Barbara Steffens: „Wir müssen eine Strategie entwickeln, wie wir die Mikroplastikmengen, die bereits in den Gewässern sind, aus dem Kreislauf zurückholen können“

Antrag der GRÜNEN im Landtag zu Mikroplastik in Gewässern

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Präsident André Kuper: Ich eröffne die Aussprache und erteile zu ihrer Abschiedsrede der Abgeordneten Frau Steffens das Wort – nicht aber, ohne zuvor noch ein paar Worte zu sagen.
Frau Kollegin Steffens war von Juni 2000 bis zum 15. März 2013 Abgeordnete des Landtags und ist es jetzt noch einmal seit Juni 2017. Von Juli 2010 und Juni 2017 ist sie als Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen aktiv gewesen.
Über diese vielen Jahre haben Sie sich also in den Dienst der Bürgerinnen und Bürger gestellt. Dafür danke ich Ihnen stellvertretend für alle 199 Kolleginnen und Kollegen sehr herzlich.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD, der FDP und Marcus Pretzell [fraktionslos] – Vereinzelt Beifall von der Regierungsbank)
Ich wünsche Ihnen alles Gute für Ihre Abschiedsrede und natürlich auch alles Gute für die nächsten Lebensabschnitte! – Bitte sehr.
Barbara Steffens (GRÜNE): Ganz herzlichen Dank. – Herr Präsident! Lieber Abgeordnete! Trotzdem komme ich erst einmal inhaltlich zu dem Antrag. Sie wissen ja, dass ich aus Überzeugung Parlamentarierin bin. Bei diesem Antrag halte ich nicht nur die Rede, um mich zu verabschieden, sondern dabei geht es mir auch wirklich um den Inhalt und die Sache.
Es handelt sich wieder um einen Antrag zum Thema „Wasserqualität“. Es gab hier schon zu vielen anderen damit verbundenen Bereichen Reden und Anträge, zum Beispiel zu den Themen „Gülle und Abwasser“ oder „multiresistente Erreger“. Heute geht es um das Thema „Mikroplastik und unser Wasser“.
Wasser ist eine unserer wesentlichen und wichtigen Lebensgrundlagen. Wir dürfen damit nicht leichtfertig umgehen. Bezogen auf Plastik geschieht das allerdings im Moment. Ob es aus Gedankenlosigkeit oder aus Profitgier passiert, sei einmal dahingestellt. Aber unsere Umwelt wird nun einmal dadurch belastet.
So praktisch Kunststoffe für viele Bereiche sind und so faszinierend Nanotechnologie auch ist: All das darf unsere Lebensgrundlage nicht nachhaltig und dauerhaft gefährden. Es ist wichtig, dass wir die Chancen nutzen, aber auch, dass wir die Risiken minimieren und mitdenken und dass wir Lösungen für die negativen Auswirkungen von Anfang an und nicht erst am Ende – „end of pipe“ – mitdenken.
(Beifall von den GRÜNEN)
Von 1994 bis heute hat sich die Menge des Plastikabfalls fast verdoppelt. 2015 waren es in Deutschland fast 6 Millionen t. Davon werden nur 20 % recycelt. Die Qualität leidet beim Recyceln, und neuer Kunststoff kostet sehr wenig. Wir produzieren also immer mehr und mehr.
Aus dem weggeworfenen Kunststoff, aus den Verpackungen, aus Plastikflaschen, die sich zersetzen, beim Waschen von Synthetik-Kleidung, bei Reinigungsmitteln und Waschpulver, bei Shampoo und Kosmetik: Überall da fallen am Ende Mikroplastikpartikel an. Es sind unzählige Quellen.
Deshalb gibt es nicht nur eine Dimension als Antwort. Vielmehr müssen wir an mehreren Punkten anpacken. Wir müssen die Herstellung und die Einträge in die Umwelt minimieren.
In den Niederlanden gibt es den ersten Supermarkt, der entsprechend aktiv ist. Er will in 74 weiteren Geschäften keinerlei Kunststoffverpackungen mehr anbieten, sondern nur noch natürlich hergestellte, biologisch abbaubare Materialien; innerhalb von zwölf Wochen sind sie Kompost.
Schon seit 2008 existiert in Ruanda ein Verbot von Plastiktüten. Jetzt will man dort ein grund- sätzliches Plastikverbot einführen.
Wir brauchen auch eine deutsche Strategie zur Minimierung. Außerdem müssen wir eine Strategie entwickeln, wie wir die Mikroplastikmengen, die bereits in den Gewässern sind, wieder entfernen und aus dem Kreislauf zurückholen können.
(Beifall von den GRÜNEN)
Uns liegt ganz aktuell – da kann man auch nicht mal wieder die Augen zumachen, wie das der eine oder andere in diesem Plenum gerne tut – die Studie des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven vor. Sie macht klar, wie groß sogar die Belastung des Eiskerns in der Arktis mit Mikroplastik ist. Kleinste Teilchen von unter 5 mm bis hinunter zu 11 µm sind nachgewiesen worden – mehr als 12.000 Mikroplastikteilchen pro Liter Meereis von 17 verschiedenen Kunststoffarten.
Man kann die Herkunft des Kunststoffes auch nachweisen: Es sind Verpackungen, Zigarettenfilter, Lacke von Schiffsanstrichen, Nylon. Unglaublich viele Substanzen werden dort nachgewiesen. Wir wissen, dass sie sich in Kleinsttieren, Kleinstlebewesen, Ruderfußkrebsen, Wimpertierchen und dann auch in Muscheln und Fischen wiederfinden. Am Ende finden wir sie bei uns wieder.
Schon heute kann bei Tieren nachgewiesen werden, dass es Entzündungsreaktionen gibt, dass sie weniger fressen und dass ihre Fortpflanzung weniger erfolgreich ist. Die Dimension der Folgen, die wir durch unser leichtfertiges Handeln in Kauf nehmen, ist also sehr groß. Dem müssen wir Einhalt gebieten.
Es trifft nicht nur die Tiere; es sind nicht nur die Lebewesen im Wasser betroffen. In den In- dustriestaaten – und dazu gehören wir nun einmal –
(Dr. Christian Blex [AfD]: Noch!)
lässt sich nahezu in jeder Urin- oder Blutprobe Bisphenol A nachweisen. Das ist einer der Weichmacher der Kunststoffe, der in vielen Plastikprodukten des Alltags wie Flaschen und Verpackungen vorhanden ist. Wir nehmen diese Mikropartikel zu uns. Sie werden nachgewiesen; das Bisphenol A ist da.
(Zuruf von Dr. Christian Blex [AfD])
Wir wissen, welche Folgen und Konsequenzen das hat: Bei übermäßiger Aufnahme können Krankheiten, Fettleibigkeit, Unfruchtbarkeit, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Krankheiten auftreten. Viele der Zivilisationserkrankungen, die zunehmen, werden von diesen Substanzen und Stoffen unterstützt. Das ist nicht die einzige Ursache. Aber es ist ein Faktor, der dieses mit befördert.
(Zurufe)
–  Da können Sie so viel dazwischenbrüllen, wie Sie es immer wieder tun. Es ist so. Vor diesen Realitäten kann man die Augen nicht verschließen.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Da dürfen wir nicht einfach so weitermachen. Jeder und jede kann etwas tun. Man kann Kosmetika und Waschmittel verpackungsarm einkaufen; klar. Aber das reicht nicht. Wir können das Problem nicht individualisieren. Vielmehr muss die Politik hier Verantwortung übernehmen – im Interesse unseres Landes, unserer Umwelt und unserer Gesundheit.
Mit dem politischen Teil habe ich auch eine gute Überleitung. Die Gesundheit der Menschen lag mir immer am Herzen. Sie liegt mir auch weiterhin am Herzen.
Das ist – Herr Präsident, Sie haben es eben gesagt – meine letzte Rede hier im Haus. Nach 26 Jahren landespolitischen Aktivitäten bei den Grünen, 13 Jahren, wie Sie eben gesagt haben, als Landtagsabgeordneter und sieben Jahren als Ministerin werde ich Mitte Mai dieses Jahres mein Mandat niederlegen. Es ist meine letzte Rede.
Ich möchte mich deswegen an dieser Stelle bedanken.
Erst einmal politisch: Ich bin sehr froh darüber, dass ich als Parteivorsitzende – ich glaube, wenn ich hier in die Reihen gucke, dass ich die Letzte bin, die von der damaligen Runde übrig geblieben ist – mit Herrn Priggen, Frau Höhn und Herrn Vesper die erste rot-grüne Koalition in Nordrhein-Westfalen verhandeln durfte. Danach sind viele Ministerpräsidenten und viele Verhandlungsrunden gefolgt – mit Herrn Clement, mit Herrn Steinbrück und als Krönung dann endlich mit einer Frau, Hannelore Kraft, und einem etwas anderen Regierungsstil.
Ich durfte also viele Koalitionen begleiten. Ich durfte als Abgeordnete zehn Jahre lang Sprecherin für Arbeitsmarkt-, Sozial-, Gesundheits- und Pflegepolitik sein. Ich durfte Frauen- und Queerpolitik machen.
Dafür bin ich dankbar. Denn ich bin als Überzeugungstäterin in die Politik gekommen. Ich wollte und will etwas verbessern und dafür sorgen, dass den Menschen in dieser Welt an vielen Stellen unnötige Probleme erspart werden.
Ich möchte mich deswegen bei den vielen, die es mir ermöglicht haben, diese Chancen an den unterschiedlichen Stellen zu nutzen, bedanken. Ich möchte mich bei den Wählern und Wählerinnen bedanken, die immer wieder den Grünen ihre Stimme gegeben haben, um in den unterschiedlichen Konstellationen hier Politik zu gestalten, und vor allen Dingen bei denen, die nicht nur alle fünf Jahre ihr Kreuzchen gemacht haben, sondern sich darüber hinaus in dieser Demokratie aktiv beteiligt haben, die Mails geschrieben haben – am Anfang kamen noch mehr Briefe als Mails –, in denen sie ihr Schicksal und ihre Probleme beschrieben haben, und die uns mit ihren Problembeschreibungen einfach berührt haben.
Viele dieser einzelnen Initiativen der Menschen haben ganze Prozesse ausgelöst. Manchmal haben sie wirklich Gesetze oder Änderungen im politischen Handeln zur Folge gehabt. Ich bin dafür dankbar.
Ich bin auch den Verbänden und Initiativen dankbar, die mir in all den Jahren ihren Blick, ihre Augen und ihr Wissen zur Verfügung gestellt haben. Denn Abgeordnete sind Menschen wie jeder andere. Sie haben draußen im Land vorher ihren Job gemacht und ihre Aufgaben erfüllt.
Dann ist man plötzlich für ganz viele Bereiche zuständig. Wenn einem nicht Menschen ihre Augen, ihren Blick, ihr Wissen und ihre Empathie leihen und helfen, damit man politische Sachen und Fakten auch mit ihren Augen sieht, kann man als Abgeordnete zwar vielleicht Entscheidungen treffen; aber man schmort im eigenen Saft und man kann nicht für dieses Land die bestmöglichen Entscheidungen treffen. Also auch herzlichen Dank an all diejenigen, die mich da über Jahre hinweg unterstützt haben!
Aber auch herzlichen Dank an die Landtagsabgeordneten! Im Laufe der Jahre habe ich ja viele aus den unterschiedlichsten Fraktionen in den verschiedensten Parlamenten erlebt. Natürlich bedanke ich mich auch bei meinen grünen Abgeordneten. Aber es gab auch viele der CDU-, FDP- und SPD-Abgeordnete, mit denen man gerungen und gestritten hat, aber immer im Interesse des Landes versucht hat, zu kämpfen und auch Veränderungen voranzubringen.
Auch gilt mein Dank den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Landtags in den unterschiedlichsten Funktionen. Denn das ist das Backoffice, ohne das man hier letztendlich nicht wirklich funktionieren kann.
Der allerletzte Dank gehört meinen beiden Söhnen, die mehr oder weniger hier mit groß geworden sind. Den Ersten sieht man noch auf den Verhandlungsbildern mit Johannes Rau. Der Zweite pendelte hier immer auf den Gängen hin und her. Ich möchte mich bei ihnen bedanken, weil sie natürlich an der einen oder anderen Stelle zurückstecken mussten. Gerade als alleinerziehende Ministerin war das nicht immer ganz einfach. Mein Dank gehört also meinen Söhnen. Im Übrigen glaube ich, dass sie das trotzdem alles sehr gut für sich verinnerlicht haben. Sie mussten lernen, zu argumentieren, um bei mir zu Wort zu kommen. Meines Erachtens haben sie das gut hingekriegt. Vor allen Dingen haben sie mich immer wieder geerdet.
Eines ist in dieser Legislaturperiode anders. Das sage ich auch mit Blick auf diesen Plenartag. So sehr es einem auf der einen Seite schwerfällt, nach so vielen Jahren loszulassen, gibt es auf der anderen Seite etwas, was einem das doch wieder etwas leichter macht. Denn in diesen Landtag sind eine Kälte, eine Feindseligkeit, eine Frauenfeindlichkeit, eine Homophobie, rassistische Positionen und menschenverachtende Haltungen eingezogen,
(Zuruf von der AfD: Das haben wir auch festgestellt!)
die, wie ich finde, nicht zu diesem Land und zu diesem Parlament gehören. (Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der SPD – Zurufe von der AfD)
Eine solche Dimension haben wir zum ersten Mal in Nordrhein-Westfalen in dieser Form. Ich hoffe, dass das in dieser Legislaturperiode nicht nur das erste Mal ist, sondern dann auch das letzte Mal war.
Der heutige Tagesordnungspunkt 2 hat uns noch einmal ganz deutlich gezeigt, in welche Richtung hier die Stimmungen gehen. Das ist nicht die Stimme des Volkes. Denn für das Volk reden wir alle in diesem Parlament. Wir alle sind die Stimme des Volkes und vertreten die Menschen.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Zurufe von der AfD)
Meine Damen und Herren Abgeordnete, wir, all die Demokraten und Demokratinnen in Nordrhein-Westfalen, müssen den Menschen wieder eine politische Heimat bieten, damit sie nicht aus Wut und um der Politik einmal etwas zu zeigen, diejenigen wählen, die eigentlich nicht für sie sprechen, sondern die ihnen schaden, und damit sie nicht aus politischer Verdrossenheit und Vertrauensverlust in die falsche Richtung gehen.
Politik muss wieder authentischer, ehrlicher und auch so werden, dass unbequeme Wahrheiten nicht weggeredet werden,
(Helmut Seifen [AfD]: Dann geben Sie ja zu, dass Sie lügen!) sondern dass zu ihnen gestanden wird
(Markus Wagner [AfD]: Kein Mikropartikel kann so giftig sein wie Ihre Rede!)
und dass politische Botschaften nicht schöngeredet werden, sondern dass sie klar benannt werden. Deswegen hoffe ich, dass das diesem Parlament auch in dieser Legislaturperiode gelingen wird.
Persönlich wünsche ich Ihnen allen Gesundheit und eine gute Hand für diese wesentlichen und wichtigen Aufgaben. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP – Zurufe von der AfD – Von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen werden Barbara Steffens [GRÜNE] Blumen überreicht.)
Präsident André Kuper: Vielen Dank, Frau Kollegin Steffens