Mehr Gleichberechtigung durch geschlechterspezifische Daten

Josefine Paul zum Weltmädchentag 2016

Portrait Josefine Paul

Wie geschlechterspezifische Datenerhebung dazu beitragen kann, genau jene Zielgruppen zu finden, denen geholfen werden muss zeigt die HIV-Präventionsarbeit in Kenia.  Erst nachdem dort Infektionsraten nach Geschlecht aufgeschlüsselt erfasst worden sind, wurde deutlich, wie oft gerade junge Frauen und Mädchen von einer Infektion betroffen sind. Die Präventionsprogramme wurden daraufhin  stärker auf Mädchen ausgerichtet. Das Beispiel zeigt: Ein geschlechterdifferenzierter Blick auf Studien und Datenerhebungen hilft, die Bedürfnisse von Mädchen besser in den Blick zu nehmen.
Laut der Bertelsmann-Studie „Armutsfolgen für Kinder und Jugendliche“ leben 14,3 Prozent der Kinder in Deutschland in Armut. In NRW sind es sogar 18,6 Prozent, 1,6 Prozent mehr als noch 2011. Die Studie zeigt auch, die Folgen für Jungen und Mädchen, die in Armut aufwachsen. Sie erleben materiellen Verzicht und Einschränkungen. Viele leben in beengten Wohnverhältnissen, oft ohne ein eigenes Zimmer als Rückzugsort. Auch müssen ihre Familien öfter auf Ausflüge und Urlaube verzichten. Armut beeinflusst die Gesundheit, die sozialen und die kulturellen Chancen von Kindern. Die geschlechterspezifische Aufschlüsselung zeigt jedoch auch: Gerade Mädchen reagieren oft mit psychosomatischen Symptomen, also etwa  Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Schlafstörungen und Nervosität auf die finanzielle Situation ihrer Familie. Laut einer Studie des HBSC-Studienverbundes zum Gesundheitsverhalten von Kindern im Schulalter leiden Mädchen stärker als Jungen unter finanzieller Armut ihrer Familien. Wie sich diese Beschwerden auf Ausbildung oder Freizeitgestaltung auswirken, ist jedoch noch unklar. Der geschlechterspezifische Blick zeigt auch, dass arme Mädchen beispielsweise ein stärkeres und stabileres soziales Netzwerk haben als Jungen. Sie holen sich bei Problemen eher Hilfe von außenstehenden Expert*innen. Sie haben also Ansprechpartner*innen, die ihnen helfen können, Probleme zu bewältigen.
Wir brauchen weiterhin geschlechterdifferenzierte Forschung, um  Mädchen, die unter der Armut ihrer Familien leiden, gezielt helfen zu können. So müssen wir beispielsweise wissen, wie sich psychosomatische Symptome auf den Alltag armer Mädchen auswirken. Dann können wir gezielt nach Möglichkeiten suchen, betroffene Mädchen zu erreichen und zu unterstützen.  
Die bisherige Forschung zu Kinderarmut und ihren Folgen hat einen wichtigen Anfang gemacht, um das Thema ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Forschungsergebnisse können eine Grundlage politischer Problemlösung sein. Wenn sie aber nicht nach Geschlechtern aufgeschlüsselt werden, ist es schwierig zu erkennen, ob Maßnahmen zur Mädchen- und Frauenförderung tatsächlich den gewünschten Effekt erzielen. Wir brauchen deshalb konsequent geschlechterdifferenzierte Erhebungen. Nur so können wir erkennen, was für Mädchen wirklich zählt und unsere Politik danach ausrichten.