Eine Altenpflege ohne freiheitsentziehende Maßnahmen

Arif Ünal zum Symposium der Alzheimergesellschaft Landesverband NRW

Zehn Prozent der Pflegebedürftigen berichten über körperliche, sogar 40 Prozent über seelische Gewalt – oft aufgrund von freiheitsentziehenden Maßnahmen. Deswegen sollten diese unbedingt vermieden werden – wie es UN-Behindertenrechtkonvention und Grundgesetz auch garantieren.
In der Praxis werden freiheitsentziehende Maßnahmen meist angewandt, um die pflegebedürftigen Menschen zu schützen, oft aber auch aus Personal- und Zeitmangel oder aufgrund unzureichender Qualifizierung der Pflegeperson und damit einhergehender Überforderung. Zwar sind freiheitsentziehende Maßnahmen also oft vermeintlich gut gemeint, etwa wenn es darum geht Stürze zu vermeiden. Studien zeigen jedoch, dass sie in der Regel nicht vor Gefahren schützen.
Vielmehr verliert die gegen ihren Willen festgehaltene Person nach und nach ihre Bewegungsfähigkeit, ihre Muskelkraft und ihre Orientierungsfähigkeit. Das steigert langfristig eher die Sturzgefahr. Gurte, Bettgitter oder Klemmbretter können festgehaltene Personen verletzen. Viele erleiden Ängste und Stress, sie leisten Gegenwehr oder resignieren vollständig.
Wehren sich an Demenz erkrankte Menschen gegen freiheitsentziehende Maßnahmen, droht Verletzungsgefahr, auf die Pflegende dann häufig mit einer vermeintlichen Beruhigung durch Psychopharmaka reagieren. Diese haben viele und teils gravierende Nebenwirkungen wie Benommenheit, Appetitlosigkeit und Schwindel. Darüber hinaus erhöht die erzwungene Bewegungsarmut das Risiko für Lungenentzündungen, Wundliegen, Infektionen, Thrombosen sowie Inkontinenz. Die Muskulatur nimmt ab, die Gelenke versteifen, Bewegungsfähigkeit und Balance gehen verloren. Deshalb dürfen freiheitsentziehende Maßnahmen nur angewendet werden, um Menschen vor einer erheblichen gesundheitlichen Gefährdung zu schützen.
Deswegen ist es richtig und wichtig, nach Alternativen zu suchen, wie die Expert*innen der Projekte Werdenfelser Weg und Redufix es tun. Beide Projekte zeigen: Durch intensive Kooperation aller Akteur*innen ist es möglich, weniger freiheitseinschränkende Maßnahmen durchzuführen und so für mehr Sicherheit in der Pflege zu sorgen. Entscheidend aber bleibt, die Pflegekräfte in die Lage zu versetzen, ohne diese Maßnahmen auszukommen: Auch Einrichtungen, die bislang regelmäßig freiheitsentziehende Maßnahmen zu Krisenbewältigung oder als Vorsichtsmaßnahmen gegen Stürze eingesetzt haben, können gänzlich ohne Maßnahmen wie Fixierung, Einsperren oder medikamentöse Ruhigstellung auskommen – wenn das Personal gemeinsam eine entsprechende Haltung entwickelt.
Dieses wäre aber notwendig, um den betroffenen Menschen ihre Würde und Lebensqualität zu erhalten.