas Keith [AfD]: Das steht da drin!)
Sie finden mittlerweile in Ihrer blinden Ablehnung aller AfD-Anträge überhaupt nicht mehr zur Sachlichkeit zurück. Das zeigt übrigens auch die Tatsache, dass nicht einer dieser Vorredner hier nur ein einziges Beispiel für die abstrusen Theorien, die sie hier aufgestellt haben, nennen konnte.
(Andreas Keith [AfD]: So ist es! – Christian Loose [AfD]: Jawoll! – Zuruf von der AfD: Genau so! – Beifall von der AfD)
Präsident André Kuper: Herr Wagner, ich kann die Aufregung an dieser Stelle verstehen, aber Sie haben gerade eine Bezeichnung gegenüber der Kollegin verwendet, die überdenkenswert ist. Ich ermahne Sie an der Stelle zur Ordnung. – Bitte.
(Nic Peter Vogel [AfD]: Da haben Sie aber schon ganz andere Sachen nicht gerügt!)
Verena Schäffer (GRÜNE): Ich kann Ihre Aufregung nicht so ganz nachvollziehen. Ich glaube, dass ich gerade sehr deutlich gemacht habe, dass ich mich durch die insgesamt acht Seiten Text durchgequält habe, durchquälen musste. Ich kann Ihnen gleich gerne mein Exemplar zur Verfügung stellen, damit Sie sehen, an welchen Stellen offenbar rassistische Unterstellungen vorgenommen werden.
(Lachen von Christian Loose [AfD] – Andreas Keith [AfD]: Offenbar?)
Diese Kurzintervention, aber auch die Kurzintervention von eben machen mich, ehrlich gesagt, fassungslos. Offenbar haben Sie diesen Antrag nicht gelesen, oder Sie haben nicht verstanden, was Sie geschrieben haben. Das glaube ich aber nicht.
Ich glaube, dass Sie hier sehr bewusst und sehr klar eine Grenzüberschreitung vorgenommen haben.
(Andreas Keith [AfD]: Das glauben Sie?)
Das ist genau der Grund, warum wir Ihren Antrag ablehnen werden.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Andreas Keith [AfD]: Nein, das ist er nicht!)