Josefine Paul: „Ungleiche Mittelverteilung kann Kindern gleiche Chancen eröffnen“

Antrag der Fraktion der SPD zur Finanzierung frühkindlicher Bildung

Portrait Josefine Paul

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Josefine Paul (GRÜNE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das war jetzt wieder eine bemerkenswerte Geschichtsstunde. Wie nicht anders zu erwarten war, war nach vorne gerichtet von CDU und FDP mal wieder nicht besonders viel Konkretes zu hören.
Herr Kollege Hafke, ich bin sehr dankbar dafür, dass Sie mir auf meinen Zwischenruf hin die Gelegenheit gegeben haben, noch einmal darauf einzugehen, dass Sie immer die Leier vortragen: Sie haben das in sieben Jahren nicht geschafft, und jetzt erwarten Sie von uns, dass wir es in sechs Monaten aufräumen.
(Ralf Witzel [FDP]: Genau!)
Nein, Sie sitzen da einem völligen Irrtum auf. Niemand hat von Ihnen erwartet – ich will gar nicht sagen, ob ich es Ihnen zutraue oder nicht –, dass Sie das in sechs Monaten schaffen. Das haben wir nun wirklich nicht erwartet. Aber – das gehört doch zu Ihrer Wahlkampfwahrheit auch dazu – wenn man sich selbst auf die Fahnen schreibt, dass man die weltbeste Bildung umsetzen will, muss man sich anschließend auch an diesen vollmundigen Versprechen messen lassen. Das ist doch die Wahrheit.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Jetzt scheint offensichtlich auch Ihnen klar geworden zu sein, dass die politische Realität vielleicht doch ein ganz klein bisschen komplexer ist als das, was auf ein FDP-Wahlplakat passt.
Weil wir gerade bei der Frage der Erwartung sind: Nein, niemand hat von Ihnen erwartet, dass Sie das schon irgendwie umgesetzt hätten. Aber wir erwarten sehr wohl einen konkreten Zeitplan.
In der Pressekonferenz des Ministerpräsidenten und des stellvertretenden Ministerpräsidenten am Montag war das Kita-Gesetz auch schon Thema. Die „Neue Westfälische“ titelte am nächsten Tag, dem 16. Januar 2018, die Kita-Reform sei der schwerste Brocken. Da würden wir wahrscheinlich alle miteinander zustimmen. Wie zu erwarten war, findet sich allerdings im Text des Artikels tragischerweise kein einziger Hinweis darauf, wie das denn konkret aussehen soll. Vielmehr bleibt alles bei den wolkigen Ankündigungen von zwei Schritten – es ist ja auch der Minister der Schrittigkeit; mal sind es vier Schritte; jetzt sind es zwei Schritte – für die Kitajahre 2019/2020 und 2020/2021 sowie dem Verweis auf die anstehenden schwierigen Verhandlungen mit den kommunalen Spitzenverbänden und den Trägern.
Herr Minister, wenn Sie keinen konkreten Zeitplan vorlegen – dafür wird es jetzt höchste Zeit; da erwarten wir tatsächlich mehr von Ihnen –, werden die Verhandlungen mit den kommunalen Spitzenverbänden in der Tat schwieriger werden. Schließlich haben die kommunalen Spitzenverbände Ihnen jetzt nochmals ins Stammbuch geschrieben, dass sie ein Jahr Vorlauf für die Umsetzung eines neuen Kita-Gesetzes brauchen.
Was heißt das konkret? Wenn das neue Kita-Gesetz zum Kitajahr 2019/2020 kommen soll, muss das Gesetz in diesem Sommer nicht eingebracht werden, Herr Minister; dann muss das Gesetz in diesem Sommer verabschiedet werden.
Folgendes möchte ich Ihnen auch noch einmal in aller Deutlichkeit sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen von FDP und CDU: Diesmal werden wir Ihnen nicht ein solches Gesetzgebungsverfahren wie beim Kita-Rettungspaket durchgehen lassen, das mit heißer Nadel gestrickt und relativ an parlamentarischen Gepflogenheiten vorbei war.
(Henning Höne [FDP]: Hätten wir das nicht machen sollen?)
Das werden wir Ihnen diesmal nicht durchgehen lassen. Wir erwarten von Ihnen, dass es ein ordentliches Verfahren gibt.
Das bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass im Grunde genommen – Sie wissen selber, wie lange ein Gesetzgebungsverfahren dauert – im März-Plenum, also im nächsten Plenum, ein konkreter Gesetzesvorschlag eingebracht werden müsste.
Herr Minister, dazu möchte ich jetzt einmal klare Aussagen hören – nicht immer diese wolkigen Erklärungen nach dem Motto „Da machen wir hier einen Schritt und da einen Schritt; wir sind in Gesprächen“, sondern einen Zeitplan. Ich erwarte von Ihnen nicht, dass Sie mir jetzt einen Gesetzentwurf vorlegen. Ich erwarte aber, dass Sie mir sagen können, wann Sie denn vielleicht so weit sind, mir einen Gesetzentwurf vorzulegen.
(Marcel Hafke [FDP]: Gibt es auch inhaltliche Ideen von den Grünen?)
Sehr geehrte Damen und Herren, auch inhaltlich ist Zeit für etwas mehr als Ankündigen. Inhaltlich wäre es dann doch besser, mehr auf der Habenseite zu haben als nur die Behauptung: Wir machen auf jeden Fall alles besser als die rot-grüne Vorgängerregierung. – Dafür sind Sie schließlich gewählt worden. Ich erwarte, dass Sie dann auch konkret etwas tun, anstatt immer noch im Wahlkampf-Ankündigungsmodus zu verbleiben.
Ich habe wohl zur Kenntnis genommen, dass es positive Signale in Richtung Sockelfinanzierung gibt. Ich nehme auch wahr, dass wir mittlerweile offenbar alle der Meinung sind, dass die Kindpauschalen ein entscheidender Grund für die finanzielle Schieflage der Kitas sind. Ich nehme wahr – auch wenn der Ministerpräsident mir jetzt quasi zuraunt, das sei Quatsch; denn so habe ich die Fachabgeordneten von FDP und CDU in verschiedenen Veranstaltungen verstanden –, dass auch Sie sich in Richtung Sockelfinanzierung und weg von den Kindpauschalen bewegen. Wenn das anders ist, korrigieren Sie mich bitte. Aber dann sind Sie auf dem Holzweg, glaube ich.
(Beifall von den GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was muss eine verlässliche Finanzierung eigentlich leisten? Denn wir sind uns doch hoffentlich alle einig darüber, dass die beste Qualität für unsere Kinder im Mittelpunkt stehen muss. Schließlich ist qualitativ hochwertige Bildung der Schlüssel zu gesellschaftlicher Teilhabe und Chancengleichheit – Stichwort „Fachkraft-Kind-Relation“.
Wir wollen aber auch an dem Grundsatz „Ungleiches ungleich behandeln“ festhalten. Bedarfsgerechte Finanzierung von Kindertageseinrichtungen berücksichtigt, dass Kitas unterschiedliche Ressourcen brauchen. Das heißt: Ungleiche Mittelverteilung kann Kindern gleiche Chancen eröffnen. Ein Beispiel ist hier die plusKITA, die Sie ja auch fortführen.
Wir müssen auch darüber reden – Herr Hafke hat es angesprochen –, wie man eigentlich den Beruf der Erzieherin und des Erziehers attraktiver macht. Wir müssen darüber reden, dass unbefristete Vollzeitbeschäftigung oder vollzeitnahe Teilzeit das Standardmodell ist. Wir müssen darüber reden, dass Personalfinanzierung Zeit für die unmittelbare Arbeit mit dem Kind, aber auch die mittelbare pädagogische Arbeit einrechnen muss. Wir müssen über Leitungszeiten und Fortbildungszeiten sprechen.
Wir sind auch der Auffassung, dass wir im Verfahren noch über die Details sprechen können.
Bei der Frage der 30 Stunden haben wir als Grüne durchaus eine etwas andere Auffassung.
Bei der Frage der Sockelfinanzierung sind wir hier aber einer Meinung, glaube ich. Ich würde mich freuen, wenn sich auch CDU und FDP dieser Meinung anschließen würden. Die Sockel-finanzierung muss die Kindpauschalen ablösen.
Wir brauchen darüber hinausgehend individuelle Förderbedarfe. Wir wollen gute, gesunde und vor allem auskömmlich finanzierte Kitas.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Paul.

2. Runde

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Josefine Paul (GRÜNE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach dieser Debatte ist man wieder einmal ratloser als zuvor: Was will denn eigentlich die selbsternannte NRW-Koalition? Die einen oder anderen Abgeordneten der regierungstragenden Fraktionen gehen mal in Richtung Sockel und mal nicht bei öffentlichen Veranstaltungen, aber eigentlich tendenziell doch schon eher, Ministerpräsident Laschet findet sein KiBiz-Gesetz nach wie vor äußerst gelungen, und der zuständige Minister sagt mal wieder nichts Konkretes.
Stattdessen hören wir mal wieder die gleiche Leier, Herr Minister Dr. Stamp, von: Wie hätten wir das denn in sechs Monaten schon machen sollen, was Sie in sieben Jahren nicht hinbekommen haben? – Ich habe schon gewusst, dass Sie diesen Textbaustein bringen. Deswegen habe ich doch schon vorher in meiner Rede gesagt: Genau das haben wir Ihnen nie unterstellt, dass Sie das schaffen würden. Das hätten wir Ihnen auch gar nicht zugetraut.
(Heiterkeit von den GRÜNEN und der SPD)
Offensichtlich haben wir ja auch recht damit, dass Sie das nicht schaffen werden. Das wirft Ihnen aber auch niemand vor. Denn ich habe Ihnen vorhin ja auch schon gesagt: Das Einzige, was wir jetzt gerne mal hören würden, wäre ein vernünftiger Zeitplan. Auch da kommt ja nichts.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Sie arbeiten sich weiter nur an den letzten sieben Jahren ab.
(Monika Düker [GRÜNE]: Der Wahlkampf ist vorbei!)
Ich muss schon ganz ehrlich sagen, Herr Minister: Die Art und Weise, wie Sie vorhin mit dem inhaltlichen Ringen umgegangen sind, war schon einigermaßen bemerkenswert. Ich habe schon den Eindruck gewonnen, Sie wollten das ein bisschen ins Lächerliche ziehen. Ich finde, das wird der Debatte und der Ernsthaftigkeit frühkindlicher Bildung schlicht und ergreifend nicht gerecht.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ich muss Herrn Kollegen Müller recht geben: Sie sonnen sich immer in Ihrem Kita-Rettungspaket. Dieses Kita-Rettungspaket – das haben wir doch auch gesagt; deswegen haben wir es doch auch so passieren lassen – ist doch auch gut gewesen. Aber irgendwann wird Eigen-lob nicht mehr ausreichen. Irgendwann werden Sie sich an diesem Eigenlob auch messen lassen müssen. Dann wird mehr Konkretes kommen müssen, als diese wolkigen Ankündigungen, die Sie hier wieder vorgetragen haben.
Ich will nun nicht für die SPD-Fraktion sprechen oder sie – in Anführungszeichen – in Schutz nehmen, warum wir das hier jedes Mal in jeder Plenarrunde diskutieren. Warum es aber sinn-voll und richtig ist, dass wir das jedes Mal diskutieren, ist doch offensichtlich: Wir müssen inhaltlich um die beste Ausrichtung frühkindlicher Bildung ringen. Es ist doch einmal mehr deutlich geworden, dass Sie in allererster Linie damit beschäftigt sind, sich noch wahlkampf-rhetorisch an der alten Landesregierung abzuarbeiten, und selbst nichts Konkretes vorlegen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Solange das nicht kommt, werden wir das in jeder Plenardebatte erneut diskutieren. Aber Sie haben sich ja noch einmal zu Wort gemeldet; vielleicht kommt ja jetzt etwas Substanzielles.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD) 

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