Die soziale Wirklichkeit der Familienmodelle endlich anerkennen – Regenbogenfamilien rechtlich gleichstellen!

Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Am 30. Juni 2017 wurde mit dem Bundestagsbeschluss, die Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare zu öffnen, ein entscheidender Meilenstein in der Gleichstellung homosexueller Paare in Deutschland erreicht. Das Gesetz zur „Ehe für Alle“ ist ein wichtiger Beitrag für die Achtung der Menschenrechte in der Bundesrepublik unabhängig von ihrer sexuellen und/oder geschlechtlichen Identität. Das Eheverbot für Lesben und Schwule war nicht rational, sondern Ausdruck von Homophobie und Diskriminierung, die den Werten unserer vielfältigen Gesellschaft, in der die Achtung der Menschenrechte ein hohes Gut ist, nicht entsprach.
Nach jahrzehntelangen unermüdlichen Einsatz der LSBTTI*-Community   ist heute sichergestellt, dass die jahrzehntelange Diskriminierung von homosexuellen Paaren deutlich eingedämmt wird. Ihre Liebe und die Verantwortung, die sie füreinander übernehmen, wird somit endlich auch durch den Gesetzgeber als gleich in Rechten anerkannt.
Die Öffnung der Ehe allein, löst jedoch nicht alle Benachteiligungen mit denen sich LSBTTI*-Paare auch in NRW konfrontiert sehen. Besonders muss an dieser Stelle das deutsche Familien- und Abstammungsrecht angeführt werden. Längst ist es Zeit dieses umfasst zu reformieren und sich der sozialen Wirklichkeit in Deutschland, mit all ihren vielfältigen Familienformen, anzunehmen. Durch die Öffnung der Ehe wird insbesondere deutlich, dass das Familienrecht auch so geregelt werden muss, dass homosexuelle Paare mit Kindern Rechtssicherheit in unserer Gesellschaft erfahren und in ihrer Familiengründung durch die bisherigen Reglung nicht länger diskriminiert werden. Eine moderne Familienpolitik muss alle Familien gleichermaßen fördern, unabhängig vom Familienstand oder der sexuellen Identitäten ihrer Mitglieder. Doch vielfach erfahren Regenbogenfamilien auch heute noch strukturelle Diskriminierung in Behörden und von Seiten öffentlicher Institutionen. Ob der Familienrabatt im Museum oder Formulare und Anträge in öffentlichen Einrichtungen, häufig wird immer noch von der Familienform „Vater-Mutter-Kind“ ausgegangen. Dies stellt alle Mitglieder von Regenbogenfamilien vor eine große psychische Belastung. Viele betrachten die eigene Unichtbarkeit als Familienform als negatives gesellschaftspolitisches Signal. Umso wichtiger ist die Stärkung der unterstützenden Struktur der LSBTTI*-Selbstorganisation für Regenbogenfamilien. Gleichzeitig muss es sich das Land NRW zur Aufgabe machen, die Fachkräfte in allen öffentlichen Institutionen zu informieren und qualifizieren, die mit Familien in engem Kontakt stehen. Dies gilt nicht nur für die pädagogischen Kräfte in Kindertageseinrichtungen und der Schule, sondern auch für Beschäftige im öffentlichen Dienst, sowie für Vereine und Verbände.
Das Familienrecht muss endlich reformiert werden!
In Deutschland leben derzeit 68.268 Personen in eingetragenen Lebenspartnerschaften, etwas 9% aller gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften leben mit einem oder mehreren Kindern im Haushalt. Regenbogenfamilien, also Familien mit homosexuellen Eltern, sind dabei so vielfältig, wie alle anderen Familienkonstellationen in unserer Gesellschaft auch. Ein Teil der Kinder in Regenbogenfamilien wird heute in diese hineingeboren. In anderen Fällen werden Kinder aus vorherigen (auch heterosexuellen) Beziehungen in die neue Partnerschaft hineingebracht. Einige Kinder finden auch als Adoptiv- oder Pflegekinder bei einem LSBTTI*Paar ein Zuhause.
In den meisten Fällen werden Kinder in lesbische Beziehungen hineingeboren. Auch der leibliche Vater kann Teil einer Familienkonstellation sein, in die ein Kind hineingeboren wird. Ihre homosexuellen Eltern haben sich entsprechend sehr bewusst dazu entschieden, gemeinsam ein Kind zu bekommen, es zusammen aufzuziehen und in seiner Entwicklung bestmöglich zu unterstützen. Nichts desto trotz wird insbesondere den sozialen, homosexuellen Eltern nicht dasselbe Verfahren bei einer Anerkennung als Elternteil des Kindes zugebilligt wie einem sozialen, heterosexuellen Elternteil, wenn die Eltern verheiratet sind. In heterosexuellen Ehen ist die/der Ehepartner*in ohne weiteres Verfahren als Elternteil des Kindes anerkannt. In Regenbogenfamilien ist das Verfahren anders. Die sozialen Eltern erlangen ihre rechtliche Elternstellung nicht mit der Geburt des Kindes, sondern erst durch das langwierige Verfahren der sog. Stiefkindadoption. Die „Stiefkindadoption“ bildet aber nicht die soziale Realität von Regenbogenfamilien ab, in die ein Kind hineingeboren wird. Vielmehr findet dieses Verfahren Anwendung, wenn ein Kind, das aus einer vorherigen Beziehung in die neue Partnerschaft hingebracht wird, von dem oder der nicht-leiblichen Partnerin oder Partner adoptiert wird. Viele homosexuelle Paare betrachten es als entwürdigend, die Verantwortungsübernahmen für ihr Wunschkind vor Behörden noch einmal nachweisen zu müssen. Die mit der Stiefkindadoption verbundene Adoptionspflegezeit ist nicht nur zermürbend für gleichgeschlechtliche Eltern, die sich gemeinsam für ein Kind entschieden haben, sie schafft auch rechtliche Unsicherheit für das Kind. In der Zeit von der Geburt bis zur vollendeten Adoption hat das Kind rechtlich nur einen Elternteil, obwohl das Kind in eine bestehende Beziehung hineingeboren wurde.
Moderne Familienformen erfordern ein modernes Abstammungsrecht
Dass die modernen Familienkonstellationen und Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin nach neuen rechtlichen Regelungen verlangen, hat inzwischen auch das Bundesjustizministerium erkannt und eine Arbeitskreis „Abstammungsrecht" eingesetzt, dessen Abschlussbericht seit kurzem vorliegt. Einige der vorgeschlagenen Maßnahmen sind dabei vor allem auch für Regenbogenfamilien von maßgeblichem Interesse. Im Sinne des Wohles der Kinder, die in Regenbogenfamilien aufwachsen, sollte das Land die Reform des Abstammungsrechts konstruktiv begleiten.
Kinderwunschbehandlung bei lesbischen Paaren
Eine noch nicht beseitigte Ungleichbehandlung ergibt sich auch in der rechtlichen Möglichkeit und politischen Unterstützung von Kinderwunschbehandlungen. In NRW werden für jede Frau die in einer heterosexuellen Ehe lebt, die Kosten für insgesamt 3 Kinderwunschbehandlungen teilweise übernommen. Dabei werden entsprechend § 27a SGB V 50% der Kosten von der Krankenkassen übernommen. Grundsätzlich regeln die Berufsordnungen und Richtlinien der Landesärztekammern, unter welchen Voraussetzungen Ärztinnen und Ärzte  eine künstliche Befruchtung durchführen dürfen. In der Berufsordnungen der Landesärztekammern Nordrhein und Westfalen-Lippe wird die Kinderwunschbehandlung bei Lebenspartnerinnen mit Fremdsamen nicht erwähnt. Entsprechend ist die Mitwirkung von Kinderwunschbehandlungen bei lesbischen Paaren in NRW berufsrechtlich nicht verboten. Gleichwohl führt diese Nichtnennung innerhalb der Ärzteschaft häufig zu einer Unsicherheit, die sich mit entsprechend klarer Ansprache in der Berufsordnung leicht verhindern ließe.
Der Landtag fordert die Landesregierung auf,
sich im Bundesrat dafür einzusetzen, dass Frauen in lesbischen Ehen  heterosexuellen Ehen gleichgestellt werden und abstammungsrechtlich beide  von der Geburt des Kindes an rechtliche Eltern sind, sofern das Kind in die bestehende Ehe hineingeboren wird.
sich dafür einzusetzen, dass die beiden Landesärztekammern Nordrhein und Westfalen-Lippe die Möglichkeit der Kinderwunschbehandlung von lesbischen Paaren mit Fremdsamen in ihren Berufsordnungen klar benennen und die Ärzteschaft in NRW umfangreich über den rechtlichen Rahmen informieren.
daraufhin zu wirken, dass in allen durch das Land NRW bereitgestellten Anträge, Formulare und Merkblätter Regenbogenfamilien berücksichtigt werden.
eine „Landeskoordinationsstelle Regenbogenfamilien“ zu schaffen, die nicht nur Regenbogenfamilien als Anlaufstelle dient und bestehende Strukturen vor Ort unterstützt und vernetzt, sondern allgemeine Informationen zur gesamten Thematik „Regenbogenfamilien“ bereitstellt sowie Qualifizierung, Fort- und Weiterbildung von Behörden und Familienberatungsstellen durchführt.
die Landesjugendämter dazu zu veranlassen, eine spezifische Handreichung für die Jugendämter in NRW zu entwickeln, mit dem Ziel über Neuerungen im Zuge der Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare zu informieren.
die Adoptionspflegezeit bei „Stiefkindadoptionen“, in denen das Kind in eine bestehende Beziehung hineingeboren wird, deutlich zu verkürzen, bis die geplante Reform des Abstammungsrechts auf Bundesebene eine vollständige Gleichstellung homosexueller Eltern in der Frage der Adoption sicherstellt.
dass die vielfältigen Familienformen in der Aus-, Fort-, und Weiterbildung von pädagogischen Fachkräften, Lehrkräften sowie von Fachkräften in der  Familienberatung  Berücksichtigung finden.
die Beschlussempfehlung der Enquetekommission zur Zukunft der Familienpolitik in Nordrhein-Westfalen umzusetzen und eine Bundesratsinitiative zu initiieren, welche eine moderne Regelung zur kompletten Kostenübernahme für die ersten drei Versuche der Kinderwunschbehandlung durch die Krankenkassen herbeiführen soll. Solange dies nicht der Fall ist, soll das Land NRW sich am Förderprogramm des Bundes beteiligen, welches auch gleichgeschlechtlichen Paaren offen stehen muss.