Arndt Klocke: „Wir brauchen eine verbindliche bundesweite Regelung“

Aktuelle Stunde u.a. auf Antrag der GRÜNEN im Landtag zur Stickstoffdioxid-Belastung in Städten

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Arndt Klocke (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Grund unseres Antrags auf eine Aktuelle Stunde ist der Urteilsspruch gestern in Leipzig, der bundesweit für Furore gesorgt und dessen möglicher Ausgang in den letzten Wochen die Medien bestimmt hat.
Wir wollen in dieser Aktuellen Stunde von der Landesregierung erfahren, insbesondere von der Umweltministerin, aber gerne auch vom Verkehrsminister und vom Ministerpräsidenten, was das Land zu tun gedenkt, um Fahrverbote zu vermeiden. Denn – da sind auch wir Grünen uns einig – Fahrverbote können verhindert werden, und Fahrverbote sollten auch verhindert werden.
(Beifall von den GRÜNEN)
Zur Pressearbeit: Wenn man sich die öffentlichen Stellungnahmen der regierungstragenden Fraktionen und der Landesregierung von gestern anschaut, wird man nicht schlauer. Die um-weltpolitische Sprecherin der CDU sagte in ihrer Presseerklärung, man respektiere den Richterspruch aus Leipzig. Na ja, immerhin respektiert die CDU einen Richterspruch. Die FDP ging komplett auf Tauchstation; sie hat gestern gar nichts verlautbart. Die Umweltministerin sagte, Fahrverbote seien nur die Ultima Ratio. Gut, dem würden wir uns anschließen.
Uns würde aber doch interessieren, was die Landesregierung in den nächsten Wochen und Monaten tun wird, um Fahrverbote zu verhindern.
(Beifall von den GRÜNEN)
Dazu hätte sie schon jetzt Zeit gehabt; denn schon seit 2010 gelten die EU-Grenzwerte. Die Bundesregierung, die all die Jahre von der CDU gestellt wurde – der Bundesverkehrsminister kam in dem Zeitraum von der CSU –, hätte also sieben Jahre Zeit gehabt, entsprechend zu reagieren. Sieben Jahre hatten auch die Autohersteller Zeit, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.
(Bodo Löttgen [CDU]: Sieben Jahre hatte die rot-grüne Landesregierung!)
Doch statt entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, wurde geschummelt und getrickst; das wissen wir alle. Das wurde durch den VW-Abgasskandal deutlich, Stichwort „Schummel-Software“. Außerdem gab es eine nicht abweisbare Kumpanei zwischen Automobilindustrie und Bundesregierung.
(Beifall von den GRÜNEN)
Die Bundesregierung hat nicht interveniert. Wir wissen, dass die Kanzlerin in Brüssel unterwegs war und dafür gesorgt hat, dass keine strengeren Abgaswerte festgesetzt werden.
Als ich Herrn Wissmann, den ehemaligen CDU-Verkehrsminister, gestern im Fernsehen gesehen habe, war das fast wie beim Politbüro kurz vor dem Mauerfall. Er konnte gar nicht verstehen, was in Leipzig passiert ist. Er stammelte irgendetwas davon, dass ein Softwareupdate greifen würde, zu allen anderen Maßnahmen sei die Automobilindustrie nicht bereit. Dieser Herr Wissmann hat insbesondere in der CDU und auch in der Bundesregierung jahrelang erfolgreich lobbyiert, weshalb es gestern zu diesem Urteil in Leipzig gekommen ist, sehr geehrte Damen und Herren.
(Beifall von den GRÜNEN)
Heute debattieren wir nicht nur über ein wirtschaftspolitisches und verkehrspolitisches Thema, sondern es geht auch um Gesundheits- und Verbraucherschutzpolitik.
Man kann das jetzt abwehren und sagen: Das alles sind aus dem Raum gegriffene Zahlen. – Es gibt jedoch gute und qualifizierte umwelt- und gesundheitspolitische Studien, die belegen, dass es jedes Jahr aufgrund von NOx Tausende vorzeitiger Todesfälle in unseren Innenstädten gibt. Laut Umweltbundesamt sind es bis zu 6.000 Todesfälle, laut EU-Kommission sogar bis zu 10.000 Todesfälle. Jeder einzelne Todes- bzw. Krankheitsfall ist einer zu viel. NOx in unseren Innenstädten führt dazu, dass Menschen krank werden und frühzeitig sterben. Hier muss dringend und zügig gehandelt werden.
(Markus Wagner [AfD]: Bringen Sie die Beweise dafür! – Helmut Seifen [AfD]: Es gibt keine ernsten Beweise!)
Die Gesundheitsgefährdung besteht insbesondere für Ältere, Kranke sowie Kleinkinder und Babys.
(Helmut Seifen [AfD]: Das sind doch alles Märchen!)
Wenn Sie auf den Straßen unterwegs sind, werden Sie feststellen, dass die Abgase besonders Babys in Kinderwagen schädigen, die sich auf Augenhöhe mit den Auspuffanlagen befinden.
Man kann jedoch nicht – und das tun Sie von der AfD mit Ihrem Antrag – die Messwerte am Arbeitsplatz mit denen auf der Straße vergleichen. Am Arbeitsplatz werden gesunde Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zeitlich befristet belastet. Das können Sie doch nicht ernsthaft mit der tagtäglichen Belastung der Menschen vergleichen, die beispielsweise in der Corneliusstraße leben, die dort tagtäglich einkaufen, lüften usw. Das zeigt, wie absurd Ihr Antrag ist, liebe Kollegen von der AfD. Sie sorgen hier im Plenum wieder einmal für eine vergiftete Atmosphäre.
(Beifall von den GRÜNEN)
Diesmal geht es um die Verkehrs- und Gesundheitspolitik. Das einzige Problem, das Sie in Ihrem Antrag skizzieren, ist, dass ein unübersichtlicher Schilderwald droht. Liebe AfD, Sie müssen sich dringend in die Materie einarbeiten.
(Lachen von der AfD – Zuruf von Markus Wagner [AfD])
Das müssen aber auch andere tun. Denn die Debatte um Grenzwerte und Schadstoffe wird bei der FDP, insbesondere von Christian Lindner, genauso geführt. Er argumentiert ähnlich wie die AfD, und das ist peinlich genug.
(Beifall von den GRÜNEN)
Zu Recht fühlen sich Millionen von Autofahrerinnen und Autofahrer in diesem Land von den Herstellern betrogen. Deswegen braucht es ein verbindliches Hardwareupdate in allen betroffenen Fahrzeugen. Dieses Hardwareupdate muss zu 100 % von der Automobilindustrie finanziert werden, sehr geehrte Damen und Herren.
(Beifall von den GRÜNEN)
Das fordern nicht nur die Grünen, das fordert bemerkenswerterweise auch eine den Grünen nicht unbedingt nahestehende Organisation wie der ADAC. Das fordern der Deutsche Städtetag, der Städte- und Gemeindebund und weitere Organisationen.
Sehr geehrte Frau Umweltministerin, setzen Sie sich ebenso für ein verbindliches Hardwareupdate in den betroffenen Pkws ein, wie diese Organisationen und wir es tun. Dazu sollten Sie heute entsprechend Stellung nehmen.
(Beifall von Horst Becker [GRÜNE])
Oder trifft das zu, was Ihr Staatssekretär Bottermann heute Morgen auf WDR 5 zum Besten gegeben hat? Er sagte, dass man jetzt in Gespräche mit der Industrie eintreten und prüfen wolle, wozu die Industrie bereit sei, um möglicherweise eine Fifty-fifty-Regelung zu treffen, sodass die Verbraucher die eine Hälfte und die Automobilhersteller die andere Hälfte finanzieren.
Vor dem Hintergrund der Milliardengewinne von VW und anderen deutschen Konzernen ist genug Geld da, um dieses Update, sprich: diese Hardwarenachrüstung, zu finanzieren.
(Beifall von den GRÜNEN)
Selbstverständlich – das hat das Urteil gestern deutlich gemacht – braucht es Ausnahmeregelungen für Handwerkerinnen und Handwerker, für Rettungswagen und andere Fahrzeuge. Aber warum stehen eigentlich so wenige Best-Practice-Beispiele im Mittelpunkt der Debatte, und warum wird das von der Landesregierung nicht aufgegriffen?
Ich möchte den Bäcker Schüren aus dem Kreis Mettmann als Beispiel anführen. Es handelt sich um einen mittelständischen Betrieb mit über 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie 30 Fahrzeugen. Er hat in den letzten Jahren freiwillig und ohne jeden Fördercent die komplette Flotte auf Hybrid- und Elektroantrieb umgestellt.
(Sven Werner Tritschler [AfD]: Ohne Fördergelder?)
Solche Maßnahmen sind zu unterstützen. Es ist möglich, entsprechend zu agieren. Diese Beispiele sollten in Zukunft in der Öffentlichkeit deutlicher gemacht werden. (Beifall von den GRÜNEN)
Handwerkerinnen und Handwerker sind dazu bereit, die Hardware entsprechend nachzurüsten und ihre Fahrzeuge umzurüsten.
Die zweite entscheidende Forderung ist: Wir brauchen eine blaue Plakette. Wir brauchen keinen roten Fuchsschwanz, wie die Bundesumweltministerin gestern sagte, sondern eine verbindliche bundesweite Regelung für eine nachvollziehbare Kennzeichnung von schadstoffarmen Fahrzeugen.
Deshalb lautet mein Appell an die Landesregierung: Setzen Sie sich dafür in Berlin in der neuen Großen Koalition ein! Diese Forderung richtet sich an die zahlreichen neuen NRW-Minister im Kabinett, die Herr Laschet so preist und lobt. Kämpfen Sie in der neuen Bundesregierung dafür, dass wir eine blaue Plakette bekommen! Das ist Ihre Chance, in dieser Debatte Farbe zu bekennen.
Präsident André Kuper: Herr Klocke, die Redezeit.
Arndt Klocke (GRÜNE): Danke für die Aufmerksamkeit.

Zweiter Redebeitrag zum Thema
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Arndt Klocke (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich fand einige Wortbeiträge bemerkenswert, weil es offensichtlich ein Stück Bewegung gibt. Es gibt offensichtlich in den regierungstragenden Fraktionen durchaus eine Grundtendenz, dass dieser endgültige Weckruf ein Stück weit gehört wird. Ich werde mich jetzt mit ein paar Argumenten auseinandersetzen, die in den Reden gefallen sind.
Herr Voussem hat mich auf Ministerpräsident Kretschmann angesprochen, und Herr Deppe hat sich zur blauen Plakette geäußert. Bezüglich der bundesweiten Einführung der blauen Plakette gibt es zwischen mir und Herrn Kretschmann, aber auch zwischen uns NRW-Grünen und Herrn Kretschmann nun wirklich überhaupt keinen Unterschied. Das fordert er seit Langem. Die Bundesumweltministerkonferenz hat 2016 auf Initiative des damaligen NRW-Umweltministers einstimmig beschlossen, dass eine solche Plakette eingeführt werden soll. Die Bundesregierung hat das nicht umgesetzt.
Wenn man nach Nordrhein-Westfalen blickt – Herr Ministerpräsident ist ja gerade auf den Abgeordnetenbänken –: Lieber Armin Laschet, manchmal ist es schon gut, auf die Kölner Oberbürgermeisterin zu hören,
(Zuruf von der AfD)
die wir ja gemeinsam – CDU und Grüne – ins Amt gebracht haben. Ich erinnere mich noch an den schönen Wahlabend, als wir zusammen im Kölner Rathaus standen; da waren Sie noch nicht Ministerpräsident. Es ist gut, auf Henriette Reker, unsere gemeinsame Oberbürgermeisterin, zu hören, die eindeutig die Einführung einer blauen Plakette fordert und damit jeden Tag in den Medien ist.
(Beifall von den GRÜNEN)
Für die CDU wäre es gut: ein bisschen mehr Reker und weniger Deppe oder Voussem. Das würde uns in dem Fall weiterhelfen.
(Zurufe von der CDU: Oh!)
Kollege Petelkau – ich sehe ihn gerade nicht im Plenum –, es gibt in Köln einen klaren Ratsbeschluss von CDU, Grünen und interessanterweise der Linken zur Einführung der blauen Plakette. Also, die CDU sollte einmal auf ihre Großstadtunion hören und nicht so sehr auf den ländlichen Raum. Dann wären wir in dem Bereich schon einmal ein wenig weiter.
(Beifall von den GRÜNEN)
Herr Middeldorf, die Vorlage haben Sie mir noch einmal geliefert. Man kann natürlich der vorherigen Landesregierung sagen: Ihr habt zu wenig getan. – Ihr aber zu sagen, sie hätte gar nichts getan? Also, wenn ich mir allein Herrn Pinkwart ansehe, der sich bei seinen Pressekonferenzen mit seinem großen breiten Grinsen hinstellt und die 100 Millionen € aus dem 100-Millionen-€-Programm „Emissionsfreie Innenstädte“ – von Herrn Remmel auf den Weg gebracht – jetzt mit großer Freude an die Städte in Nordrhein-Westfalen verteilt – Bonn ist die erste Stadt, die 20 Millionen € bekommt – … Das ist ein Beschluss aus rot-grüner Zeit.
Herr Deppe hat eben das Thema „Elektrobusse in Köln“ angesprochen. Also, Sie sind auch schon lange dabei. Ich weiß nicht, ob Sie bei dem Termin dabei waren, aber ich war bei dem Termin dabei als Michael Groschek als damaliger NRW-Verkehrsminister die ersten acht Elektrobusse an die KVB übergeben hat. Ich freue mich, dass Hendrik Wüst das auch machen darf. Aber zu sagen, die vorherige Landesregierung hätte kein Maßnahmenprogramm im Bereich Elektromobilität für den ÖPNV auf den Weg gebracht, das Sie jetzt entsprechend fortführen, das ist doch wirklich Humbug.
(Beifall von den GRÜNEN)
Dann der Kieler Schlüssel: jedes Jahr Hunderte von Millionen Euro mehr aus dem Bund für Nordrhein-Westfalen für den Nahverkehr. Rot-Grün verhandelt in der Verkehrsministerkonferenz. Das ist das Geld, das Hendrik Wüst jetzt immer schön an die Verkehrsverbünde verteilen kann. Das gönnen wir ihm, weil es auch gut ist, das zu machen. Aber zu sagen: „Die vorherige Landesregierung hat nichts getan“, ist wirklich absoluter Humbug. Sie stehen hier in der Tradition; und die positiven Projekte werden von Ihnen jetzt weitergeführt, sehr geehrte Damen und Herren!
(Beifall von den GRÜNEN)
Das gleiche gilt für Radschnellwege. Das gleiche gilt für den RRX. Das gleiche gilt für andere Projekte.
Zum Schluss zu den Nahverkehrstickets: Es war ein Schnellschuss – das wurde ja angesprochen – mit dem Brief, nicht nur durch die Umweltministerin, sondern ich erinnere mich daran, dass auch Peter Altmaier darunter stand. Von daher wäre es jetzt falsch, den Ball nur an die SPD zu spielen, denn es war ein Brief von drei Ministern an die EU-Kommission. Die Ideen waren durchaus noch unausgegoren, aber lassen Sie uns doch den Ball aufnehmen hin zu einem besseren Nahverkehr in Nordrhein-Westfalen. Wir hatten im Wahlkampf ein Zwei-Euro-Ticket vorgeschlagen. Von der BOGESTRA wird das jetzt im Ruhrgebiet mit großem Erfolg umgesetzt: Pendler, die entsprechend umsteigen, gute Verkaufszahlen mit einem Zwei-Euro-Ticket täglich.
Die Debatte um öffentlichen Nahverkehr: So unausgereift die Forderung nach einem kostenlosen öffentlichen Nahverkehr war, es ist aber die Chance, dass wir die Verkehrswende in Nordrhein-Westfalen in einem klaren Mobilitätsmix konkret umsetzen. Dazu gehören in Zukunft auch Pkw, die aber elektrisch betrieben oder Wasserstoff-Pkw sein müssen. Wir brauchen mehr Radverkehr. Ich bin gespannt, ob wir jetzt in der zweiten Runde noch etwas hören, dass es ein großes Programm zum Radwegeausbau in Nordrhein-Westfalen über das hinaus gibt, was wir jetzt im Haushalt projektiert haben.
Die Frage, die sich an die Landesregierung richtet, lautet: Was macht Ihr konkret nach diesem Urteil mehr als das, was bisher verabschiedet wurde? – Wir wissen, was auf den Weg gebracht worden ist, aber wir wollen konkret von dieser Landesregierung auf der Grundlage des gestrigen Urteils wissen: Wo sattelt diese Landesregierung noch mal drauf? Wo beschleunigt sie? Wir haben konkret die Situation, dass in den nordrhein-westfälischen Städten in den nächsten Jahren Fahrverbote drohen. Die Kommunen müssen unterstützt werden. Die Autofahrerinnen und Autofahrer müssen unterstützt werden. Jetzt ist die Chance zu handeln. Nutzen Sie die Chance dazu, und sagen Sie uns, was Sie vorhaben, sehr geehrte Damen und Herren.
(Beifall von den GRÜNEN)