Wildschweinbejagung tierschutzgerecht gestalten – Sinnvolle Schutzmaßnahmen gegen die Afrikanische Schweinepest entwickeln

Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Portrait Norwich Rüße

I.  Anstieg der Wildschweinpopulation

Die Population des Wildschweinbestands ist in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter und mittlerweile auf ein sehr hohes Niveau angestiegen. Die Dynamik nimmt ungebrochen zu und auch der verstärkte Abschuss in den vergangenen Jahren hat daran wenig geändert. Auch in NRW hat der Bestand an Wildschweinen im Jahr 2017 weiter zugenommen, das geht aus der Jagdbilanz hervor. Im Jagdjahr 2016/2017 wurden rund39.000 Wildschweine geschossen, das sind rund 4.500 mehr als im Jahr zuvor.
Aufgrund der akuten Bedrohung durch die nur noch 300 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt auftretende, aus Osteuropa heranrückende Afrikanische Schweinepest (ASP) werden Forderungen laut, den Wildschweinbestand durch intensive Bejagung zu dezimieren. Es besteht die Befürchtung, dass die ASP über Wildschweine auf hiesige Zuchtbetriebe übertragen und somit enorme wirtschaftliche Schäden verursachen wird. Der Bundesbauernverband fordert daher eine Reduzierung des Wildschweinbestands um mehr als zwei Drittel, was einem Abschuss von gut 70 Prozent der Tiere gleichkäme. Das Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein- Westfalen hat entsprechend zu Beginn des Jahres die Schonzeit für Wildschweine bis zum 31.03.2021 aufgehoben (ausgenommen Muttertiere mit Frischlingen unter etwa 25 kg). Eine ganzjährige Bejagung ist nun erlaubt.
Ob sich das Problem der anrückenden ASP allein damit tatsächlich eindämmen lässt, ist allerdings umstritten. Hinzukommt, dass die extreme Steigerung der geforderten Abschusszahlen in der Umsetzung von den Jägerinnen und Jägern kaum geleistet werden kann. Bisherige Jagderfahrung zeigt außerdem, dass Wildschweine nur schwer und in Verbindung mit einem hohen Zeitaufwand zu erlegen sind. Mit den jetzigen jagdlichen Mitteln sind die Bestände offenbar kaum zu regulieren. Daher ist der massenhafte Abschuss in der Praxis schwer umsetzbar. Auch aus wald- und wildökologischen, aber auch aus Gründen des Tierschutzes ist die ganzjährige Bejagung zu hinterfragen. Eine massive Bejagung stößt darüber hinaus nicht nur in der Bevölkerung auf Akzeptanzprobleme, auch in den Kreisen der Jägerschaft gibt es Widerstände.

II.  Afrikanische Schweinepest koordiniert bekämpfen

Moderne Zucht- und Mastanlagen sind stark von der Außenwelt abgeschirmt: Nur Zugangsberechtigte dürfen diese Großanlagen betreten, daher ist ein Kontakt zwischen Wild- und Zuchtschweinen hier eher unwahrscheinlich. Die Ansteckungsgefahr über kontaminierte Schweinefleischprodukte (z.B. Speiseabfälle) auf Rastplätzen oder aber indirekte Übertragungswege, wie z.B. durch Viehtransporte, kontaminierte Maschinen oder Kleidung, deuten vielmehr auf einen anderen Risikofaktor bei der Ausbreitung der ASP hin: den Menschen. Die Forderungen nach einem Massenbeschuss von Wildschweinen zur Eindämmung des Virus lenken daher vom eigentlichen Problem ab.
Das Vordringen der Wildschweine auf Rastplätze entlang der Bundes- und Fernstraßen fördert das Übertragungsrisiko. Eine enge Kooperationen des Landesbetriebs Wald und Holz NRW einerseits und Straßen.NRW andererseits wäre zielführend, um den Zugang von Wildschweinen zu möglicherweise kontaminierten Lastwagen und Speiseabfällen aus betroffenen Staaten zu unterbinden. Eine entsprechende Umzäunung von Autobahnrastplätzen, eine routinemäßige Untersuchung jedes verendet gefundenen Wildschweins und eine stichprobenartige Überprüfung der Jagdstrecken sind derzeit sinnige Früherkennungs- und Verhütungsmaßnahmen. Hier gilt es Maßnahme zwischen den Landesbehörden abzustimmen und umzusetzen.
Um mit allen Behörden und Akteuren gemeinsam Strategien zu entwickeln, hat das schleswig- holsteinische Umweltministerium vorsorglich zu einem „Schweinepest-Gipfel“ eingeladen – und unter anderem Vertreterinnen und Vertreter von Landwirtschaft, Jagd, Tier- und Naturschutzverbänden eingebunden. Das Ergebnis ist ein Bündel von Maßnahmen, um das Vordringen der ASP zu verhindern. Dazu zählt, dass Landwirtinnen und Landwirte keine Futtermittel oder Silagen aus Ländern einführen dürfen, in denen der Virus bereits aufgetreten ist. Auch eine Verschärfung der Hygiene-Kontrollen von Lastwagen aus betroffenen Staaten durch den Bund, ist eine zentrale Forderung, die von diesem Treffen ausgeht. Eine entsprechende Änderung der Schweinpestverordnung ist für die Sitzung des Bundesrates im März vorgesehen.
Daher gilt es Verhinderung und Früherkennung von Einschleppungen der ASP eine größere Bedeutung beizumessen, denn die jetzige Fokussierung auf eine flächendeckende Wildschweinbejagung scheint unzureichend. Im Falle eines Auftretens der ASP vor Ort sind Maßnahmen unter professioneller veterinärbehördlicher Anleitung abzurufen.

III.    Ursachen für Anstieg der Wildschweinbestände erkennen und angehen

Grundsätzlich gibt es viele naturschutzfachliche Gründe, die für eine maßvolle Eindämmung der Wildschweinpopulationen sprechen. Die Allesfresser verursachen immense Schäden an landwirtschaftlichen Kulturen oder Forsten, da die Tiere Baumsetzlinge ausgraben, um an Wurzeln zu gelangen. Zusätzlich ernähren sie sich u.a. von Eiern seltener Bodenbrüter und durchwühlen durchwachsene Vegetationsgemeinschaften.
Die stetige Zunahme der Wildschweinbestände ist auf mehrere Ursachen zurückzuführen, wesentliche Komponenten sind hier die Landwirtschaft und der Klimawandel. Die Tiere profitieren insbesondere von den verbreiteten Kulturlandschaften und von der Ausbreitung des Maisanbaus in den vergangenen Jahrzehnten. Mehr als 2,5 Millionen Hektar werden davon bundesweit angebaut, diese Felder bieten den Tieren ausreichend Nahrung und Deckung. Aber auch das immer häufigere Ausbleiben von langen Frostperioden oder Schneelagen reduziert die natürliche Sterblichkeit der Tiere drastisch, denn natürlich Fressfeinde haben sie nicht. Eine Folge des Klimawandels ist außerdem, dass Bäume wie Eichen oder Buchen in immer kürzeren Abständen fruchtbar tragen und den Waldboden zu einer unerschöpflichen Nahrungsquelle machen. Das zeitweise Zufüttern der Tiere durch Jägerinnen und Jäger ist bei einem ganzjährigen Mastzustand der Wildscheine deshalb kontraproduktiv. Auch die Zunahme von Sturmereignissen als eine Folge des Klimawandels und die damit verbundenen
z.T. großflächigen Windwürfe und die in den folgenden Jahren entstehenden Dickungen sind der Ausbreitung der Wildschweine dienlich. Dies ist beispielsweise in Südwestfalen als Folge von Kyrill zu beobachten. Die Populationsdynamik der Tiere ist aufgrund der unerschöpflichen Kapazitäten für Nahrungsmitteln in unserer Mais- und Rapslandschaft alles andere als erschöpft. Daher gilt es eine Kurskorrektur in der Landwirtschaft, aber auch im Jagdwesen vorzunehmen und die Bestrebungen für einen aktiven Klimaschutz wieder aufzunehmen.
Der Jagd von Wildschweinen sind faktisch Grenzen gesetzt, sowohl im räumlichen und praktischen Sinne, als auch aus Tierschutzgründen. Eine alternative Möglichkeit zur Reduzierung der Bestände, könnte eine beim Tier angewandte Empfängnisverhütung darstellen. Neuere Präparate arbeiten auf Basis von körpereigenen Antiköpern und ohne den Einsatz von Hormonen- wodurch ein Verzehr des Wildschweinfleisches weiterhin möglich wäre. Ein punktueller Einsatz des Wirkstoffs im Umfeld von Siedlungsgebieten und Gebieten mit einer höheren Wildschweindichte, könnte sich als wirksam erweisen. Forschungsansätze wie diese gilt es zu unterstützen, denn sie bieten eine praktikable Alternative zur Intensivbejagung und schaffen die Möglichkeit einer tierschutzgerechten Bestandsregulierung.

I.     Der Landtag stellt fest

  • Zur Eindämmung der ASP sind die Risiken, die durch menschliche Aktivitäten verursacht werden, sowie die sich daraus ergebenden Maßnahmen stärker in die Diskussion und in die Entwicklung von Schutzmaßnahmen zur Eindämmung der ASP einzubeziehen.
  • Der geforderte Abschuss von 70 Prozent des Stammbesatzes der Wildschweine ist um ein vielfaches zu hoch angesetzt und auch in der Umsetzung nicht praktikabel.
  •  Grundsätzlich sprechen naturschutzpolitische Gründe für eine maßvolle Reduzierung der Wildschweinpopulationen.

II.  Der Landtag fordert die Landesregierung auf:

  • gemeinsam mit den Landesbetrieben Wald und Holz NRW und Straßen.NRW wirksame Abwehrmaßnahmen umzusetzen, die eine Infektionsübertragung durch Wildschweine an Rastplätzen unterbinden. Das schließt eine wildschweindichte Umzäunung der Autobahnrastplätze mit ein.
  • Alternativen einer tierschutzgerechten Bestandsregulierung zu prüfen, wie beispielswiese die einer antikörperbasierten Empfängnisverhütung. Darüber hinaus gilt es weitere Forschungsvorhaben diesbezüglich zu unterstützen.
  • analog zum Gipfeltreffen in Schleswig-Holstein einen eigenen Schweinepestgipfel einzuberufen, um einen Austausch aller relevanten Vertreterinnen und Vertreter von Landwirtschaft, Jagd, Tier- und Naturschutz zu organisieren und Maßnahmen zur Eindämmung der ASP zu entwickeln.
  • eine neue Jagdstrategie zur Wildschwein-Bejagung zu entwickeln, die realisierbar ist und Jägerinnen und Jäger nicht zu Schädlingsbekämpfern degradiert.
  • bislang nicht genutzte jagdliche Möglichkeiten wie z.B. Nachtsichtgeräte und Fallenjagd unter Abwägung naturschutzfachlicher und tierschutzfachlicher Aspekte zu überprüfen.
  • Maßnahmen noch stärker zu fördern, die für deutlich mehr Vielfalt im Ackerbau sorgen und somit die Biodiversität fördert. Zusätzlich gilt es landwirtschaftliche Maßnahmen zu    prüfen,   die    zur   Verbesserung    der   Saujagd    beitragen (z.B. verbindliche Schussschneisen in Mais etc.).
  •  sich im Bundesrat für eine Änderung der Schweinepest-Verordnung einzusetzen, die auch die Hygiene-Kontrollen an den Grenzen für Transport-Lastwagen aus von Schweinepest betroffenen Staaten durch den Bund sicherstellt.