Flüchtlinge schützen, nicht Grenzen!

Die Situation in Süditalien

Martina Maaßen: Die gesamte Mittelmeerregion befindet sich in einer Ausnahmesituation. Auf der italienischen Mittelmeerinsel Sizilien sind in den vergangenen Monaten Zehntausende Bootsflüchtlinge eingetroffen.
Um sich ein umfassendes Bild von der Lage der Geflüchteten in Süditalien zu machen, ging es zuerst nach Lampedusa. Dort standen Gespräche mit den Militärbehörden sowie FlüchtlingshelferInnen auf dem Programm. Mit einer Zeremonie im Mittelmeer vor Lampedusa wurde an das Schiffsunglück vom 3. Oktober 2013 erinnert. Gemeinsam mit der Bürgermeisterin von Lampedusa, Giuseppina Maria Nicolini, wurde zur Erinnerung an die mindestens 366 ertrunkenen Geflüchteten am Ort des Unglücks in Sichtweite des Hafens einen Blumenkranz ins Wasser geworfen. Die Erinnerung daran ist besonders schwer zu ertragen, da die Menschen das rettende Ufer vor Augen hatten, als sie starben.
Nach Lampedusa ging unsere Reise weiter nach Sizilien. Bei dem Besuch eines Flüchtlingslagers in der Stadt Pozzallo wurden wir Zeuge der Ankunft eines Schiffs der Küstenrettung mit 440 Geflüchteten an Bord. Sie wurden aus drei Schlauchbooten vor der tunesischen Küste gerettet und stammten vorwiegend aus afrikanischen Ländern.
Wir konnten uns ein Bild von der Registrierung, der gesundheitlichen Untersuchung und Weiterverteilung der Flüchtlinge in Erstaufnahmeeinrichtungen machen. Aus unserer Sicht haben die italienischen Behörden diesen Prozess gut im Griff, aber die Situation in der Erstaufnahmeeinrichtung in Pozzallo ist erschreckend.
Die Unterkunft ist eine alte Hafenhalle, die völlig überbelegt und nur notdürftig auf die Aufnahme eingerichtet ist.

Die Situation in Griechenland

Herbert Goldmann: Griechenland ist neben Italien das Land in der EU, in dem die meisten Geflüchteten  ankommen. Allein auf Lesbos und Kos stranden täglich rund 800 Flüchtlinge, zumeist in überfüllten, hochseeuntauglichen Booten über die Türkei und stellen die dort verantwortlichen Kräfte vor nahezu unlösbare Probleme, wie uns übereinstimmend der Bürgermeister der Insel Lesbos, VertreterInnen der vor Ort tätigen NGOs, Polizei und Küstenwache berichteten.
„Wir wollen helfen, doch es fehlt uns an allem“, „ Wir haben keine geschulten Kräfte und viel zu wenig Geld, um wirklich was erreichen zu können“, lautet der einhellige Tenor. “Wir fühlen uns von der EU in dieser Situation ziemlich allein gelassen“, drücken Bürgermeister und FlüchtlingsunterstützerInnen ihre Verzweiflung und Unzufriedenheit aus.
Aber auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen sind zum Teil abenteuerlich. Die meist im Norden der Insel ankommenden Geflüchteten müssen einen rund 60 Kilometer langen Fußweg in Kauf nehmen, um in Mytilene eine erste Registrierung vornehmen lassen zu können. Die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, aber auch jede private Hilfeleistung ist bei Strafe untersagt, so dass sich Alte, Kranke, Kinder und schwangere Frauen auf die beschwerliche Reise machen müssen, die zum Teil Tage dauert.
Dort angekommen bietet sich ein Bild des Elends: Hunderte Flüchtlinge schlafen aneinandergereiht auf der Straße vor dem Hafen und warten auf ihre Registrierung – ohne Wasser und Nahrung in dieser Zeit.
Wer es geschafft hat, muss sich dann weiter auf den Weg nach Moria machen, einer hermetisch abgeriegelten Gefängnisanlage, um dort eine weitere Stufe der Registrierung durch „fingerprints“ und der Überprüfung der zuvor gemachten Angaben über sich ergehen zu lassen. Ohne „freiwilliges Aufsuchen“ des Gefängnisses geht nichts, bestätigt uns der Leiter dieser Einrichtung, wobei der Aufenthalt dort bis zu drei Wochen dauern kann. Nur durch diesen Weg wird es insbesondere für die SyrerInnen als Hauptanteil der Geflüchteten möglich, sich legal sechs Monate aufhalten zu dürfen und die Insel Lesbos verlassen zu können, um den weiteren Weg nach Zentraleuropa anzutreten.
Durch die große Zahl an Geflüchteten wird meist noch ein Zwischenaufenthalt in einem provisorischen Flüchtlingslager, dem „Pikpacenter“, erforderlich. Ob es dort morgen noch was zu essen gibt, ist völlig ungeklärt, so die FlüchtlingshelferInnen. Einer davon ist der Priester Efstartios Dimou, selbst gesundheitlich schwer angeschlagen. Er versucht „aus dem Nichts“ zu helfen, wo es möglich ist, da die offiziellen Kräfte versagen.
Die Einschätzung der unerträglichen Situation finden wir bestätigt bei einem Besuch des Erzbischofes von Athen, Athinagorgas, nach unserer Rückkehr in die griechische Hauptstadt. Solidarität aller Menschen aus allen europäischen Ländern ist das Gebot der Stunde. Der Erzbischof erinnert in eindrücklichen Worten an die Werte des Grundgesetzes, der europäischen Verfassung und der Verantwortung der Regierungen, die durch ihr Verhalten in der Vergangenheit maßgeblich zu dieser Situation beigetragen haben.
Ein Gespräch im Innenministerium am nächsten Morgen rundete die Eindrücke dieser wichtigen und informativen Reise ab. Allen Beteiligten ist klar, dass uns diese Eindrücke noch lange begleiten werden und gleichzeitig Verpflichtung sind, alles zu unternehmen, um nicht nur die Situation der Geflüchteten vor Ort, sondern auch unserer politischen Verantwortung im Bund und Land gerecht zu werden.