„2016 intensiv den Fragen des Zusammenlebens widmen“

Mehrdad Mostofizadeh im Interview zum parlamentarischen Jahresauftakt

Mehrdad Mostofizadeh

Nach einem bewegten und von der Flüchtlingspolitik geprägten Jahr 2015 startete 2016 mit den schrecklichen Ereignissen in Köln. Wird 2016 vor allem die Sicherheitspolitik im Zentrum stehen?
Mehrdad Mostofizadeh: Natürlich wird Sicherheit in diesem Jahr wichtig werden. Die Übergriffe in Köln haben uns alle schockiert und entsetzt. Mit dem 15-Punkte-Plan der Landesregierung haben wir angemessen auf die Vorfälle reagiert. Wir wollen jetzt dafür sorgen, dass ganz genau aufgeklärt wird, was passiert ist. Wichtig ist dabei, dass die Opfer der sexualisierten und gewalttätigen Übergriffe nicht vergessen werden. Neben der Diskussion wirksamer Schutzprogramme vor Gewalt sollte auch das Sexualstrafrecht auf der Basis der Istanbul-Konvention verschärft werden. Dem Grundsatz: „Nein heißt Nein“ muss wirksam Geltung verschafft werden. Das Thema sexualisierte Gewalt, aber auch alltäglicher Sexismus müssen im Mittelpunkt der Debatte stehen und gesamtgesellschaftlich offen diskutiert werden.
Außerdem wehren wir uns entschieden dagegen, dass rechtspopulistische Gruppen die Opfer für ihre Hetze gegen Flüchtlinge und Migranten instrumentalisieren. Das ist widerwärtig und zynisch. Zusammengenommen bedeutet das für mich, dass wir uns 2016 intensiv der Frage „Wie wollen wir zusammenleben?“ widmen müssen. Doch so schrecklich die Kölner Gewalttaten sind und so richtig und verständlich es ist, dass sich die Aufmerksamkeit momentan auf dieses Thema richtet, dürfen auch andere Themen und Herausforderungen nicht verdeckt werden, vor denen NRW steht.
Woran denkst Du da insbesondere?
Mehrdad Mostofizadeh: Bildung ist und bleibt auch im sechsten rot-grünen Regierungsjahr unser wichtigstes Thema. Das haben wir mit der Aufstellung des Landeshaushalts noch einmal klar gemacht: Bei sinkender Neuverschuldung wächst der Etat des Schulministeriums um eine Milliarde Euro. Wir nehmen auch deutlich mehr Geld in die Hand, um die Kitas in NRW finanziell besser auszustatten und zusätzliche Plätze für Kinder zu schaffen – auch für jene, die älter als drei Jahre sind.
Was genau passiert mit dem zusätzlichen Geld im Schuletat?
Mehrdad Mostofizadeh: Eine der zentralen Aufgaben ist die schulische Integration der Kinder und Jugendlichen, die nach NRW geflüchtet sind. Seit Beginn des vergangenen Jahres haben wir dafür 5.766 zusätzliche Stellen geschaffen. Das sind zusätzliche Lehrerinnen und Lehrer, aber auch Schulpsychologinnen und Schulpsychologen, multiprofessionelle Teams sowie Fachberaterinnen und Fachberater. Wir wissen, dass gute Deutschkenntnisse für alle Kinder die Grundlage einer erfolgreichen Bildungskarriere sind, deswegen investieren wir zusätzlich in die Sprachförderung. Dort stellen wir insgesamt 1.200 zusätzliche Fachkräfte ein. Von den Investitionen in Kitas und Schulen profitieren alle Kinder: Egal, ob sie hier geboren sind, schon länger in NRW leben oder erst in den vergangenen Monaten zu uns gekommen sind. Ich bin mir sicher, dass gute Bildungspolitik auch viel dazu beitragen kann, dass uns die Integration der Menschen gelingt, die geflüchtet sind, weil ihnen zu Hause Krieg, Terror und Gewalt drohen.
Womit wir schon beim nächsten Thema sind: Flucht und Integration. Was erwartest Du nach dem ereignisreichen vergangenen Jahr 2016 in diesem Bereich?
Mehrdad Mostofizadeh: Nachdem es 2015 vor allem darum ging, die Menschen anständig unterzubringen und zu versorgen, wollen wir uns jetzt noch stärker der Integration widmen. Um es deutlich zu sagen: Wir hatten nie die sozialromantische Vorstellung, dass nur gutwillige Menschen nach Deutschland kommen, die nie straffällig werden. Auch deswegen müssen wir uns intensiv mit den Fragen des Zusammenlebens auseinandersetzen.
Wir haben schon Vieles angestoßen, die Kommunen und Flüchtlingshelfer leisten vielerorts tolle Arbeit. Wir wollen aber in allen Bereichen prüfen, wie wir die Menschen noch besser dabei unterstützen können, sich in unserer Gesellschaft zurechtzufinden. Auch vor diesem Hintergrund veranstalten wir am 20. Februar einen großen Integrationskongress, bei dem wir konkrete Vorschläge erarbeiten wollen – vom Wohnungsbau, über die Arbeitsmarktpolitik bis hin zum Sport.
Wie genau wird der Kongress aussehen?
Mehrdad Mostofizadeh: Es wird Podiumsdiskussionen, Vorträge und 16 Panels zu verschiedenen Themen geben. Neben unseren Abgeordneten werden viele Fachleute wie Kölns ehemalige Sozialdezernentin und heutige Oberbürgermeisterin Henriette Reker, der Präsident von „unternehmer nrw“, Horst-Werner Maier-Hunke, die WDR-Redakteurin Isabel Schayani, der taz-Journalist Daniel Bax sowie der Politologe Prof. Dr. Aladin El-Mafaalani teilnehmen. Wir freuen uns auf die Diskussion mit vielen Gästen und interessierten Bürgerinnen und Bürgern.
Bildungspolitik und Integration als zentrale Themen 2016. Was wird darüber hinaus wichtig?
Mehrdad Mostofizadeh: Als GRÜNE Fraktion werden wir natürlich auch umweltpolitische Themen weiter vorantreiben. Nachdem wir 2015 ein neues ökologisches Jagdgesetz eingeführt haben, wird in der nächsten Woche der Entwurf des neuen Landeswassergesetzes in den Landtag eingebracht. Zudem wollen wir in diesem Jahr das Landschaftsgesetz zu einem modernen Landesnaturschutzgesetz weiterentwickeln. Dabei geht es uns vor allem darum, das Artensterben zu stoppen. Nordrhein-Westfalens Natur ist geprägt von einer wertvollen biologischen Vielfalt. Unser Land bietet Abertausenden verschiedenen Tier- und Pflanzenarten einen Lebensraum. Wir wollen, dass das so bleibt.

Ein weiteres wichtiges Thema ist der viel zu hohe Quecksilberausstoß von Braunkohlekraftwerken. Wir brauchen unbedingt strengere Grenzwerte, die auch durchgesetzt werden. Die Bürgerinnen und Bürger können sich sicher sein, dass wir den Druck auf Berlin hochhalten, damit die Bundesregierung endlich handelt. Es kann nicht sein, dass die Energiekonzerne mit ihren Kohlekraftwerken Gewinne einfahren, dabei den Klimawandel anheizen und dann auch noch mit gefährlichen Giften die Umwelt verschmutzen.
Als Essener Bürger weiß ich außerdem, wie sehr der Fluglärm vom Düsseldorfer Flughafen Anwohnerinnen und Anwohner belastet. Das gilt an anderen Flughäfen genauso. Wir wollen Vorschläge für ein Luftverkehrskonzept erarbeiten, um Fluglärm insbesondere in der Nacht zu reduzieren. Dies kann etwa durch einen besseren Lärmschutz oder die Verlagerung von Flugkapazitäten zwischen Flughäfen geschehen. Wichtig ist, dass die Menschen in Flughafennähe profitieren und ihre Gesundheit nicht durch noch mehr Flugbetrieb gefährdet wird.