„Menschen helfen, bevor ihre psychischen Krisen sich manifestieren“

Arif Ünal im Interview

1. Du bist seit 20 Jahren der Leiter des Gesundheitszentrums für Migrantinnen und Migranten in Köln. Welche Aufgaben hat das Gesundheitszentrum?

Das Gesundheitszentrum für Migrantinnen und Migranten ist eine medizinische und psychologische Anlauf-, Informations-, Beratungs- und Vermittlungsstelle für erkrankte und gesundheitlich gefährdete Menschen mit Migrationshintergrund in Köln. Ziel unserer Arbeit ist es, über das Gesundheitssystem zu informieren, mit eigenen Angeboten den Gesundheitszustand zu verbessern und Fachpersonal im Gesundheitsbereich fort- und weiterzubilden, um die Zugänge für Migrantinnen und Migranten in das deutsche Gesundheitssystem zu erleichtern. Besondere Kompetenzen haben wir im Umgang mit Türkisch und Russisch sprechenden Menschen.

2. Hat sich der Schwerpunkt der Arbeit des Gesundheitszentrums in diesen 20 Jahren verändert?

Der Bedarf an Krisenintervention und psychologischer Beratung und Behandlung hat im Laufe der Jahre stark zugenommen. Der Fokus hat sich daher in Richtung psychologische und psychiatrische Versorgung und auf die Rehabilitation der chronisch psychisch Kranken verschoben. Weiterhin wird Präventionsarbeit verstärkt angeboten. Bis jetzt haben wir über 80.000 Menschen durch unsere Maßnahmen direkt erreicht. In den letzten Jahren ist das ambulant betreute Wohnen der chronisch psychisch erkrankten Menschen hinzugekommen. Neu ist auch das Projekt der "Betreuung und Begleitung der chronisch psychisch erkrankten männlichen Flüchtlinge ohne festen Aufenthalt", bei dem wir in einer Wohngruppe psychiatrische und psychosoziale Versorgung anbieten.

3. Welche neuen Herausforderungen siehst Du durch die Geflüchteten auf das Gesundheitszentrum zukommen?

Es kommen natürlich auch Menschen, die keinerlei Kenntnisse über das Gesundheits- und Sozialsystem in Deutschland haben. Um auch bei den Flüchtlingen die psychosoziale und gesundheitliche Versorgung zu gewährleisten, gilt es auch hier diese Menschen zielgerichtet zu informieren, die Kooperation mit dem Gesundheitsamt, der Stadt Köln und diversen Einrichtungen zu verstärken, um eine wirksame gesundheitliche und seelische Versorgung zu gewährleisten. Auch die Angebote von unterschiedlichen Trägern vor Ort müssen stärker vernetzt werden, um die Menschen gezielter vermitteln zu können.

4. Was müsste man aus Deiner Sicht tun, um die gesundheitliche Versorgung der Geflüchteten konkret zu verbessern?

Mit der Möglichkeit der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte haben wir in NRW bereits einen sehr wichtigen Schritt in diese Richtung vollzogen. Als Landesregierung haben wir mit fast allen Krankenkassen eine Rahmenvereinbarung beschlossen, der jetzt alle Kommunen und Kreise beitreten können. Auf Bundesebene müsste das Asylbewerberleistungsgesetz abgeschafft werden, damit auch die Finanzierung der Krankenkassen über das SGB V laufen kann. Die Flüchtlinge sollten hinsichtlich der gesundheitlichen Versorgung gleichgestellt werden mit  KassenpatientInnen. Wir brauchen neben privaten und gesetzlichen Krankenkassen nicht noch eine dritte Leistungsschiene für Flüchtlinge. Insbesondere in der psychotherapeutischen Versorgung muss sich noch viel tun, da das Angebot die immense Nachfrage nicht deckt. Besonders die therapeutische Versorgung von traumatisierten Flüchtlingen und die Kosten der Übersetzungen bei der Gesundheitsversorgung müssen sichergestellt werden.

5. Worauf bist Du bei Deiner Arbeit im Gesundheitszentrum besonders stolz und was erhoffst Du Dir für die Zukunft?

Ich bin stolz darauf, dass wir sehr klein angefangen haben, uns nun nach 20 Jahren als Gesundheitszentrum fest in der gesundheitlichen und psychosozialen Versorgung von MigrantInnen in und um Köln etabliert haben, unser Angebot stetig ausbauen konnten und wir mittlerweile als Kompetenzzentrum für die Gemeindepsychiatrische Versorgung im Kölner Raum (SPKOM) durch den Landschaftsverband Rheinland (LVR) anerkannt sind. Ich wünsche mir, dass das Regelsystem sich in Richtung Interkulturalität schneller öffnet. Bei der neuen Bedarfsanalyse der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung müssen die Bedürfnisse der MigrantInnen berücksichtigt und eventuell Sonderzulassungen ermöglicht werden. Weiterhin ist es notwendig, in den Regionen Kriseninterventionsstellen zu errichten, um den Menschen schneller zu helfen, bevor ihre psychischen Krisen sich manifestieren und chronifizieren.