Josefine Paul: „Klar ist, dass das Wohl des Kindes in der Debatte immer im Mittelpunkt stehen muss“

Antrag der Fraktion der SPD zur Kinderbetreuung

Portrait Josefine Paul

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Josefine Paul (GRÜNE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Hafke, es sei Ihnen gegönnt, auch noch vielleicht für einen, zwei oder drei Monate, dass Sie sich in jeder Rede erst einmal daran abarbeiten, was für einen Scherbenhaufen Sie vorgefunden haben. Aber lassen Sie sich auch gesagt sein: Das wird nicht dauerhaft funktionieren. Irgendwann werden Sie den vollmundigen Ankündigungen auch tatsächliche Konzepte folgen lassen müssen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist sozusagen die familienpolitische Gretchenfrage, auch wenn sich Herr Hafke dazu mehrheitlich nicht auslassen wollte, weil er weiterhin bei der Geschichtsaufarbeitung ist. Aber irgendwann werden wir vielleicht zur Sacharbeit zurückkehren; denn das sind wir, meine ich, den Familien in Nordrhein-Westfalen tatsächlich auch schuldig.
Natürlich stehen wir vor der Herausforderung, dass familiäre Bedarfe und wettbewerbsorientierte Arbeitsstrukturen zuweilen in einem Spannungsverhältnis stehen. Es ist Aufgabe einer modernen Familienpolitik, dort das ausgleichende Maß zu finden. Klar ist doch auch – Herr Hafke, ich hoffe, da sind wir uns einig, trotz aller einschränkender Tatbestände, die Sie gerade aufgeführt haben –, dass die Arbeitswelt familiengerechter wer-den muss und nicht die Familien arbeitsweltkonform.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von der SPD: Bravo!)
Unternehmen, aber auch öffentliche Institutionen sollten über Familienkonstellationen informiert sein. Sie sollten anerkennen, dass familiäre Aufgaben genauso wichtig sind wie die beruflichen, und sie sollten zeitliche Strukturen des Familienlebens kennen. Dann ist es nämlich auch in Schichtarbeit möglich, bestimmte individuelle Vereinbarungen miteinander zu treffen – soweit zumindest diejenigen Studien, die sich mit moderner Familienpolitik und dem Dreiklang aus Zeit, Geld und Infrastruktur befassen.
Wir müssen eine Familienpolitik – gemeinsam, hoffe ich – auf den Weg bringen, die sich genau an diesem Dreiklang orientiert: Zeit, Geld und selbstverständlich Infrastruktur. Wir brauchen Zeit für Familien. Wir brauchen ein wirtschaftlich existenzsicherndes Einkommen, damit die Familien die wirtschaftlichen Grundlagen haben, und wir brauchen ein Angebot an einer bedarfsorientierten Infrastruktur. Und die Bedarfsorientierung richtet sich nach den Bedarfen der Familien und der Kinder und eben nicht nach den Bedarfen von Unternehmen. Das muss auch klar sein.
(Beifall von der SPD)
Dieser Dreiklang ist nicht nur eine Frage für eine familiengerechte Gesellschaft, sondern er ist auch eine zentrale Frage, wenn wir über eine geschlechtergerechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf sprechen. Die derzeitigen Betreuungsmodelle vermögen eben nicht diese bedarfsorientierte Infrastruktur abzubilden. Starre Buchungszeiten – Kollege Maelzer hat darauf hingewiesen –, aber auch Öffnungszeiten der Kitas entsprechen oftmals eben nicht den realen Bedarfen der Kinder und vor allem der Familien.
Ich möchte aber auch sagen: Flexibilisierung – auch wenn wir das jetzt natürlich ein Stück weit mit forcieren wollen und auch gern an Ihrer Seite stehen, wenn es um vernünftige Konzepte geht – darf kein Selbstzweck sein. Es darf auch nicht rein um die Verfügbarkeit elterlicher Arbeitskraft für den Job gehen.
Aber eine Bedarfsanalyse ist doch durchaus sinnvoll, damit das Mantra von der Flexibilisierung überdacht wird. Herr Hafke und Herr Tigges, Sie haben im Moment auch nichts anders vorgetragen als zu sagen: Ja, wir brauchen Flexibilisierung, Flexibilisierung hier und Flexibilisierung da. Wir brauchen aber auch eine stichhaltige Grundlage.
Herr Hafke, ich bin doch ganz bei Ihnen, wenn Sie sagen, dass das auch Teil kommunaler Jugendhilfeplanung sein muss. Da sind wir doch gar nicht auseinander. Warum also bleiben wir an der Stelle in diesen Schützengräben und der Geschichtsaufarbeitung hängen, statt uns vernünftiger, moderner Familienpolitik zu widmen?
Klar ist, dass das Wohl des Kindes in der Debatte immer im Mittelpunkt stehen muss. Klar ist auch: Das Prinzip „Neun Stunden sind genug“ ist handlungsleitend für unsere Politik.
Um dem Anspruch der frühkindlichen Bildung gerecht zu werden, müssen wir uns auch darauf verständigen, dass es eine bestimmte Kernzeit gibt, in der die Kinder in der Kita sind. Sonst kann Kita den Anspruch frühkindlicher Bildung nicht einlösen. Die Unterstützung in Randzeiten vor allem für Eltern in atypischen Beschäftigungsverhältnissen, aber speziell auch für Alleinerziehende, können helfen – natürlich.
Es geht hier vor allem darum, Familien zu helfen, existenzsichernde Beschäftigung zu haben, die sie mit Kindern vereinbaren können. Aber wir dürfen nicht die Vereinbarkeit von Familie und existenzsichernder oder prekärer Beschäftigung mit erschwerter Vereinbarkeit der Berufstätigkeit von Erzieherinnen und Erziehern mit ihren Familien bezahlen.
Längere Öffnungszeiten in Kitas – Herr Hafke, Sie haben es gesagt, und ich hoffe, Sie werden es bei Ihrem Gesetz auch berücksichtigen – bedeutet mehr Personal. Das ist sehr richtig, und das brauchen wir dringend im System.
Zur Frage ergänzender Kinderbetreuung: Das Modellprojekt vom Verband alleinerziehender Mütter und Väter „Sonne, Mond und Sterne“ ist angesprochen worden. Das ist eine sinnvolle Ergänzung. Es kann aber nur dann eine sinnvolle Ergänzung sein, wenn es auch sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse beinhaltet und eben nicht Ehrenamtlichkeit und Arbeit über Übungsleiterpauschalen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
Josefine Paul (GRÜNE): Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein neues Gesetz muss den Betreuungsbedarfen von Eltern Rechnung tragen und vor allem das Wohl des Kindes im Blick haben.
Ich will noch einmal sagen: Die Flexibilisierung ist in Ihrem Modell Stufe 4. Dann machen Sie eine Vorstufe 4.
Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit!
Josefine Paul (GRÜNE): Ich habe es im Ausschuss schon mehrfach erwähnt: Wir müssen diese Stufen, die Sie aufgerufen haben, gleichzeitig zünden. Denn sonst werden wir nur ein Stückwerk haben, von dem die Kinder und die Eltern in Nordrhein-Westfalen nichts haben. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN)

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