Multiresistente Keime in nordrhein-westfälischen Gewässern bekämpfen!

Antrag der GRÜNEN im Landtag

I.  Gefährliche Erreger in Bächen, Flüssen und Seen

In Frankfurt a. M. ertrinkt im März 2016 beinahe ein Mann in einem Bach und wird daraufhin ins Krankenhaus eingeliefert. Mikrobiologen finden in seiner Lunge Erreger, die gegen alle vorhandenen Antibiotika und das Reservemittel Resistenzen aufweisen. Diese sogenannten multiresistenten und potenziell lebensbedrohlichen Keime werden im Krankenhaus auf vier weitere Patienten übertragen, zeitweise mussten Teile der Intensivstation des Universitätsklinikums gesperrt werden. Neben dem verunglückten Mann versterben zwei weitere infizierte Patienten. Das zuständige Gesundheitsamt überprüft anschließend das Bachwasser und entdeckt darin die gefährlichen, resistenten Keime.
Diesen Fall nahmen einige NDR-Journalistinnen und Journalisten zum Anlass für eine monatelange Recherche für die Sendung „Panorama“. Sie haben aus Bächen, Flüssen und Badeseen in Niedersachsen Gewässerproben entnommen und von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Technischen Universität Dresden auf multiresistente Keime überprüfen lassen. In jeder der zwölf analysierten Proben wurden Erreger gefunden, die bei bestimmten Patientinnen und Patienten schwerwiegende Infektionen verursachen können. Einer der beprobten und positiv getesteten Flüssen, die Hase, fließt auch durch den Kreis Steinfurt in Nordrhein-Westfalen.
Bei den festgestellten Keimen handelt es sich um multiresistente gramnegative Bakterien (MRGN), die zu schwerwiegenden Erkrankungen führen können und schwer zu behandeln sind. Besonders gefährden solche Erreger Vorerkrankte, Ältere und Neugeborene. Schätzungen des Bundesgesundheitsministeriums zufolge sterben in Deutschland jährlich
15.000 Menschen an Erkrankungen durch multiresistente Keime, die Europäische Arzneimittelbehörde schätzt die Zahl der Todesfälle sogar auf 25.000 jährlich. Experten des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin der Charité gehen davon aus, dass bereits in wenigen Jahren mehr Menschen an multiresistenten Keimen sterben werden als an Krebs.
Resistente Erreger und Keime gelangen aus den Ställen über Mist, Gülle, Dung und Gärresten auf die Felder und über den Regen auch in unsere Böden und unser Wasser. Dass derartige Keime ein Risiko darstellen, ist unbestritten. Doch wie gefährlich multiresistente Erreger aus
der Umwelt, beispielsweise in Badegewässern, für die Gesundheit sind, ist noch weitestgehend unklar. Auch wenn die Keime bei gesunden Menschen nicht unmittelbar eine Erkrankung auslösen, können sich diese in Wunden ausbreiten, sich im Darm ansiedeln und zu einem späteren Zeitpunkt eine Infektion verursachen. Darüber hinaus bleibt das Risiko, die Keime weiterzutragen und geschwächte Personen, beispielsweise in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, in Lebensgefahr zu bringen.
Die Untersuchungen belegen, dass die Erreger in unserer Umwelt vielleicht sogar schon flächendeckend angekommen sind. Sie sind deshalb für Nordrhein-Westfalen in besonderer Weise relevant, weil unser Trinkwasser zu etwa 60 Prozent aus Oberflächengewässern gewonnen wird. Vor allem entlang der Region an Rhein und Ruhr werden vorwiegend Oberflächenwasser (Talsperren) oder Mischungen aus Oberflächenwasser und Grundwasser (Uferfiltrat, künstlich angereichertes Grundwasser) für die Versorgung bereitgestellt.
Es bleibt ein Gefühl der Unsicherheit – auch weil die Wasserverunreinigungen durch Medienberichte aufgedeckt wurden und nicht durch die dafür zuständigen Ämter. Aufklärung über die Risiken ist deshalb dringend notwendig. Dies kann nur durch eine Überprüfung der hiesigen Gewässer auf die Belastung mit multiresistenten Keimen gelingen. Auch das Bundesumweltministerium fordert, unsere Gewässer zukünftig auf multiresistente Erreger zu untersuchen. Daher ist die Liste der zu überprüfenden Stoffe – sowohl in der Badegewässer- als auch in der Grundwasser-, Trinkwasser- und Oberflächengewässerverordnung – unverzüglich um resistente Keime zu erweitern.
Neben der Überprüfung und Überwachung der Entwicklung von Erregern in unseren Gewässern ist natürlich auch die Ursachenbekämpfung ein wesentlicher Baustein der Problemlösung. Die Einträge von resistenten Erregern in die Umwelt gilt es weiterhin und verstärkt zu verhindern und die Verursacherinnen und Verursacher müssen in die Pflicht genommen werden.
Bisher hat die Landesregierung die Absicht, erst 2019 mit einer Sonderuntersuchung der Gewässer in NRW zu beginnen und bis dahin nur allgemeine bundeseinheitliche Verhaltenshinweise zur Badesaison zu verbreiten. Ohne zu wissen ob und womit die einzelnen Badeseen belastet sind, könnte ein jeder Badeausflug für Kinder, Seniorinnen und Senioren, Kranke, Menschen mit offenen Wunden oder geschwächtem Immunsystem ein Risiko darstellen. Die Begründung von Seiten des Ministeriums, noch seien diese aufwendigen Untersuchungen nicht gerechtfertigt, da noch nicht klar sei wie das beste und kostengünstigste Verfahren zur Bekämpfung aussehe, kann aus Sicht der Bevölkerung nicht akzeptiert werden.

II.  Ursachen gemeinsam bekämpfen

Kürzlich hat die Weltgesundheits-Organisation (WHO) ihre Liste der wichtigsten Antibiotika für Menschen aktualisiert. Dabei wurde dem Medikament Colistin die höchste Priorität eingeräumt. Bei Colistin handelt es sich um ein sogenanntes Reserveantibiotikum, ein Notfallmedikament. Es kommt bei lebensbedrohlichen Situationen zum Einsatz, wenn alle anderen Antibiotika keine Wirkung mehr zeigen. Es existieren allerdings Bakterien, die auch gegen dieses wichtige Reserveantibiotikum resistent sind. Sie besitzen das sogenannte mcr- 1-Gen. Alarmierend: Forscherinnen und Forscher haben herausgefunden, dass sich Colistinresistenzen schneller verbreiten als bislang angenommen. Vor diesem Hintergrund ist es besorgniserregend, dass in fünf der zwölf Proben in Niedersachsen Bakterien mit dem mcr-1-Gen gefunden wurden.
Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) mahnt daher an, den Colistin-Einsatz zu reduzieren, besonders in industriellen Tiermastanlagen. In einem Bericht aus dem Jahr 2016 zeigt die EMA auf, dass Deutschland innerhalb der EU beim Einsatz von Colistin den 4. Platz einnimmt. Im Vergleich zu Dänemark und den Niederlanden wurde hierzulande mehr als 20 mal so viel des Antibiotikums eingesetzt. Auch die Proben in Niedersachsen, die Erreger mit Colistin-Resistenzen aufgewiesen haben, wurden in einer Region entnommen, die durch Großtieranlagen geprägt ist.
Einige der Proben wurden dem Auslauf von Kläranlagen entnommen. Auch dort haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Erreger festgestellt, gegen die fast kein Mittel mehr wirkt. Viele Kläranlagen sind technisch unzureichend ausgestattet um multiresistente Erreger vollständig aus dem Wasser herauszufiltern. Das Umweltbundesamt (UBA) fordert daher die technische Nachrüstung von Klärwerken durch die Einrichtung einer vierten Reinigungsstufe. Diese ist unter Heranziehung des Verursacher- und Einleitungsprinzips für Nordrhein- Westfalen zu prüfen.
Um die Gesundheit der Menschen in Nordrhein-Westfalen zu schützen, muss die Landesregierung gemeinsam mit Kommunen, Kläranlagenbetreibern, Landwirtschaft und Gesundheitswirtschaft eine Gesamtstrategie „Multiresistente Keime in Gewässern NRW“ entwickeln. Ziel muss sein, dem Eintrag gefährlicher Keime in unsere Gewässer vorzubeugen und wirksame Maßnahmen zur Entfernung zu ergreifen.

III.  Der Landtag stellt fest

  • Die belegten Belastungen der niedersächsischen Gewässer und des Flusses Hase, der durch den Kreis Steinfurt fließt, mit multiresistenten Keimen ist in diesem Umfang alarmierend.
  • Derartige Gewässerbelastungen durch multiresistente Keime und Erreger sind auch in NRW derzeit als sehr wahrscheinlich anzunehmen.
  • Die zunehmende Anzahl an Multiresistenzen und die dadurch steigende Zahl von Todesfällen sind besorgniserregend und stellen eine große Herausforderung im Bereich des Gesundheitsschutzes dar.

IV.  Der Landtag fordert die Landesregierung auf:

  1. eine systematische und kontinuierliche Überprüfung heimischer Oberflächengewässer auf multiresistente Keime unverzüglich zu beginnen. Diese Untersuchungsergebnisse gilt es im Anschluss öffentlich zugänglich zu machen.
  2. eine Änderung der Verordnung über die Qualität und die Bewirtschaftung der Badegewässer (Badegewässerverordnung) zu erwirken, damit multiresistente Keime und Erreger zukünftig Bestandteil der regulären Überwachung werden.
  3. eine Änderung der Trinkwasser-, der Oberflächengewässer- und der Grundwasserverordnung zu erwirken, um auch hier multiresistente Keime und Erreger zum Gegenstand der kontinuierlichen Überwachung zu machen.
  4. einen auf Beteiligung aufbauenden Dialog mit potenziellen Verursacherinnen und Verursachern zu initiieren, um eine Manifestierung des Verursacher- und Einleitungsprinzips bei Gewässerschutzmaßnahmen zu entwickeln.
  5. überall wo resistente Keime nachgewiesen und nicht unverzüglich und dauerhaft vermieden werden können, Kläranlagen mit einer weiteren, speziell für diesen Zweck wirksamen Reinigungsstufe auszustatten. Insbesondere wenn diese ihr Abwasser direkt oder unmittelbar in Badegewässer als Vorflut einleiten. Für alle weiteren Kläranlagen gilt es, einen Fahrplan für die notwendige vierte bzw. weitere Reinigungsstufe zu entwickeln.
  6. die laufenden Pilotprojekte zur Abwasserbehandlung in Krankenhäusern in Nordrhein- Westfalen in Hinblick auf multiresistente Keime auszuwerten und daraufhin flächendeckende Projekte zu initiieren, bei denen das Abwasser vor der Einleitung in die Kanalisation keimtötend behandelt wird.
  7. sich auf der Ebene der Fachministerkonferenzen und über den Bundesrat dafür einzusetzen, dass Reserveantibiotika wie Colistin nicht mehr im veterinärmedizinischen Bereich eingesetzt werden dürfen. Darüber hinaus muss der Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung weiter ambitioniert reduziert werden.
  8. eine Gesamtstrategie „Multiresistente Keime in Gewässern NRW“ gemeinsam mit Kommunen, Kläranlagenbetreibern, der Landwirtschaft und der Gesundheitswirtschaft zu entwickeln, um Maßnahmen zur Reduzierung und Vermeidung der Einträge zu definieren.