Wer Chancengleichheit will, muss auch gleiche Voraussetzungen schaffen

Josefine Paul zur Kinder-, Familien- und Jugendpolitik der Landesregierung

Portrait Josefine Paul
Die neue schwarz-gelbe Landesregierung macht Chancengleichheit zum Ausgangspunkt ihrer Kinder-, Jugend- und Familienpolitik. Das ist gut. Doch bislang fehlt eine koordinierte Strategie gegen Kinderarmut, ohne die die Landesregierung ihre Ziele verfehlen wird.

Die Kinderarmut in Deutschland steigt. Fast jedes fünfte Kind lebt in Armut oder ist von Armut bedroht. Kinder von Alleinerziehenden sind sogar fast zur Hälfte von Armut betroffen. Diese traurige Bilanz gilt auch in NRW. Von Armut betroffene Kinder haben deutlich schlechtere Bildungs- und Zukunftschancen als ihre Altersgenoss*innen. Deswegen müsste für echte Chancengleichheit unter Kindern und Jugendlichen vor allem der Kampf gegen Kinderarmut vorangetrieben werden. Von einer koordinierten Strategie der neuen Landesregierung gegen Armut ist allerdings bislang nichts zu hören.
Kita-Rettungspaket kann nur ein erster Schritt sein
Die neue Landesregierung stellt den Kitas für die nächsten zwei Jahre 500 Millionen Euro zur Verfügung. Das ist nötig, denn die finanzielle Situation der Kitas ist angespannt. Nicht zuletzt ist das noch immer eine Hinterlassenschaft der Rüttgers-Regierung und ihres Kita-Ministers Armin Laschet, dessen Kinderbildungsgesetz trotz mehrerer Reformen mangelhaft bleibt. Mit dem kurzfristigen Rettungspaket verschafft die neue Landesregierung sich Zeit. Die Kitas im Land erwarten genau wie wir GRÜNE, dass Minister Stamp aber schnellstmöglich ein tragfähiges und finanziell abgesichertes Kita-Gesetz zu entwerfen. Ein neues Gesetz muss die Kita-Landschaft stabilisieren, Qualität garantieren und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sicherstellen.
Wer Kinderarmut wirksam bekämpfen will, muss Ungleiches ungleich behandeln.  Chancengleichheit entsteht da, wo bestehende Nachteile erkannt und aufgefangen werden. Der Elementarbildung kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Deshalb hat die ehemalige rot-grüne Landesregierung denen, die mehr Förderung benötigen, auch mehr Mittel zur Verfügung gestellt. Diese plusKita-Einrichtungen sind ein Erfolgskonzept, die Abschaffung des Sprachtests Delfin 4 und die Einführung der integrierten Sprachbildung ist richtig. Die Kinder mit besonderem Bedarf erlangen dadurch mehr Förderung. Wir haben Familienzentren vor allem in sozial benachteiligten Quartieren ausgebaut. Wir werden deswegen genau hinsehen, ob Schwarz-Gelb diese wichtige Schwerpunktförderung fortsetzt oder das Geld künftig mit der Gießkanne verteilt.
Prävention und Beteiligung stärken
Erfreut haben wir der „Kleinen Regierungserklärung“ von Minister Stamp entnommen, dass die Initiative „Kein Kind zurück lassen“ nicht eingestellt wird. Im Wahlkampf hatten CDU und FDP getönt, das Projekt sei wirkungslos. Die Entscheidung, KeKiZ bis 2018 fortzuführen und anschließend eine Ausweitung der Präventionsketten zu beraten, ist eine gute Nachricht für die Kinder in NRW. Wir GRÜNE wollen weiter gehen und fordern ein Präventionsgesetz.
Im vergangenen Jahr scheiterte eine Absenkung des Wahlalters bei Landtagswahlen auf 16 Jahre am massiven Widerstand von CDU und FDP. Wir werden eine Absenkung weiterhin fordern, denn Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Beteiligung. Die Ankündigung der neuen Landesregierung, ein Landesjugendparlament gründen zu wollen, werden wir kritisch begleiten. Wir wollen echte Jugendbeteiligung und kein Gremium, in dem Jugendliche Politik spielen dürfen ohne tatsächliche Einflussmöglichkeit. Kinder und Jugendliche sind Expert*innen in eigener Sache und müssen als solche ernst genommen werden. Ein Jugendparlament kann eine Ergänzung sein, aber wir GRÜNE halten fest an unserer Forderung nach einem Jugendcheck für Gesetzesinitiativen.
Vereinbarkeit von Familie und Beruf bleibt vage
Die verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ein beliebtes Wahlkampfthema. Konkrete Maßnahmen bleibt der Minister bislang schuldig. Stattdessen macht sich die neue Regierungsmehrheit mit Feuereifer daran, die Frauenquote zu streichen. Die wolkigen Ankündigungen von Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf und zum Abbau der Benachteiligung bei Teilzeit sind bislang allenfalls vage.
Die Landesregierung muss schnell liefern, will sie sich nicht dem Verdacht aussetzen, die schnelle Abschaffung der Quotenregelung sei ein Wahlkampfmanöver vor der Bundestagswahl gewesen, dem kein konkreter Plan zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Karriere folgt – ganz zu schweigen von konkreten und vor allem wirksamen Maßnahmen zur Frauenförderung, die bisher keine Rolle spielt. Frauenförderung ist mehr als die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Aber ohne eine wirksame Frauenförderung werden alle Maßnahmen zur verbesserten Vereinbarkeit ins Leere laufen.