Angstrhetorik schafft keine Sicherheit

Verena Schäffer zur „Kleinen Regierungserklärung“ im Innenausschuss

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022
Herbert Reul hat sich bislang im Europaparlament zwar intensiv mit Sommer- und Winterzeit auseinandergesetzt, bei der Inneren Sicherheit ist er jedoch ein Novize. Nachdem die CDU im Landtagswahlkampf mit einer Kombination aus Angstrhetorik und Law-and-Order-Gepoltere aufgetreten ist, ist diese Personalentscheidung von Ministerpräsident Laschet unverständlich. Nach etwas mehr als 100 Tagen im Amt und der Vorstellung seiner politischen Schwerpunkte im Ausschuss ist es Zeit für eine erste Bilanz der Arbeit des Ministers.

Die vergangenen vier Monate waren für Minister Reul ein Praktikum in der Innenpolitik. Als Chef von 40.000 Polizeibeamt*innen, dem Verfassungsschutz und mit der Zuständigkeit für den Brand- und Katastrophenschutz mit über 115.000 haupt- und ehrenamtlichen Kräften muss er nun aber endlich in seinem neuen Job ankommen. Bisher war inhaltlich von ihm kaum etwas zu hören – außer fünf Vorschlägen an die Jamaika-Verhandlungsgruppen in Berlin. Nach einem von der CDU so auf Innere Sicherheit fokussierten Wahlkampf hätten wir mehr Tatkraft im eigenen Bundesland erwartet. Die Menschen in NRW wollen zurecht wissen, wie Schwarz-Gelb für mehr Sicherheit sorgen will.
Gesetzesverschärfungen ohne Gewinn für die innere Sicherheit
Doch außer pressewirksamen Besuchen beim Polizeibekleidungscenter und den neuen Polizeiautos hat Minister Reul noch nicht geliefert. Bisher bleibt es bei den Ankündigungen zu den geplanten Gesetzesverschärfungen – von Ausweitung der Videoüberwachung bis hin zur Einführung der Schleierfahndung. Diese unverhältnismäßige Einschränkung von Bürgerrechten kann man zweifelsohne mit der Angstrhetorik von CDU und FDP besser durchsetzen, mehr Sicherheit schafft das aber nicht. Stattdessen untergräbt Reul damit das Vertrauen in die staatlichen Institutionen. Eklatant war hier die überstürzte Abschaffung der Kennzeichnungspflicht für die Polizeibeamt*innen in der Bereitschaftspolizei. Die Regierung hat die gerade erst eingeführte Regelung nicht einmal evaluiert. Sie hat sie stattdessen aus rein ideologischen Gründen und ohne die Transparenz- und Bürgerrechtsbegründungen ernst zu nehmen im Schnellverfahren abgewickelt. Für mehr Sicherheit hat sie damit auch nicht gesorgt.
Die bisher bekannten Pläne der Landesregierung gehen leider ausnahmslos in diese Richtung: Mit der automatisierten Kennzeichenerfassung stellt die Landesregierung Verkehrsteilnehmer*innen per se unter Generalverdacht, ohne dass ein offensichtlicher Effekt für mehr Sicherheit erkennbar ist. Die Telekommunikationsüberwachung soll zum polizeilichen Instrument der Gefahrenabwehr eingeführt werden. Damit verschwimmt das Trennungsgebot von Verfassungsschutz und Polizei. Auf Bundesebene fordert Reul die Online-Durchsuchung für den Verfassungsschutz, obwohl Schwarz-Gelb damit in NRW im Jahr 2008 durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts krachend gescheitert ist. Mehr Videobeobachtung stellt Reul als Maßnahme zur Terrorismusbekämpfung dar, obwohl jeder weiß, dass eine Videokamera niemals  Terrorist*innen aufhalten wird.
Prävention spielt bei Reul nur eine Nebenrolle
Wozu Reul bislang dagegen gar nichts sagt ist, wie es mit Ursachenbekämpfung und Prävention gegen Radikalisierung weitergeht. Ob das von Rot-Grün erarbeitete Handlungskonzept gegen den gewaltbereiten verfassungsfeindlichen Salafismus weitergeführt und umgesetzt wird? Unklar! Wie will der Minister gegen den Rechtsextremismus vorgehen? Unklar! Es wird Zeit, dass der Minister sich endlich auch mit diesen Themen auseinandersetzt. Nordrhein-Westfalen kann sich keine weiteren 100 Tage einen Minister im Praktikum leisten.
Was Reul außerdem klar werden muss: Er ist auch für den Katastrophen- und Brandschutz zuständig. Dazu hat er sich in seiner „Kleinen Regierungserklärung“ gar nicht geäußert. Dieses Feld ist aber keine Spielwiese für die parlamentarische Sommerpause, sondern bedarf voller Aufmerksamkeit. Angesichts der zunehmenden Naturkatastrophen durch den Klimawandel werden die Angehörigen der Feuerwehren und anerkannten Hilfsorganisationen zukünftig wahrscheinlich immer häufiger ausrücken müssen. Deshalb braucht es einen Innenminister, der dem Brand- und Katastrophenschutz volle Beachtung schenkt.