Schulen in NRW im Kampf gegen Cybergewalt unterstützen

Antrag der Fraktion von Bündnis 90/DIE GRÜNEN

I.  Ausgangslage

Der Umgang mit Smartphones ist immer mehr eine Selbstverständlichkeit, das trifft auch auf Kinder und Jugendliche zu. So verfügen nach der JIM-Studie 2017 schon 92% aller 12-13- Jährigen über ein Smartphone, ab 14 Jahren sind es 98-99%. Und dabei ist es das digitale Medium, das von Jugendlichen am stärksten genutzt wird. Es ist für Jugendliche mit Abstand der wichtigste Zugang zum Internet (81%), das liebste Internetangebot ist für sie YouTube, die wichtigste App ist WhatsApp, was von 94% der Jugendlichen genutzt wird. Die Zahlen für Snapchat und Instagram steigen.
Die Bitkom-Studie „Jung und vernetzt“ von 2014 ergab, dass Schülerinnen und Schüler ihr Smartphone am häufigsten zum Konsum von Musik, dann zum Fotografieren und dann für Kommunikation nutzen. Kurznachrichten sind für Jugendliche demnach der wichtigste Kommunikationskanal, noch vor persönlichen Gesprächen und sie haben das Chatten am Computer abgelöst.
Schon bei den 6-13-Jährigen sind die gleichen Entwicklungen zu beobachten: Die Smart- phone-Verfügbarkeit steigt, 42% nutzen das Smartphone (fast) täglich laut der KIM-Studie 2016. Auch in dieser Altersgruppe kommt WhatsApp nach den Suchmaschinen an erster Stelle. 69% versenden mehrmals in der Woche Nachrichten.
Die Nutzung des Smartphones ist allgegenwärtig und nicht auf Orte und Umstände beschränkt. Familie, Freundeskreis und Schule gehören selbstverständlich dazu. Das gilt auch trotz mancher Handyverbote, wie die oben zitierte Bitkom-Studie ergab.
Soziale Medien und das Internet bieten großartige Möglichkeiten der Kontaktaufnahme, des Aufbaus und Ausbaus von Freundschaften, des Austausch und Dialogs. Aber es gibt auch eine andere bedenkenswerte Seite. Über Messenger-Dienste und soziale Medien wird auch verunglimpft, diskriminiert, beschimpft, gedemütigt und gemobbt: Hämische, verletzende Kommentare, Fake News, das Einstellen kompromittierender, die Persönlichkeitsrechte verletzender Bilder und Filme sind die bekanntesten Formen des Mobbings unter Zuhilfenahme digitaler Medien.
Laut JIM-Studie 2017 gibt jeder fünfte Jugendliche an, dass schon einmal falsche oder beleidigende Inhalte über seine Person im Netz verbreitet wurden. Zwei Fünftel aller Jugendlichen kennen Fälle, wo eine Person im Netz „fertig gemacht“ wurde. 8% haben das selbst erlebt, schon bei den 12-13-Jährigen sind es 7%. Das ist umso erschreckender, wenn die Befunde mit den Zahlen bei den erwachsenen Internetusern verglichen werden, denn hier haben es laut Cyberlife Studie 2014 7% selber erlebt und 20% beobachtet.
Die Cyberpsychologin Dr. Catharina Katzer konstatiert: „Hassgruppen oder die Veröffentlichung beleidigender Fotos und Videos auf Facebook, Instagram, YouTube oder über WhatsApp werden immer zahlreicher. Auch läuft Cybermobbing nur noch selten über den Computer, stattdessen werden immer öfter Smartphones zur „Smart Weapon“, zur digitalen Waffe. Und die Auswirkungen können dramatisch sein, jeder fünfte jugendliche Betroffene hat Suizidgedanken.“
Wichtig sind hier Hilfen für Kinder und Jugendliche, aber auch Beratung für Eltern, Lehrkräfte und andere an Schule und Jugendhilfe Beteiligten. Für Betroffene von Cybermobbing sind geschlechtersensible Hilfsangebote wichtig, an die sie sich auch anonym wenden können.

Prävention – Sensibilisierung – Unterstützung

Das Land hat mit der Einrichtung einer Landesstelle für Gewaltprävention und Prävention von Cybergewalt an Schulen NRW reagiert. Die Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz NRW hat eine Handreichung „Cyber-Mobbing begegnen“ herausgegeben. Mitglieder des Y- outh-Panels der EU-Initiative „klicksafe“ haben eine App von Jugendlichen für Jugendliche entwickelt mit wertvollen Tipps, um sich zu wehren. Ein 13-Jahre alter Schüler aus Schwerte hat die „Cybermobbing Hilfe“ gegründet und bietet online Hilfe an.
All diese Initiativen sind zu begrüßen. Das Bewusstsein für das Thema wächst. Laut BitkomStudie beobachten mittlerweile 60% der Jugendlichen, was im Netz über sie sichtbar ist und verbreitet wird. In einer Befragung Heranwachsender und deren Eltern zum Umgang mit onlinebezogenen Risiken (Jugendmedienschutzindex 2017) gaben aber nur 29% der Eltern an, dass sie Stellen kennen, bei denen sie oder deren Kinder Hilfe bekommen könnten, wenn das Kind mit belastendem Material konfrontiert wird. Heranwachsende wenden sich zunächst an Eltern, Freundinnen und Freunde sowie an Lehrkräfte. Beratungsstellen sind eher unbekannt. Als Fazit stellt die FSM (Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter) als Auftraggeberin der Studie fest: „Aus medienpolitischer Sicht scheint es dringend angeraten, über die vor allem kommunikative Unterstützung bei der Bekanntmachung der Serviceleistungen der Hotlines nachzudenken. Nimmt der Gesetzgeber die selbst aufgestellten Anforderungen für Einrichtungen der freiwilligen Selbstkontrolle ernst und sieht er diese Stellen als systemrelevante Einrichtungen bei der Verbesserung des Jugendmedienschutzes, sollten auch staatliche Akteure bei der Verbesserung des Bekanntheitsgrades helfen.“
Notwendig ist eine Einbettung der vorhandenen Angebote in ein umfassendes Präventionsmanagement gegen Cybermobbing.
Für die Schülerinnen und Schüler ist eine altersgerechte und geschlechtersensible Medienerziehung von Anfang an erforderlich. Mit dem Medienpass haben wir in NRW ein bundesweit anerkanntes Instrument, das vielfältig und altersgerecht die Kompetenzfelder beschreibt. Das Stichwort Cybermobbing erscheint hier in der Stufe der Klassen 5 und 6 bei der Teilkompetenz 3.
Die Kultusministerkonferenz hat im Dezember 2016 ihre Strategie „Bildung in der digitalen Welt“ verabschiedet und darin festgestellt: „Da die Digitalisierung auch außerhalb der Schule alle Lebensbereiche und – in unterschiedlicher Intensität – alle Altersstufen umfasst, sollte das Lernen mit und über digitale Medien und Werkzeuge bereits in den Schulen der Primarstufe beginnen. Durch eine pädagogische Begleitung der Kinder und Jugendlichen können sich frühzeitig Kompetenzen entwickeln, die eine kritische Reflektion in Bezug auf den Umgang mit Medien und über die digitale Welt ermöglichen.“ Angesichts der oben geschilderten Bedeutung und Nutzung von Smartphones schon in der Primarstufe scheint eine Ergänzung der Kompetenzfelder des Medienpasses für die Stufe 2 Grundschule um Cybergewalt erforderlich.
In der Lehrerausbildung wie in der Fortbildung sollen die Aspekte Cybermobbing, Cybergrooming, Cybergewalt und Cybersexismus behandelt werden. Fortbildungsangebote sollen aber darüber hinaus auch andere Beteiligte erreichen: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der schulpsychologischen Beratung, der Sozialarbeit an Schulen, der Jugendhilfe, sowie die Vertretungen der Schülerinnen und Schüler und Eltern.
Eine besondere Verantwortung kommt den Schulleitungen zu, denn Mobbing unter Schülerinnen und Schülern ist ein Thema der Schulkultur und des Schullebens auch dann, wenn es in der Freizeit passiert. Gleiches gilt selbstverständlich auch für Mobbing gegenüber Lehrkräften. Schulleitungen brauchen deshalb eine besondere Unterstützung. Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Eltern sollten an jeder Schule verlässliche Ansprechpartnerinnen und -partner finden, die Situationen rechtlich einordnen und ggf. auch Hilfen weitervermitteln, dies können z.B. die Schulsozialarbeiterinnen oder –arbeiter sein. In diesem Zusammenhang können auch Medienscouts an Schulen präventiv wirken, wie beim Projekt der Landesanstalt für Medien lfm, bei denen Schülerinnen und Schüler andere informieren und unterstützen in sogenannter peer-to-peer-education.

Cybermobbing ist kein Kavaliersdelikt

Der Landesarbeitskreis Jugendhilfe, Polizei, Schule (LAK NRW) sollte verstärkt in die Fortbildungsarbeit eingebunden werden. Es ist wichtig, den Opfern von Cybergewalt zu signalisieren, dass Straftaten verfolgt und Opfer geschützt werden. Genauso wichtig ist es, Kinder und Jugendliche dafür zu sensibilisieren, dass auch unbedachte Äußerungen und Weiterleitungen Konsequenzen haben können.
Anbieter von social media sollten in die Mitverantwortung genommen werden können, indem sie einen „Notfallbutton“ einführen, der von Nutzerinnen und Nutzern gedrückt werden kann, wenn sie sich Mobbing auf der Seite ausgesetzt sehen, mit dem sie solche Inhalte melden können und auf Hilfsangebote weitergeleitet werden.

II.  Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

  • das Thema Cybergewalt bei der Weiterentwicklung der Lehrerausbildung zu berücksichtigen,
  • das Thema Cybergewalt systematisch in den Fortbildungsangeboten für Lehrkräfte, weiteren Fachkräften an Schulen und der Polizei zu verankern,
  • bei der Weiterentwicklung des Medienpasses NRW das Thema Cybergewalt auch bei den Kompetenzfeldern der Stufe Grundschule zu berücksichtigen,
  • Schulleitungen zu unterstützen, Ansprechpartnerinnen und -partner für Lehrkräfte, Eltern, Schülerinnen und Schuler zum Thema Cybergewalt zu finden,
  • Kooperationen von Schulen und Polizei sowie Fachberatungsstellen zu diesem Themenfeld anzuregen und zu unterstützen,
  • zu prüfen, wie Anbieter von social media in die Mitverantwortung genommen werden können, indem sie einen „Notfallbutton“ einführen.