Josefine Paul: „Intersexuelle Menschen sind nicht anders, sie sind auch nicht geschlechtslos oder falsch“

Antrag der GRÜNEN im Landtag: Intersexuelle Menschen nicht länger pathologisieren

Portrait Josefine Paul

Josefine Paul (GRÜNE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Damen und Herren! Intersexualität ist nach wie vor ein gesellschaftliches Tabuthema. Denn gemeinhin wird in unserer Gesellschaft nach wie vor davon ausgegangen, dass es zwei Geschlechter gibt, nämlich ein weibliches und ein männliches.
Das hat erhebliche Folgen für diejenigen, die mit uneinheitlichen Geschlechtsmerkmalen zur Welt kommen. Denn diese Menschen stellen dieses zentrale Ordnungsprinzip der Gesellschaft infrage. In diesem Zusammenhang ist es auch nicht zu unterschätzen, welche Definitionsmacht Medizinerinnen und Mediziner in diesem Zusammenhang eigentlich haben. Denn intersexuelle Menschen werden nach wie vor pathologisiert.
Laut ICD-Klassifikation der WHO handelt es sich nämlich bei Intersexualität nicht einfach um irgendeine Ausprägung von menschlicher Identität, wie es so viele gibt, sondern es handelt sich um eine „Störung der Geschlechtsentwicklung“. Auf dieser Basis wird nach wie vor behandelt.
Was heißt in diesem Zusammenhang „Behandlung“? – Das heißt, dass an Menschen, an Babys, an Kleinkindern, die noch nicht ihre Einwilligung geben können, Behandlungen vorgenommen werden, Operationen vorgenommen werden, Hormonbehandlungen vorgenommen werden – auch dann, wenn dies medizinisch gar nicht indiziert ist, sondern nur aufgrund der Tatsache, dass man hier einen Menschen vermeintlich vereinheitlichen möchte, dass man hier einen Menschen zu einer Geschlechterdefinition zuschreiben möchte.
Die große Bedeutung der Medizin bringt es auch mit sich, dass Medizinerinnen und Mediziner hier eine große Verantwortung haben. Deshalb sagen wir in unserem Antrag sehr eindeutig, dass nicht nur die Praxis dieser geschlechtsangleichenden Operationen auf den Prüfstand gehört; vielmehr müssen auch die Medizinerinnen und Mediziner sensibilisiert werden, um Eltern beraten zu können. Denn es hat sich gezeigt, dass dort, wo Medizinerinnen und Mediziner die Ersten sind, die Eltern eines Kindes beraten, das mit uneinheitlichen Geschlechtsmerkmalen auf die Welt kommt, in den meisten Fällen zu einer medizinischen Behandlung geraten wird.
Deswegen sagen wir, Medizinerinnen und Mediziner müssen sensibilisiert werden, aber gleichzeitig muss für die Eltern, für die das auch eine schwierige Situation ist in einer Gesellschaft, in der eigentlich eindeutig von Männern und Frauen ausgegangen wird, eine unabhängige Beratung zur Verfügung stehen.
Denn klar ist auch, dass für die Menschen, die von dieser „Diagnose“ betroffen sind – oder vielleicht sagen wir besser: getroffen werden –, die Zuschreibung einer Störung gar nicht zutreffend ist. Sie lehnen auch die Pathologisierung ab. Langsam greift aber die Auffassung durchaus Raum, dass Geschlechtsidentitäten jenseits der bipolaren Zweigeschlechtlichkeit vielleicht auch vorhanden sein könnten. Daraus muss sich auch endlich das Recht auf eine selbstbestimmte Identitätsentwicklung ableiten.
Sven Lehmann hat das an diesem Wochenende anlässlich der Verleihung der Kompassnadel, also des Preises des Schwulen Netzwerks NRW, so zusammengefasst: Über unsere Sexualität, über unser Geschlecht und über unseren Körper bestimmen wir selbst – und niemand sonst.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Das, finde ich, muss der Leitsatz für eine Politik sein, die sich daran ausrichtet, dass Menschen ihre Identität selbst bestimmen können müssen. Das Schwule Netzwerk NRW hat diesen Preis, die Kompassnadel, an Vanja und die Kampagne „dritte Option“ verliehen. Diese Kampagne streitet seit fünf Jahren und mittlerweile erfolgreich vor dem Bundesverfassungsgericht dafür, dass es einen positiven selbstbestimmten dritten Geschlechtseintrag geben muss.
Denn intersexuelle Menschen sind nicht anders, sie sind auch nicht geschlechtslos oder falsch.
Der Bund ist aufgefordert, nun ein Gesetz im Sinne geschlechtlicher Selbstbestimmung vorzulegen. Darauf warten wir noch. Der erste Versuch des Bundesinnenministers ist aus unserer Sicht zwar unzureichend, kann aber durchaus noch nachgearbeitet werden.
Zur Selbstbestimmung und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit gehört auch ein Ende der medizinisch nicht indizierten Operationen und Hormonbehandlungen an Säuglingen und Kleinkindern. Denn Selbstbestimmung bedeutet für das Individuum, sich frei entfalten zu dürfen und zu können und von unnötigen Eingriffen des Staates frei zu sein.
Für die Gesellschaft aber bedeutet Selbstbestimmung des Individuums auch – und das, finde ich, ist im Zusammenhang mit Tabuthemen, mit Zweigeschlechtlichkeit und Dingen, die uns vielleicht herausfordern, noch einmal besonders wichtig –, dass wir das als Gesellschaft auch aushalten müssen. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

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