10-Punkte-Plan gegen Rechtsextremismus und Rassismus in den Sicherheitsbehörden

Positionspapier

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022

Der weit überwiegende Anteil der Beschäftigten in Polizei und Verfassungsschutz vertritt demokratische Werte und steht hinter unserer Verfassung. Die bekanntgewordenen rechten Verdachtsfälle müssen konsequent aufgeklärt und Maßnahmen ergriffen werden, um Fehlentwicklungen frühzeitig entgegenzutreten. In den Sicherheitsbehörden können Rechtsextremismus, Rassismus und andere Ungleichwertigkeitsvorstellungen nicht geduldet werden.

Die Polizei hat als Trägerin des staatlichen Gewaltmonopols eine besondere Stellung in unserer Gesellschaft. Alle Menschen – unabhängig von Hautfarbe, Religion, Migrationsgeschichte, Geschlecht oder sexueller Identität – müssen darauf vertrauen können, dass die Polizei sie schützt und nicht diskriminiert.

Der Verfassungsschutz soll u. a. rechtsextreme Entwicklungen beobachten und vor ihren Gefahren warnen. Das kann er nur glaubwürdig tun, wenn er selbst die Werte unseres Grundgesetzes verinnerlicht hat und lebt.

1. Durchführung einer Studie zu Einstellungen in den Sicherheitsbehörden

Wir brauchen dringend eine aktuelle Studie zu rassistischen und menschenverachtenden Einstellungen bzw. rechtsextremen Haltungen in der Polizei NRW und im Verfassungsschutz NRW. Diese Studie soll als Bestandsaufnahme dienen und untersuchen, woher diese Einstellungen kommen und ob sie in bestimmten Arbeitsbereichen gegebenenfalls gehäuft auftauchen. Zudem soll untersucht werden, welche Effekte diese Einstellungen auf die Polizeiarbeit, die Arbeit des Verfassungsschutzes und auf Betroffene von rassistischer Diskriminierung haben. Auf Grundlage der wissenschaftlichen Erkenntnisse sollen Vorschläge für (präventive) Gegenmaßnahmen erarbeitet werden.

2. Einrichtung einer Stelle einer/eines unabhängigen Polizeibeauftragten

Polizeibeamtinnen und -beamte müssen die Möglichkeit haben, auch anonym Hinweise auf rechtsextreme und rassistische Haltungen und Verhaltensweisen bei der Polizei NRW zu melden. Oft werden solche Hinweise aus Furcht vor negativen Konsequenzen nicht weitergegeben. Die Stelle einer/eines unabhängigen Polizeibeauftragten kann solche Hinweise entgegennehmen und die Aufklärung hierzu einleiten bzw. beratend zur Seite stehen. Gleichermaßen sollte die/der unabhängige Polizeibeauftragte auch für Bürgerinnen und Bürger ansprechbar sein. Dazu haben wir einen Gesetzentwurf (Drs. 17/6147) eingebracht. Dieser wurde im Juni diesen Jahres aber von der Mehrheit des Landtags abgelehnt.

3. Einrichtung einer Meldestelle für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes

Auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes müssen die Möglichkeit haben, anonym Hinweise zu melden oder sich Rat für den Umgang mit grenzwertigen Äußerungen einzuholen. Als Meldestelle bieten sich zwei Möglichkeiten an: Die Erweiterung des Aufgabenspektrums einer/eines unabhängigen Polizeibeauftragten, um die Ansprechfunktion für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, oder die/den Vorsitzenden der G10-Kommission als Ansprechperson für Hinweise aus dem Verfassungsschutz. Wichtig ist, dass beide Stellen am Landtag angesiedelt und damit vom Innenministerium unabhängig sind.

4. Gründung eines Beirats für den Sonderbeauftragten

Der Sonderbeauftrage für rechtsextreme Tendenzen in der Polizei NRW hat die wichtige Aufgabe, die Strukturen der Polizei zu analysieren und Handlungsoptionen gegen Rechtsextremismus und Rassismus in der Polizei zu entwickeln. Zur Erledigung dieser Aufgabe reicht die alleinige Innenperspektive einer Sicherheitsbehörde nicht aus. Auch reicht es nicht, nur punktuell externen Sachverstand hinzuzuziehen. Stattdessen braucht es eine kontinuierliche Beratung und kritische Reflexion mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, ressortübergreifender Fachpraxis und Zivilgesellschaft. Ein so besetzter Beirat kann wichtige Impulse für die Gestaltung der Untersuchung in den Polizeibehörden liefern und zu einer kritischen Reflexion zu Zwischenergebnissen und Ideen für Gegenmaßnahmen beitragen.

5. Erweiterung des Aufgabenspektrums der Extremismusbeauftragten in den Polizeibehörden

Seit etwa einem halben Jahr existieren in allen Polizeibehörden sogenannte Extremismusbeauftragte. Diese sollen Ansprechpartnerin bzw. Ansprechpartner für alle Beamtinnen und Beamten in den Behörden sein und Hinweise zu extremen Einstellungen oder Zugehörigkeit zu extremen Netzwerken entgegennehmen. Das bisherige Aufgabenspektrum greift jedoch zu kurz: Nicht erst wenn sich Einstellungen zu einem geschlossenen rechtsextremen Weltbild entwickelt haben, ist eine empfindliche Grenze für die Polizeiarbeit erreicht. Sondern auch rassistische, antisemitische, frauenfeindliche, homophobe und transfeindliche oder andere Einstellungen – ohne dass dahinter ein rechtsextremes Weltbild steht – sind bereits inakzeptabel. Die Extremismusbeauftragten müssen daher bereits bei Äußerungen und Handlungsweisen, die auf Ungleichwertigkeitsvorstellungen beruhen, ansprechbar sein sowie für diese Einstellungen in den Behörden sensibilisieren.

6. Antidiskriminierungsstelle für die Polizei auf Landesebene

Rassistische und rechtsextreme Einstellungen und Handlungsweisen bei Polizeibeamtinnen und -beamten können auch zu Diskriminierungen von Kolleginnen und Kollegen führen. Polizeibeamtinnen und -beamte, die selbst von einer Diskriminierung betroffen sind, müssen deshalb die Möglichkeit haben, sich an eine nicht weisungsgebundene Stelle zu wenden. Für eine so große und flächendeckende Behördenstruktur, wie die der Polizei NRW, ist die Einrichtung einer eigenen Antidiskriminierungsstelle auf Landesebene sinnvoll. Die Antidiskriminierungsstelle soll Beschwerden entgegennehmen, prüfen und rechtlich bewerten.

7. Einführen von Rotation in den Sicherheitsbehörden

Insbesondere die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Sicherheitsbehörden müssen sich in brenzligen Situationen aufeinander verlassen können. Deshalb ist es wichtig, dass sie sich gegenseitig gut kennen und vertrauen. Diese Bezugsgruppen und ein freundschaftliches Näheverhältnis dürfen aber nicht dazu führen, dass sich ein falsch verstandener Korpsgeist entwickelt und rechtsextreme, rassistische und menschenverachtende Äußerungen unwidersprochen bleiben. Rotation ist in besonders belasteten Bereichen ein gutes Mittel, um einerseits den Einzelnen vor Abstumpfung und Blickverengung zu bewahren, aber auch um andererseits dienstliche Bezugsgruppen aufzulockern. Bei der Einführung von Rotation (etwa alle 5 bis 8 Jahre) muss gewährleistet sein, dass Fachexpertise gewahrt bleibt.

8. Ausbau von Fortbildungsmaßnahmen

Die UMFELDER-Studie der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in NRW (FHöV – heute Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung, kurz HSPV) ergab, dass „fremdenfeindliche“ Haltungen zu Beginn des Studiums bei den befragten Kommissaranwärterinnen und -anwärtern in vergleichbarem Maße vorhanden waren, wie in ihrer Alters- und Bildungsgruppe in der Gesamtgesellschaft. Im Laufe des Studiums sanken diese Haltungen. Ein halbes Jahr nach Eintritt in den Polizeiberuf wurde ein erkennbarer, aber nicht-signifikanter Anstieg gemessen.

Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Polizeistudium mit seinen Elementen, wie der Menschenrechtsbildung sowie dem Grenzgang-Konzept, zu einer Verringerung von Vorurteilen führt. Daher muss der weitere Schwerpunkt weniger auf der Aus-, sondern vor allem auf der Fortbildung liegen.

Sowohl für Polizeibeamtinnen und -beamte als auch für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes muss es eine Verstärkung der Fortbildungsmaßnahmen zur weiteren Förderung der interkulturellen Kompetenz, zur Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Diskursen über Rassismus sowie zum Erkennen rassistischer Inhalte und rechtsextremer Symbolik geben.

9. Verankerung von Supervision

Die täglichen Erfahrungen in der Arbeit der Polizei und des Verfassungsschutzes können psychisch und emotional belastend sein. Diese Belastungen können bei fehlender Möglichkeit zur Reflexion und Einordnung in eine gesamtgesellschaftliche Perspektive dazu führen, dass die Beschäftigten die eigentlichen Ziele und Grundsätze bzw. den Sinn ihrer Arbeit aus dem Auge verlieren. Der Arbeitgeber hat aber eine Verantwortung und Fürsorgepflicht für seine Beschäftigten. Dazu gehört auch eine Kultur, die Fehlentwicklungen entgegenwirkt und Haltung gegen menschenverachtende Äußerungen fördert.

Deshalb sollten den Polizeibeamtinnen und -beamten sowie den Beschäftigten des Verfassungsschutzes qualifizierte Ansprechpartner und Zeiträume zur Verfügung gestellt werden, um die täglichen Erfahrungen reflektieren zu können. Alle Beschäftigten in der Polizei und im Verfassungsschutz müssen mindestens einmal im Vierteljahr die Möglichkeit zu einem Supervisionsgespräch haben.

10. Entwicklung von Wertekanons für die Sicherheitsbehörden

Wir fordern das Innenministerium auf, Prozesse in der Polizei und im Verfassungsschutz zu initiieren, mit dem Ziel jeweils einen eigenen Wertekanon zu entwickeln. Den Leitsatz der Polizei – bürgerorientiert, professionell und rechtsstaatlich – gilt es dabei neu mit Leben zu füllen. In mehreren inhaltlich aufeinander aufbauenden Konferenzen sollen alle Beschäftigen die Möglichkeit haben, ihre Perspektiven einzubringen. In diese Diskussionsprozesse sollen auch Perspektiven von externen Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft eingebunden werden. Die Prozesse selbst sollen durch die Behördenleitungen der Polizeibehörden bzw. der Leitung des Verfassungsschutzes gesteuert werden.