Johannes Remmel: „Klare Strukturen von Verantwortlichkeit von Regierung, Opposition und Kommission“

Antrag der Fraktion der SPD zur Europäischen Union

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Johannes Remmel (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am Anfang vielleicht eine Bemerkung, die mit dem konkreten Antrag nicht bis ins letzte Detail etwas zu tun hat: Die Debatte zu verfolgen war schon interessant, wenn man sie im Lichte des so gefeierten Koalitionsantrages der Großen Koalition betrachtet, insbesondere
–                           das kann ich Ihnen von der sozialdemokratischen Fraktion nicht ersparen –, da Sie besonders stolz darauf waren, ein Kapitel zur Stärkung der Europäischen Union am Anfang des Koalitionsvertrages verankert zu haben.
Wenn ich allerdings die heutige Debatte verfolge, dann wird mir klar, welchen Wert dieses Kapitel am Anfang hat. Schöne Reden, schöne Worte, aber Folgen wird es offensichtlich insbesondere dann, wenn es um ein soziales Europa geht, nicht haben, das hat der Kollege Krauß deutlich gemacht: dass man bei schönen Worten bleiben will, aber dem keine konkreten Taten folgen werden, weil klar ist: Die soziale Säule der Europäischen Union soll – so jedenfalls in Sonntagsreden proklamiert im November 2017, im Übrigen von allen beteiligten Mitgliedsstaaten der Europäischen Kommission und im europäischen Parlament – die Entwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion flankieren. Das ist richtig und gut so, aber das Leben spielt nun einmal auf dem Platz, und Platz ist nicht Sonntagsreden, sondern ist montags, dienstags und mittwochs, und man muss einem Beschluss auch Taten folgen lassen.
Dabei zeigt sich in der Tat schon in den ersten Wochen und Monaten nach dieser Beschlussfassung, dass insbesondere die Mitgliedsstaaten, auch die Bundesregierung, eben keine Taten folgen lassen wollen. Das ist enttäuschend. Wichtig und notwendig ist es, ein sozialeres Europa zu schaffen und damit die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union zu stärken. Das muss dringend passieren. Nur ein Europa mit starken sozialen Standards wird dauerhaft von den Bürgerinnen und Bürgern akzeptiert und unterstützt.
Der Antrag der SPD greift deshalb wichtige Forderungen auf, die wir teilen, deshalb werden wir dem Antrag auch zustimmen. Er hat allerdings auch einige Lücken. Wir brauchen dringend eine Richtlinie für adäquate Mindesteinkommen, einheitliche europäische Vorgaben für Mindestlöhne und eine Richtlinie für faire Arbeitsbedingungen. Das sind beispielsweise Punkte, die ergänzt werden müssen, genauso wie eine abgestimmte Abgaben- und Steuerpolitik.
Wir brauchen europäische Mindeststandards bei Arbeitnehmerrechten, Löhnen und Sozialversicherungen. Europa muss sozialer Ungleichheit endlich den Kampf ansagen. Die Mitgliedsländer müssen ihre Handlungsbekundungen in der europäischen Sozial- und Steuerpolitik mit konkreten Initiativen unter Beweis stellen. Es reicht nicht aus, dies nur feierlich zu proklamieren, sondern es muss auch gehandelt werden.
Grundsätzlich allerdings, wenn ich den europäischen Einigungsprozess insgesamt betrachte, ist die Argumentation aus meiner Sicht etwas zu kurz, dass allein ein sozialeres Europa, auch wenn die Kommission konkrete Schritte mit den Mitgliedsstaaten vereinbaren könnte, den Prozess in die richtige Richtung bringt. Es ist notwendig, keine Frage. Aber wenn wir uns historisch versichern, auch beim Entstehen der Demokratie auf deutschem Boden, dann kann man eine gewisse Abfolge sehen, die nicht unbedingt erfolgreich war. Es ist mit einer Sozialunion gestartet, dann hat Bismarck die Sozialgesetzgebung auf den Weg gebracht; aber was eben nicht passiert ist: rechtzeitig eine freiheitliche Demokratie auf deutschem Boden zu errichten.
Ich denke, dass uns dies den richtigen Wink auch in Richtung Europa gibt: klare Strukturen von Verantwortlichkeit von Regierung, Opposition und Kommission und nicht das Unübersichtliche, Strukturelle, das heute viele Menschen nicht nachvollziehen können. Deshalb kann uns ein Arbeiten an einer sozialeren Union bitte nicht davon abhalten, demokratische Prozesse in Europa dringend zu strukturieren und voranzubringen. – Herzlichen Dank.

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