Matthi Bolte-Richter: „Da wird nichts entfesselt, da wird nur noch verknotet“

Antrag der Fraktion von Bündnis 90/DIE GRÜNEN zur Anwesenheitspflicht an Hochschulen

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Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Herr Sträßer, Sie haben aus der Gesetzesbegründung von 2014 zitiert. Die Begründung eines Gesetzes liest sich immer relativ komplex. Das liegt daran, dass eine Gesetzesbegründung dazu dient, Rechtssicherheit zu schaffen, und genau die haben wir mit dem Hochschulzukunftsgesetz in dieser Frage geschaffen.
Aber nicht nur das: Wir haben den Hochschulstandort Nordrhein-Westfalen insgesamt vorangebracht. Wir haben ihn zukunftsfähig gemacht. Wir haben ganz besonders auch die Rechte der Studierenden in den Blick genommen. Wir haben die Rechte der Studierenden mit diesem Gesetz geschärft. Wir haben grundsätzlich Gruppenparität in den Senaten eingeführt, Studierenden durch Studienbeiräte eine starke Mitbestimmungsmöglichkeit für die Prüfungsordnung gegeben. Wir haben die Hochschulen zum Studienerfolg verpflichtet, die allgemeine Anwesenheitspflicht abgeschafft, Interessensvertretungen für studentische Hilfskräfte gebildet und Möglichkeiten geschaffen, um die Prüfungsbelastung zu reduzieren und damit die Studierbarkeit von Studiengängen zu erhöhen.
All diese Verbesserungen wollen CDU und FDP zurückschrauben. Das finden wir unerhört.
(Beifall von den GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, beim aktuellen Beispiel sprechen wir über die Ausweitung der Anwesenheitspflicht. Wer sich die Debatten der letzten zehn Jahre vor Augen führt, der konnte eigentlich davon ausgehen, dass die Anwesenheitspflicht endlich tot ist. Aber mit Schwarz-Gelb erwacht dieser politische Zombie jetzt wieder.
Wir sind nicht einfach so davon ausgegangen, meine Damen und Herren, sondern mit besten Gründen. Es gibt klare rechtliche Auffassungen, die gegen die Ausweitung von Anwesenheitspflichten stehen. Wir haben sie in unserem Antrag alle zitiert.
Da ist die juristische Fachausarbeitung der Universität Duisburg-Essen vom 8. Dezember 2009. Da ist auch eine Ausarbeitung aus dem damaligen Ministerium für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie vom 5. Februar 2010, die direkt an die Hochschulen im ganzen Land gegangen ist.
Der heutige Nebenerwerbswissenschaftsminister Pinkwart – damals noch im Haupterwerb – hat seinerzeit klargestellt, meine Damen und Herren, dass Anwesenheitspflichten einen klaren Eingriff in die Studierfreiheit darstellen.
Wenn Sie noch mehr juristische Ausarbeitungen benötigen, dann schauen Sie in die Gesetzesbegründung zum Hochschulzukunftsgesetz, wie es der Kollege Sträßer gerade getan hat.
(Beifall von den GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn das Gutachten einer Universität, die Rechtsauffassung eines FDP-Wissenschaftsministers und das durch den Landtag beschlossene Gesetz für Sie nicht ausreichen, um die rechtliche Situation zu belegen, die mehrfach und über Jahre mit Eindeutigkeit dargelegt wurde, frage ich mich wirklich, worauf Sie dann warten. Warten Sie auf eine päpstliche Enzyklika, oder worauf warten Sie?
(Beifall von den GRÜNEN)
Dieser Anwesenheitszwang, den Sie ausweiten wollen, bedeutet weniger Freiheit für die Studierenden, und er bedeutet mehr Bürokratie für die Hochschulen. Das alles, liebe Kolleginnen und Kollegen, macht der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in seinem Urteil klar. Anwesenheitspflichten sind ein Eingriff in die grundgesetzlich geschützte Berufsfreiheit der Studierenden. Ihre Festlegung und Ausgestaltung müssen verhältnismäßig sein. Sie können nicht nach Belieben erfolgen, sondern brauchen einen eindeutigen und nachvollziehbaren rechtlichen Rahmen.
Wenn in Zukunft eine Regelung auf Landesebene nicht mehr besteht, dann muss jede Hochschule für sich in ihren Prüfungsordnungen für Klarheit sorgen, was letzten Endes dazu führt, dass es an allen Hochschulen fast gleichlautende Regelungen geben muss, um diese Rechtsklarheit darzustellen. Das wird einen gigantischen bürokratischen Aufwand nach sich ziehen. Da wird nichts entfesselt, da wird nur noch verknotet.
(Beifall von den GRÜNEN)
Herr Kollege Sträßer, Herr Kollege Dr. Berger hat in der Ausschussdebatte von der Sinnhaftigkeit gesprochen, davon, dass man sich mit Professoren darüber unterhält, eine Regelung komplett zu kippen und eine andere Regelung zu finden. In dem Wortbeitrag des Kollegen fehlten jedoch die entscheidenden Worte, nämlich Rechtsprechung, Rechtssicherheit, Grund-rechte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ausschussdebatte ist nicht umsonst so ausgegangen, wie sie ausgegangen ist. Sie können ja bis heute nicht die konkrete Regelungslücke benennen. CDU und FDP wollen Freiheit für die Militärforschung, für die Wirtschaft, für die Rektorate, für Professoren, für alles Mögliche, aber eben nicht für die Studierenden.
(Beifall von den GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, Freiheit an Hochschulen muss auch für Studierende gelten. Jede Studentin, jeder Student hat eigene Lernstrategien, hat auch private Verpflichtungen neben dem Studium. Wir wollen die Studierfreiheit bewahren und Studierende selbst entscheiden lassen, wie sie ihr Ziel erreichen. Uns liegt bei der Hochschulfreiheit auch die Freiheit der Studierenden sehr am Herzen, und daher bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)