Positionspapier zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes

Mehrdad Mostofizadeh

Positionspapier der GRÜNEN im Landtag NRW
zum
Entwurf eines Ausführungsgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes
Beschluss vom 10. Juli 2018 Der Gesetzentwurf zum Download Der Änderungsantrag der GRÜNEN im Landtag zum Download Gliederung:
A.     Zusammenfassung
B.     Darstellung des AG-BTHG
I.       Anforderungen an ein AG-BTHG
II.     Bisherige Zuständigkeitsregelung in NRW
III.    Inhalt des Entwurfs eines Landesausführungsgesetz zum BTHG

A.   Zusammenfassung der GRÜNEN Forderungen und Position

Mit dem Bundesteilhabegesetz (BTHG) hat sich die gesetzliche Grundlage für die Eingliederungshilfe geändert. Somit muss mit diesem Landesausführungsgesetz der Träger der Eingliederungshilfe neu bestimmt werden. Dieser wird zugleich ein neuer Leistungsträger. Formal hätte das Land diesen bereits bis zum 31.12.2017 bestimmen müssen. Es wird davon ausgegangen, dass mit den Regelungen des neuen BTHG es in NRW rund 180.000 Leistungsbezieher*innen geben wird.
Mit dem Gesetzentwurf sollen die Zuständigkeit für die Fachleistungen der Eingliederungshilfe (SGB IX) bei den überörtlichen Trägern (Landschaftsverbänden) und die für die existenzsichernden Leistungen bei den örtlichen Trägern (Kommunen und Kreisen) liegen.

Zuständigkeit für minderjährige Menschen mit Behinderung

Bei der Anhörung am 07.03.2018 haben sich sowohl die Sozial- und Behindertenverbände wie auch die Freie Wohlfahrtpflege deutlich dafür ausgesprochen, dass die Landschaftsverbände die sachliche Zuständigkeit für alle Leistungen der Eingliederungshilfe für minderjährige Menschen mit Behinderung erhalten.
Bei der Frage, wer für minderjährige Menschen mit Behinderung die sachliche Zuständigkeit für alle Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten soll, scheint es in der Tat im Sinne der Schaffung einheitlicher Lebensverhältnisse für alle Kinder und Jugendliche mit Behinderung in NRW sinnvoll und notwendig zu sein, die Zuständigkeit für den gesamten Bereich bei den überörtlichen Trägern (LV) anzusiedeln. Im Falle der Zuständigkeit von SGB VIII (Jugendämter) wären es dann die Landesjugendämter.
Bei einer Entscheidung für den überörtlichen (Jugendhilfe-)Träger wäre dann aber auch zwingend zu regeln, wie dennoch der Bezug zu kommunalen Leistungen gegeben ist und wie wir die Inklusion von Menschen mit Behinderung in andere kommunale Planungsfelder/Planungsprozesse, die für die Entwicklung von inklusiven Sozialräumen, Quartieren und Gemeinden von wesentlicher Bedeutung sind (Wohnen, Quartiersplanung, Verkehr, Infrastruktur, KiTa, Schule, Kultur, inklusive Konzepte), verbindlich verknüpfen (einbeziehen) können.
Zudem müssen wir darauf achten, dass es nicht zu Verschlechterungen und Brüchen bei der Leistungsgewährung bei einer Verlagerung kommt. Mit der Ausführung des BTHG in NRW muss auch eine fachlich gute Versorgung von Kindern mit Behinderung flächendeckend erreicht werden.

Verlagerung der Zuständigkeit für die Frühförderung auf die Landschaftsverbände

Derzeit haben wir in NRW recht unterschiedliche Leistungsangebote. So sind die Strukturen der Frühförderung hinsichtlich der Leistungserbringung der Komplexleistung zwischen den Landesteilen Rheinland und Westfalen sehr unterschiedlich ausgeprägt. Zudem fehlt es an landesweit einheitlichen Mindeststandards zu Strukturen und Prozessen bei der Leistungserbringung. Ziel muss es daher sein, die bestehende Rahmenempfehlung in eine Rahmenvereinbarung zu überführen. Hierdurch wären die Kostenträger und die Leistungserbringer vertraglich verpflichtet, die vereinbarten Standards umzusetzen. Alle Beteiligten erhielten damit mehr Planungssicherheit.
Die leistungsberechtigten Kinder, deren Eltern und Angehörige könnten im Zuge der Bindungskraft einer Rahmenvereinbarung künftig stärker als bisher darauf vertrauen, unabhängig vom Wohnort ein qualitativ und nach einheitlichen Maßstäben erbrachtes Leistungsangebot der Frühförderung in Anspruch nehmen zu können. GRÜNE und SPD hatten hierzu bereits im Jahr 2016 einen Antrag in den Landtag eingebracht, der auch so beschlossen worden ist. Seither ist es den kommunalen Spitzenverbänden immer noch nicht gelungen, eine landesweite Rahmenvereinbarung abzuschließen, obwohl es hierzu schon seit vielen Jahren Bemühungen in diese Richtung gegeben hat.
Zugleich ist zu beachten, dass die Frühförderung nach § 46 Abs. 3 SGB IX als Komplexleistung zu erbringen ist, die Leistungsbestandteile der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und der Eingliederungshilfe enthält. Würde die Frühförderung in die Zuständigkeit der Kreise und kreisfreien Städte fallen, würde dies z.B. bei der Durchführung des § 46 SGB IX, insbesondere Abs. 6, zu erheblichen Problemen bei der unabdingbaren Zusammenarbeit mit den Trägern der Krankenversicherung führen. Denn dann müsste jede kreisfreie Stadt und jeder Landkreis mit jeder einzelnen Krankenkassen des gegliederten GKV-Systems Vereinbarungen über die pauschalierte Aufteilung der vereinbarten Komplexleistungen abschließen (§ 46 Abs. 5 SGB IX)
Wir halten daher die Verlagerung der Zuständigkeit für die Frühförderung von den Kommunen auf die Landschaftsverbände für richtig. Diese mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gegenüber dem Referentenentwurf vorgenommene Zuordnung der Leistungen der Frühförderung (§ 46 SGB XI) in die Aufgabenstellung der Landschaftsverbände ist daher zu begrüßen.

Leistungen zur sozialen Teilhabe

Im Sinne einer „Leistung aus einer Hand“ sollte auch die Zuständigkeit für existenzsichernde Leistungen bei gleichzeitiger Gewährung von Fachleistungen der Eingliederung für Personen, die in gemeinschaftlichen Wohnformen leben (nach § 42a Abs. 2 Nr. 2 SGB XII, ab 2020) bei den Landschaftsverbänden (LV) gebündelt werden.
Dies würde der derzeit bestehenden Regelung entsprechenden und würde verhindern, dass es zu Brüchen bei der Leistungsgewährung in den Wohngemeinschaften kommt.

Kooperationen der Landschaftsverbände und Kommunen stärken

Nach der Trennung von Fachleistung und existenzsichernder Leistung zum Wohnen ist es noch einmal von besonderer Bedeutung hier eine gemeinsame Verantwortung von Landschaftsverbänden und den Kommunen sicher zu stellen. Eine Herausforderung liegt tatsächlich darin, zu regeln, wie die Landschaftsverbände in der Umsetzung kontrolliert und auch die Kommunen, die sich bislang bei der Umsetzung der Inklusion und Teilhabe zurückgehalten haben, dazu gebracht werden, im Sinne des Aufbaus einer notwendigen Infrastruktur und aufeinander abgestimmter Leistungsgewährung vor Ort mit den Landschaftsverbänden eng zu kooperieren.
Hierzu sollten gegenseitige Konsultationspflichten für die Landschaftsverbände und die Kommunen und eine regelmäßige Berichtspflicht des Landes festgeschrieben werden. Schwerpunkte der Berichtspflichten sollten vor allem die Ziele des BTHG sein. Darüber hinaus wollen wir den Landesinklusionsplan in das AG BTHG als verbindliche Aufgabe für das Land aufnehmen, mit einem weiteren Schwerpunkt „Umsetzung des BTHG in NRW“.
Hierzu würde u.a. die Schaffung von geeigneten Wohnraum für Menschen mit Behinderung mit Unterstützungsbedarf gehören. Nach der Trennung von Fachleistung und existenzsichernder Leistung ist es noch einmal von besonderer Bedeutung, dies als gemeinsame Aufgabe verbindlich festzulegen.
Schließlich ist eine Evaluation des AG BTHG in das Gesetz aufzunehmen. Hierbei gilt es zu erfahren,

  • ob die Pflicht zur Beteiligung der Selbsthilfe ernst genommen wird;
  • wie die Landschaftsverbände mit den Kommunen kooperieren;
  • wie die Landschaftsverbände mit den Leistungsanbietern vor Ort kooperieren und
  • wie die Qualitätskontrollen umgesetzt werden

Die beiden Landschaftsverbände erhalten neue Kompetenzen und damit auch neue Pflichten zur Beratung und zur Bedarfsermittlung. Dies darf nicht zur Folge haben, dass die notwendige Kooperation mit den Trägern vor Ort auf ein Minimum reduziert wird. Das Gegenteil ist notwendig. Hierzu ist die Evaluation notwendig und damit verbunden auch eine Befristung des Gesetzes, ähnlich wie bei den wohnbezogenen Leistungen der Eingliederungshilfe

Wahrnehmung als Selbstverwaltungsangelegenheit

Aus Sicht der Sozial- und Behindertenverbände ist eine effektive Fachaufsicht über die Träger der Eingliederungshilfe zwingend erforderlich, uneinheitliche Rahmenbedingungen im Bereich der Eingliederungshilfe zu fördern und damit vergleichbare Lebensverhältnisse für Menschen mit Behinderungen in Nordrhein-Westfalen zu schaffen. Die Kommunen lehnen dies vehement ab. Eine Aufgabenerfüllung als Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Weisung der Landesregierung hätte sicher den Nachteil, dass die Kommunen wenig positive und innovative Handlungsansätze einbringen könnten.
Auch wenn die Position der Verbände an dieser Stelle nachvollziehbar ist, halten wir eine Umsetzung als Pflichtaufgabe nach Weisung letztendlich nicht für sinnvoll und schlagen hier keine entsprechende Änderung vor.
Heranziehung § 2 Abs. 1
Der Gesetzentwurf sieht in § 2 Heranziehung die Möglichkeit vor, die Aufgaben an Kommunen und Kreise zu delegieren. Die Delegationsmöglichkeit an die betreffende Kommune nach Vorgaben durch den LV ist u.a. ein Vorschlag aus der kommunalen Familie und heute in einigen Bereichen bereits Praxis. Diese Delegationsklausel wird allerdings von der Wohlfahrtspflege FW, den Sozialverbänden wie auch den Behindertenverbänden u.a. deswegen abgelehnt, da es  Bedenken gibt, dass damit die Standards unterlaufen werden und so keine landeseinheitliche Standards bei der Leistungsgewährung gesichert werden können. Sollte das Land dennoch eine Delegationsklausel einfügen wollen, müsste im Ausführungsgesetz klar geregelt sein, welche Teile delegiert werden können. In jedem Fall muss ein Zustimmungsvorbehalt des Landes vorgesehen werden. Zudem sollte eine Delegation nur dann möglich sein, wenn die Rahmenvertragskompetenz auf der überörtlichen Ebene verbleibt. Die Sicherung von landesweiten Standards wäre so sicherzustellen.
Bei einer Streitigkeit über die Zuständigkeit oder für den Fall, dass ein Landschaftsverband nicht rechtzeitig tätig werden kann, sieht der Gesetzentwurf vor, dass die kreisfreie Stadt oder der Kreis vorrangig leistungspflichtig ist. Dies wollen wir ändern und schlagen vor, dass bei Streitigkeiten eine vorrangige Leistungspflicht der Landschaftsverbände vorgesehen wird. Dies entspräche auch der grundsätzlichen Bestimmung der Landschaftsverbände zum Träger der Eingliederungshilfe und ist nach dem Regel-Ausnahme-Prinzip auch bei Streitigkeiten über die Zuständigkeit beizubehalten.
Zudem sollte auch das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS) nicht aus seiner Verantwortung entlassen werden und in § 4 Satz 1 die Beteiligung des zuständigen Ministeriums mit aufgenommen werden.

Aufsicht § 3

Bei der im Gesetzentwurf vorgeschlagenen Regelung bleibt unklar, was Aufgabe der aufsichtführenden Behörde ist. „Das Vierte Sozialgesetzbuch (SGB IV), welches das allgemeine Rahmenrecht für die Aufsicht über die Sozialversicherungsträger im Bereich des Sozialgesetzbuches gestaltet, unterscheidet grundsätzlich zwischen „Rechtsaufsicht“ (§ 87 Abs. 1 SGB IV) und „Fachaufsicht“ (Zweckmäßigkeit – § 87 Abs. 2 SGB IV) und bestimmt zudem die Aufsichtsmittel, die der Aufsichtsbehörde zur Verfügung stehen (§ 88 Abs. 1 SGB IV).“
Deshalb wollen wir die in § 3 Abs. 1 wie folgt ergänzen: "Die Aufsicht umfasst die Rechts- und die Fachaufsicht. § 88 Abs. 1 des Vierten Sozialgesetzbuches findet entsprechende Anwendung."

Zusammenarbeit § 5

Die Hinwirkungspflicht auf flächendeckende, am Sozialraum orientierte und inklusive Angebote sind durch Bundesrecht dem Land übertragen worden. Dennoch soll diese Verpflichtung des Landes mit § 5 Abs. 4 SGB IX mit dem AG-BTHG vollständig auf die Träger der Eingliederungshilfe und die Kommunen übertragen werden. Damit versucht das Land sich vollständig aus der Verantwortung für die Sicherstellung der bedarfsnotwendigen Versorgungsstrukturen der Eingliederungshilfe herauszuziehen. Mit einer Änderung wollen wir, dass sich das Land im Rahmen seiner bundesgesetzlichen Verantwortung beteiligt.

Kooperationsvereinbarungen (§ 5 Abs. 1 AG SGB IX-E)

In den Kooperationsvereinbarungen soll geregelt werden, wie die örtlichen Vertretungen der Menschen mit Behinderungen in den Steuerungs- und Planungsprozess eingebunden werden. Im Gesetzentwurf ist allerdings ein Beteiligungsrecht der Verbände behinderter Menschen beim Zustandekommen solcher sie betreffender Regelungen nicht vorgesehen. Dies ist u.E. mit den Zielsetzungen UN-BRK nicht vereinbar. Ein Beteiligungsrecht der Behindertenverbände ist zwingend vorzusehen.

Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung § 7

Nach § 7 sind die Landesverbände der Menschen mit körperlichen, seelischen, geistigen oder Sinnesbeeinträchtigungen zu beteiligen. Diese Aufzählung umfasst allerdings weder alle wesentlichen Formen der Beeinträchtigungen noch alle Lebensbereiche, in denen eine gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe erreicht werden soll. Außerdem sind wichtige, sozialpolitisch erfahrene Verbände nicht einbezogen, die behinderungsübergreifend seit Jahrzehnten tätig sind. Deshalb sollte hier eine Änderung erfolgen, die vorsieht, dass die "Interessenvertretungen die Landesverbände der Menschen mit Behinderungen“ sind. Im Änderungsantrag übernehmen wir zudem die Forderung des LBR (Landesbehindertenrates), einige Landesverbände auch zu benennen.

Beteiligung der Landesbeauftragten für die Belange von Menschen mit Behinderungen § 6

Das Bundesrecht kann in § 94 Abs. 4 SGB IX eine Mitgliedschaft der Landesbeauftragten für die Belange von Menschen mit Behinderungen aus föderalen Gründen nicht vorsehen. Deshalb sollte wir im Landesrecht bestimmen, dass der bzw. die Beauftragte eine beratende Beteiligung einzuräumen ist.

Qualitätsprüfung § 8

Durchgängig begrüßt werden die vorgesehenen unangemeldeten und anlassunabhängigen Prüfungen. Seitens der Sozial- und Behindertenverbände wird aber kritisiert, dass auch die Träger der Eingliederungshilfe, die die Prüfungen durchführen werden, selbst Erbringer von Eingliederungshilfeleistungen sind. Deshalb wird gefordert, dass in derartigen Fallkonstellationen die Qualitätsprüfung durch eine unabhängige dritte Stelle erfolgt.

Regionale Arbeitsgemeinschaften aller Reha-Träger nach 94 Abs. 4 SGB IX

In § 25 Abs. 2 SGB IX ist festgelegt, dass die Rehabilitationsträger und ihre Verbände zur gemein-samen Wahrnehmung von Aufgaben zur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen insbesondere regionale Arbeitsgemeinschaften bilden sollen. Dies ist allerdings in NRW bis heute nicht erfolgt. Deshalb sollte im Rahmen dieses Gesetzes diese bundesgesetzliche Vorgabe in § 25 Abs. 2 SGB IX endlich landesgesetzlich umgesetzt werden. Deshalb wollen wir dies im AG-BTHG mit verankern. In einer künftigen Arbeitsgemeinschaft könnten dann auch die örtlichen Unterschiede bei der Leistungsgewährung aufgearbeitet und korrigiert werden sowie die Evidenzbeobachtung des Landes nach § 94 Abs. 5 SGB IX aufgearbeitet werden.

Regelung für das Budget für Arbeit

Das BTHG sieht in § 61 SGB IX – neuerdings die Möglichkeit vor, dass das Land nach oben von dem Prozentsatz der Bezugsgröße abweichen kann (§ 61 Abs. 2 Satz 4 SGB IX- neu). Das sollte das Land auch tun, um mehr Menschen mit Behinderungen eine unbefristete sozialversicherungspflichtige Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Trotz der guten, derzeit laufenden Sonderprogramme der Landschaftsverbände gilt, dass der im Bundesrecht vorgesehene Lohnkostenzuschuss, der 1.190 Euro pro Monat vorsieht (Wert 2018: 1.218,-) auch in NRW nicht ausreichen wird. Dies würde allenfalls das Mindestlohnniveau absichern. Deshalb sollte der prozentuale Anteil des Förderzuschusses für Arbeitgeber unabhängig von der Bezugsgröße gem. § 18 SGB IV bemessen werden, damit auch tariflich vergütete Arbeitsverhältnisse oberhalb des gesetzlichen Mindestlohnes bei Vollzeitbeschäftigung angemessen bezuschusst werden können. In Bayern z.B. sieht das Gesetz zur Umsetzung des BTHG vor, dass das Budget für Arbeit um 20 Prozent besser ausgestattet wird als im Bundesrecht als Minimum vorgesehen ist. Unsere parlamentarischen Änderungsanträge zum Gesetzentwurf sind hier zu finden.

B.  Darstellung des AG-BTHG

I. Anforderungen an das AG-BTHG

Trennung von Fachleistungen und existenzsichernde Leistungen

Die Zuständigkeitsregelung bezieht sich nicht nur auf die Eingliederungshilfe sondern auch auf existenzsichernde Leistungen und die Hilfe zur Pflege

  • Wichtig hierbei sind die Herstellung gleicher Lebensverhältnisse und die Gewährung von Hilfen aus einer Hand.

Die bisherige Gliederung nach stationären, teilstationären und ambulanten Leistungen für Erwachsene wird mit dem BTHG aufgegeben. Als Folge werden künftig die Fachleistungen von den existenzsichernden Leistungen zum Lebensunterhalt getrennt. Demnach wird sich die Eingliederungshilfe ausschließlich auf reine Fachleistungen konzentrieren. Diese Fachleistungen können von Fachkräften und auch von Hilfskräften erbracht werden.
Das Verfahren zur Zuständigkeitsklärung und zur Koordinierung der Leistungen bei mehreren beteiligten Rehabilitationsträgern muss in § 14 ff. SGB IX neu geregelt werden.

  • Leistungen zur Teilhabe und Leistungen zur Existenzsicherung werden getrennt.

Auswirkungen:
Auswirkungen hat die neue Regelung vor allem für die stationären Wohnangebote. In den Wohnheimen werden zukünftig die Beträge für Unterkunft und Heizung getrennt von den Betreuungskosten und anderen Beträgen, wie z.B. Verpflegung, häusliche Krankenpflege und anderen berechnet. Das einheitliche Leistungsentgelt wird abgelöst durch die Finanzierung individueller Unterstützungsleistungen, die orientiert am Einzelfall zu vergüten sind.
Menschen mit Behinderung, die in Wohneinrichtungen leben, erhalten bereits heute – unabhängig vom Pflegebedarf – nur eine auf 266 Euro pro Monat gedeckelte Pauschale (§ 43 a SGB XI). Diese diskriminierende Vorschrift soll in seiner Wirkung für Wohnheime der Eingliederungshilfe entsprechend den Vorgaben des BTHG bestehen bleiben. In § 71 Abs. 4 SGB XI wurde jedoch eine neue Formulierung eingeführt, so dass die Befürchtung besteht, dass der Anwendungsbereich auch auf ambulante Wohnmöglichkeiten ausgeweitet werden könnte. Um dies zu vermeiden, müssten Richtlinien zu den Einzelheiten erlassen werden. [unter Beteiligung der Bundesarbeitsgemeinschaft überörtlicher  Sozialhilfeträger (BAGüS)]. Konkret geht es um die nähere Bestimmung der „Räumlichkeiten“, deren Definition infolge des Wegfalls des Begriffs der „stationären Einrichtung“ im Eingliederungshilferecht ab 2020 und wegen des Festhaltens an der diskriminierenden Regelung des § 43a SGB XI erforderlich wird.

II. Bisherige Zuständigkeitsregelung in NRW

Träger der Sozialhilfe in NRW :

Bislang geregelt im § 97 SGB XII im Landesausführungsgesetz zum SGB XII (AG- SGB XII NRW) und Ausführungsverordnung zum SGB XII (AV-SGB XII NRW)

Überörtliche Träger: Landschaftsverbände

Diese sind bislang im Wesentlichen zuständig für

  • voll- und teilstationäre Leistungen nach § 53 ff. SGB XII (insbesondere Wohnheime, Werkstätten für Menschen mit Behinderung)
  • ambulante Leistungen an volljährige Menschen mit Behinderungen zum selbständigen Wohnen

Örtliche Träger: Kreise und kreisfreie Städte
Bislang zuständig für alle Sozialhilfeaufgaben, die nicht dem überörtlichen Träger zugeordnet sind, insbesondere

  • ambulante Hilfen außerhalb der Wohnhilfen (zu denen in der Sozialhilfe auch die Betreuung in  einer Pflegefamilie gemäß § 54 Abs. 3 SGB XII gehört).
  • neben den existenzsichernden Leistungen zuständig für die Leistungen, die nicht Fachleistungen im stationären, teilstationären und selbstbestimmten ambulant betreuten Wohnen betreffen (Zuständigkeit der Landschaftsverbände)

Zuständigkeit für Kinder und Jugendliche mit Behinderung:

  • Für Kinder und Jugendliche mit einer körperlichen oder geistigen Behinderung ist die Sozialhilfe gemäß § 10 Abs. 4 SGB VIII vorrangig zuständig.
  • Für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche ist die Jugendhilfe vorrangig zuständig.
  • Bei mehrfach behinderten Kindern und Jugendlichen (seelische und geistige oder körperliche Behinderung) ist zu prüfen, ob die Leistungen konkurrieren (ob beide Leistungen gleich, gleichartig, einander entsprechend, kongruent einander überschneidend oder deckungsgleich sind). 

Bisheriges Kostenvolumen und -verteilung bei den Eingliederungsleistungen in NRW

Die örtlichen Träger der Sozialhilfe in NRW haben im Jahr 2014 laut der Statistik zu den „Einnahmen und Ausgaben in der Sozialhilfe“ Leistungen der Eingliederungshilfe von ca. 250 Millionen Euro bewilligt (davon insbesondere Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung – mehr als 100 Millionen Euro, und heilpädagogische Leistungen für Kinder – mehr als 50 Millionen Euro). Die von den Landschaftsverbänden dagegen erbrachten existenzsichernden Leistungen lagen netto bei rund 100 Millionen Euro.
Die Landschaftsverbände haben im Rahmen der Eingliederungshilfe in erster Linie Ausgaben für Hilfen zu selbstbestimmtem Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten außerhalb und in Einrichtungen (ca. 2,5 Milliarden Euro) und für Leistungen in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen (mehr als 1 Milliarde Euro) getätigt. Insgesamt liegt das Ausgabe-Volumen für Eingliederungshilfe-Leistungen in NRW laut Sozialhilfe-Statistik bei über 4 Milliarden Euro jährlich. Davon entfallen 6 Prozent auf die örtlichen und 94 Prozent auf die überörtlichen Träger.
Die im BTHG prognostizierte Kostenentwicklung aufgrund zusätzlicher Leistungsansprüche bei der Eingliederungshilfe bezogen auf NRW (in Mio. Euro):
Jahr       2020     2021     2022     2023     2024     2025
               29,5      -0,6       -30,9     -32,9     -38,2     -40,6
Die tatsächliche Kostenentwicklung soll im Rahmen der Evaluation durch den Bund (Art. 25 BTHG) festgestellt werden.

III. Inhalte des Entwurfs eines Landesausführungsgesetzes zum BTHG

Am 26.10.17 hat die Landesregierung uns einen ersten Entwurf für ein Landesausführungsgesetz zum BTHG für das parlamentarische Verfahren zugeleitet. Dieser ist anschließend in die Verbändeanhörung gegangen. Der überarbeitete Entwurf ist dann als Gesetzentwurf (Drs. 17/1414) im Dezember dem Landtag zur parlamentarischen Beratung zugeleitet und am 15.12.2017 ins Plenum eingebracht worden. Die Anhörung fand im zuständigen Fachausschuss AGS am 7. März 2018 statt.

Wesentliche Inhalte des Gesetzentwurfes:

  • Die Fachleistungen für erwachsene Menschen mit Behinderungen sollen künftig bei den überörtlichen Trägern den Landschaftsverbänden gebündelt werden.
  • Die existenzsichernden Leistungen sollen grundsätzlich – unabhängig vom Alter und von der Wohnform – auf der örtlichen Ebene verbleiben.
  • Für den Bereich der Teilhabe an Arbeit („Budget für Arbeit“, „andere Leistungsanbieter“) wird die Zuständigkeit bei den Landschaftsverbänden gesehen.
  • Die neuen Instrumente „Andere Leistungsanbieter“ und „Budget für Arbeit“ stellen Alter­nativen zur Beschäftigung in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen dar.
  • Die Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderungen sollen enger in die ver­schiedenen Prozesse (z. B. Verhandlung der Rahmenverträge) eingebunden werden.

Im Gesetzentwurf ist vorgesehen,

  • die Aufgaben der Eingliederungshilfe bei den beiden Landschaftsverbänden zu bündeln, so wie im Wesentlichen bisher auch schon;
  • die Kreise und kreisfreien Städte, bei denen die grundsätzliche Zuständigkeit für Kinder und Jugendliche außerhalb von stationären und teilstationären Einrichtungen sowohl nach Sozialhilfe- als auch nach Jugendhilferecht bereits heute besteht, auch zukünftig damit zu betrauen, Fachleistungen der Eingliederungshilfe an Kinder und Jugendliche mit Behinderungen zu erbringen, wenn diese in der Herkunftsfamilie leben.

         – Dies gilt bis zum Abschluss einer ersten allgemeinen Schulausbildung und beinhaltet z. B. Leistungen für Schulbegleitung und Integrationshelfer*innen, Behindertenfahrdienste und soziale Teilhabe.

  • Die Zuständigkeit für Leistungen der Eingliederungshilfe, die für Personen in Kindertagesstätten und in der Kindertagespflege, aber auch im Rahmen der Frühförderung, erbracht werden, soll zukünftig bei den Landschaftsverbänden angesiedelt werden.

Der Gesetzentwurf sieht u.a. folgende Strukturierung und Inhalte vor:

Artikel 1

  • Grundsätzliche Festlegung der Landschaftsverbände als zuständige Träger der Eingliederungshilfe für die Fachleistungen an Menschen mit Behinderungen.
  • Bestimmung der Kreise und kreisfreien Städte als zuständige Träger der Eingliederungshilfe grundsätzlich für Fachleistungen an Kinder und Jugendliche mit Behinderungen bis zum Abschluss einer ersten allgemeinen Schulausbildung, wenn diese Kinder und Jugendlichen in der Herkunftsfamilie leben.
  • Eine Heranziehungsmöglichkeit der Träger der Eingliederungshilfe.
  • Eine Kooperationspflicht zwischen Landschaftsverbänden, Kreisen, kreisfreien Städten und kreisangehörigen Gemeinden, um die gemeinsame Verantwortung für den Sozialraum und die Planung und Zurverfügungstellung der Angebote sicherzustellen.
  • Die Bestimmung des Landesbehindertenrates als Interessenvertretung nach § 131 Abs. 2 SGB.
  • Die Einrichtung einer Arbeitsgemeinschaft auf Landesebene zur Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe.
  • Eine Regelung zu Qualitätsprüfungen durch die Träger der Eingliederungshilfe.
  • Durchführung des Schwerbehindertenrechts (Aufgaben der Integrationsämter) durch die Landschaftsverbände bzw. durch die örtliche Ebene (Artikel 7).

Artikel 2

Beinhaltet notwendige Klarstellungen hinsichtlich der bestehenden sozialhilferechtlichen Zuständigkeiten und verortet insbesondere die Zuständigkeit für die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 140, SGB XII bei den überörtlichen Trägern der Sozialhilfe.

Artikel 3

Hier werden die landesrechtlichen Zuständigkeiten in der Sozialhilfe angepasst. Der Status quo wird grundsätzlich beibehalten. Im Übrigen bleiben die sozialhilferechtlichen Zuständigkeiten beim jeweiligen örtlichen oder überörtlichen Träger unberührt. Da ab 2020 bei der Erbringung von Eingliederungshilfe die Hilfe zur Pflege nach dem Siebten Kapitel des SGB XII weitestgehend mitumfasst ist, werden zudem geringe Zuständigkeitsanpassungen für die Hilfe zur Pflege vorgenommen. Die entsprechenden Anpassungen folgen dem Grundsatz der Leistungserbringung aus einer Hand und der Vermeidung von Abgrenzungsschwierigkeiten bei gleichzeitiger Erbringung von Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege. Darüber hinaus werden die mit der Trennung von Fachleistungen der Eingliederungshilfe und existenzsichernden Leistungen der Sozialhilfe verbundenen Auswirkungen auf die landesrechtlichen Zuständigkeiten berücksichtigt. Insbesondere beim gemeinschaftlichen Wohnen wird eine Zusammenarbeits- und Vereinbarungspflicht der zuständigen Akteure festgelegt.
Artikel 4
Es wird die bisherige Regelung in § 27 des Gesetzes zur Ausführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes beibehalten, nach der Maßnahmen der Früherkennung und Frühförderung von den Trägern der Eingliederungshilfe gewährt werden.
Artikel 5
Hier wird der Bereich des Schwerbehindertenrechts aus dem „Gesetz zur Durchführung der Kriegsopferfürsorge und des Schwerbehindertenrechts" herausgenommen. Die Regelungen für die Durchführung des Schwerbehindertenrechts (Teil 3 des SGB IX) werden inhaltsgleich aus diesem Gesetz heraus in das Ausführungsgesetz AG-SGB IX überführt.
Artikel 6
In diesem Artikel wird der Landesbehindertenrat e.V. NRW als maßgeblicher Beteiligungspartner für die Interessen der Menschen mit Behinderungen auf Landesebene verankert.
Artikel 7
Es werden redaktionelle Folgeänderungen zum BTHG vorgenommen: Die bisherige Übertragung von Aufgaben und Befugnissen der Integrationsämter auf die örtlichen Träger wird an die neue Nummerierung angepasst.
Artikel 8
Regelt die Anpassung der bisherigen Schiedsstellenverordnung nach dem SGB XII an die Änderungen im Bundesteilhabegesetz.
Artikel 9
Regelt das Inkrafttreten: Gesetz tritt vorbehaltlich Abs. 2 am 1. 1. 2018 in Kraft, Art. 7 tritt am 1. 7 2019, die Art. 3 und 4 am 1. 1. 2020.